«Es braucht RaBe immer mehr»

von Christoph Reichenau 11. Mai 2017

Wie hält man zwei Jahrzehnte Radio-Pionierarbeit fest? In einem Buch mit CD, klar! Das RaBe-Buch ist geworden, wie RaBe war und ist: Überraschend, farbig. Ein grandioses Dokument der eigenen Geschichte.

20 Jahre für ein Buch. Wer den Band aufschlägt und zuerst orientierungslos und erschlagen darin herumblättert, fragt sich: War Radiomachen nur der Vorwand, um mit den gewonnenen Erfahrungen ein Buch zu machen? Nein, nicht ein – dieses Buch. Es nimmt einen ein, kommt gleichzeitig stolz und bescheiden daher, lässt den Assoziationen des Lesers Raum. Dem Herausgeber- und Gestalterteam Steven Götz, Pjotr Müller, Magdalena Nadolska, Wilma Rall, Jazmin Vazquez Rios, Fred und Silvia Sommer ist es gelungen, Radio in ein zweidimensionales Medium zu übertragen.

Teil des Kulturarchivs

Das RaBe-Buch setzt die Reihe der Bände fort, die aussergewöhnliche Kunst-Schwerpunkte in Bern dokumentieren: 2003 Stadttheater, 2012 BeJazz, zuvor TonArt/Taktlos. Es gehört als eine Art Konvolut in das Archiv der Berner Kunstszene-Geschichte wie Kurt Blums und Bernhard Gigers Fotos, wie Fredi Lerchs NONkONFORM-Bände, wie das noch nicht wirklich zu Ehren gezogene Archiv der Kunsthalle oder die Schätze der verstorbenen Trix Bühler zur Geschichte des gerade wieder stattfindenden Theaterfestivals auawirleben.

(Eine Klammer: Wie wäre es, wenn zum Beispiel die Stadt und die Burgergemeinde Bern, die «beiden Bern», gemeinsam die Einrichtung eines solchen Kulturarchivs der Bundesstadt in Auftrag gäben, von ersten Recherchen bis zum Konzept einer Art von lebendigem Aufbewahrungsraum?)

Der Band hält lebendig, was sonst endgültig im Äther entschwunden wäre. Und er beweist, was möglich ist, wenn ein paar Leute es wirklich wollen.

Die Freiheit, parteilich zu sein

Was wollten die RaBe-Leute? Sie wollten ein Gemeinschaftsradio. Das ist weder ein kapitalistisches Modell der Presseunternehmerfreiheit, noch eine unabhängige Einrichtung, die Programmvielfalt und Meinungspluralismus gewährleistet. Es ist ein Kommunikationsmittel gesellschaftlicher Minderheiten, das sich an ihren künstlerischen, sozialen und wirtschaftlichen Anliegen orientiert.

«Seine Freiheit besteht gerade darin, anwaltschaftlich, parteilich sein und Partikularinteressen vertreten zu dürfen», schreibt Willi Egloff, Initiant der ersten Stunde. «Seine Freiheit besteht darin, bestimmte Themen, Lebensbereiche, künstlerische Tendenzen usw. in den Vordergrund zu stellen und andere überhaupt nicht berücksichtigen zu müssen. Seine Freiheit besteht darin, im Interesse der eigenen Community einseitig und unausgewogen zu sein.»

RaBe brauche die anderen Radiosender, meint Medienwissenschafter Roger Blum im Vorwort, denn nur sie erlaubten ihm, Schwerpunkte zu setzen und bestimmte Themen nicht zu behandeln. Dennoch: «RaBe ist als Ergänzung unvergleichlich. Und gerade für Minderheiten aller Art ist es unersetzlich.»

Ausbilden und Befähigen

Die RaBe-Community, das sind mittlerweile mehr als 1000 Vereinsmitglieder. Über  80 verschiedene Musik-, Kultur-, Wort- und Unterhaltungssendungen in mehr als 15 Sprachen werden produziert. Pro Jahr kommen vier Sendungen an ihr Ende und sechs neue hinzu. «Das ist die wertvollste, kostbarste Seite jedes Gemeinschaftsradios: Den Leuten eine Stimme zu geben.» (Bruce Caldwell)

Damit dies möglich wird, bildet Radio RaBe im Verbund mit UNIKOM, der schweizerischen Organisation nicht kommerzieller Radios, in der Radioschule klipp+klang stets neue Radiomacherinnen und -macher aus, die sich bewähren können. Für Michael Indermühle ist RaBe «der Beweis, dass man nicht vorgeben muss, was für Leute man sucht, sondern Leute findet und dann schaut, was man aus ihnen machen kann».

