Bundesstadt und politische Korruption? Wirtschaftsstandort und lusche Geschäfte? Oder gar Corona-Hotspot und tödliches Misstrauen? Nichts von alledem: Im Zentrum der 37 Beiträge in der Anthologie «Berner Krimis» stehen vor allem Menschen, die hier in der Gegend in unerträglich schwierigen Beziehungen leben. Und unerträglich schwierig sind in aller Regel die Männer, sodass sich ihre Ermordung literarisch als gender-gerechte Notwehr darstellen und lesen lässt.
Ab und zu ein perfekter Mord
Die Serienmörderin Ina Kammermann zum Beispiel erzählt dem Kommissar in einem lakonischen Monolog, warum sie genötigt war, alle ihre sieben Männer mit Gift umzubringen (Thomas Röthlisberger). Und die «dumme Marie» vergiftet nach und nach zuerst die primitiven Kumpane ihres Mannes und später diesen selbst (Esther Grünig Schöni).
Dreimal gelingen perfekte Morde: In einem Dorf lebt ein Lehrer-Ehepaar eine perfekte Ehe, bis die Frau den Mann mit der gusseisernen Pfanne erschlägt (weil er schon wieder die Suppe derart «fürchterlich» geschlürft hat) und die Sache dann so regelt, dass sie ihr Leben nach Wunsch weiterführen kann (Cornelia Leuenberger). Die Bäuerin Abplanalp entsorgt ihren Mann im Güllenloch des Hofs und organisiert ihr Alibi so, dass sich die Kriminalbehörden überzeugen lassen, der Tote müsse im Suff verunfallt sein (Susann Thomann). Und eine Ehefrau vergiftet ihren Mann und dessen Geliebte so raffiniert, dass schliesslich die tote Geliebte als verzweifelte Täterin erscheint (Karin Bachmann).
Warum man mehr stirbt – und warum weniger
Daneben wird aus vielen Motiven getötet: Ein Verleger bricht sich unter einem einstürzenden Büchergestell das Genick, während ihn ein Autor brachial zwingt, endlich sein Manuskript zu lesen (Regine Frei). Im einzigen berndeutschen Text des Buchs erzählt eine Anstaltsinsassin, wie sie in Südfrankreich ihre beiden Kinder umgebracht hat (Christine Rothenbühler). In einem noblen Restaurant spricht ein Paar über die Trennung, bis plötzlich zwei Schüsse fallen und die beiden Essenden tot sind (Therese Bichsel). Und zweimal üben Beamte Selbstjustiz, indem sie wegschauen: Kommissar Merz, lässt den Jugendlichen Rolf fliehen, obschon klar ist, dass jener seinen Stiefvater erschossen hat (Markus Michel). Und die Staatsanwältin Fiona klärt den Mord an ihrem ehemaligen Vergewaltiger zwar auf, sorgt aber gleichzeitig dafür, dass die Täterin unmöglich überführt werden kann (Martin Geiser).
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Eine bemerkenswert kleine Rolle spielen in den «Berner Krimis» Politik und Korruption sowie Finanz und Wirtschaft. Immerhin gibt es Hans Kampe, den pensionierten Chef der «städtischen Steuerverwaltung», der mit dem Experten für den Kauf und die Betreuung der IT-Anlagen in die eigenen Taschen gewirtschaftet hat und aktiv werden muss, weil sein Nachfolger nachzurechnen beginnt (Adelheid Blättler-Schmid). Und der Autor Thomas Kowa erzählt die Geschichte einer Lösegelderpressung so, dass man über Cyber-Kriminalität und Bitcoin-Spekulation einiges lernen kann. Überhaupt sind jene Kurzkrimis, in denen es keine Toten gibt, nicht die uninteressantesten. Etwa, wenn sich Männer von einer Frau in der ganzen Gegend Hunde zusammenstehlen lassen, um sie in Schaukämpfen bis auf den Tod aufeinander hetzen zu können (Gabriel Anwander). Oder wenn der pensionierte Hausdetektiv des stadtbekannten Warenhauses Laub dort Feuer legt, um definitiv garantieren zu können, dass nichts mehr gestohlen wird (Dominik Riedo).
Der rätselhafteste Text erzählt von einer «fussballfeldgrosse[n], grasbewachsene[n] Hochebene», die eine «Startrampe» ist, von der Menschen nach einem «langen Marsch» über die Klippe in den nebelverhangenen Abgrund gehen oder gegangen werden, weil sie «bestimmt [sind] zu gehen» (Ruben Dellers). Und der Text mit dem meisten Altstadtlokalkolorit ist jener, in dem der legendäre Antiquar Robert Alder (1912-1992) im Commerce (oder ist es im Pyri?) davon erzählt, dass der Zeitweise-Berner Albert Einstein nicht 1955 in Princeton gestorben, sondern 1944 in Italien ermordet worden ist – und man mitlesen kann, wie die um Alder herumsitzenden Schriftsteller Paul Nizon, Guido Bachmann und René E. Mueller diese Erzählung kommentieren (Pedro Meier).
Das BSV-Jubiläum
Pech für die «Berner Krimis» ist der Zeitpunkt ihres Erscheinens. Am Ende des zweiten Corona-Pandemie-Jahrs wird die neue