Dies ist eine späte Erfüllung von Bertolt Brechts emanzipatorisch-utopischer Radiotheorie. 1932 führt Brecht in einer Rede aus: «Der Rundfunk wäre der denkbar grossartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens,  […] wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen».

Objekte zu Subjekten machen

Erstaunlich: «Die Behörden begegneten dem Projekt von Anfang an mit Wohlwollen», erinnert sich Karoline Arn, ehemalige Redaktorin. «Die grösste Hürde kam von uns selbst. Es war der enorme Aufwand, an dem wir fast gescheitert wären.»

Der Aufwand folgte dem hohen Anspruch des Radios. «Auf RaBe sollen die Objekte der Mainstream-Medien zu den Subjekten der Berichterstattung werden», forderte Magdalena Nadolska. Es gelang. Der Einsatz wurde wahrgenommen und lohnte sich. 2004 wurde RaBe mit dem ersten Integrationspreis der Stadt Bern bedacht, 2011 erhielt das Gemeinschaftsradio den Kulturpreis des Kantons Bern – zwei Auszeichnungen für Aussergewöhnliches.

Das RaBe-Buch bildet die grosse Galerie der bisher engagierten Personen ab und listet die Sendungen in Form von Steckbriefen auf. Der Jubiläumsband ist ein Schau- und Staunbuch. Soviele Leute haben den Raben gefüttert, ohne ihn zu zähmen. In wie fantasievollen, farbensprühenden Formen war das RaBe-Studio unterwegs. Die Buntheit der Flaggenaktion. Welche Vielfalt und Qualität an Plakaten junger und bestandener Grafikerinnen und Grafiker verliehen den unsichtbaren Radiowellen Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit!

Teil der Berner Kultur

Und nicht zuletzt: Wer liest, lernt Einiges über Radiotechnik im Wandel, die Veränderung der Medienlandschaft, die Entwicklung des Radio- und Fernsehgesetzes und damit der sozio-kulturellen Gegebenheiten im Land.

Wie geht es weiter? «Radio ist ein ganz zentrales Integrationsmittel auf lokaler Ebene», ist Willi Egloff überzeugt. «Es wird immer wichtiger, weil die kommerziellen Lokalmedien nur noch als Anhängsel funktionieren. Sie sind nicht mehr finanzierbar, weil die Werbung abwandert. Darum steigt der Stellenwert von alternativen Gemeinschaftsradios.» Und Karoline Arn glaubt, «dass Radio die grösste Überlebenschancen hat, weil es ein Medium ist, während dessen Nutzung man gleichzeitig noch etwas anderes tun kann. […] RaBe ist ein Treffpunkt, es ist mehr als nur Aufgaben erfüllen» – und deswegen, schliesst Arn, «gehört RaBe zu Bern und ist Teil seiner Kultur».

Ein Blick voraus auf das Jahr 2026 beschliesst das Buch. Michael Spahr stellt sich Radio RaBe in zehn Jahren vor: «RaBe hat die Produktionsbüros und Studios ins neu geschaffene Haus der Vereine verlegt. Dort ist RaBe Mitbetreiberin eines Club-Cafés. Das Café dient als […] Berührungspunkt zwischen der Aussenwelt und dem Inneren. […]Zahlreiche Vereine aus Politik, Gesellschaft und Kultur haben ihren Sitz im gleichen Haus. […] RaBe organisiert Empowerment-Projekte für Vereine, Behörden und Nichtregierungsorganisationen.»

Ich wünsche RaBe bewegtes Älterwerden, starke Schwingen und guten Flug. Und weiterhin Mut zur Parteilichkeit und zur Grenzüberschreitung. «RaBe soll sein wie Kino im Ohr», fordert Roger Spindler. Recht hat er.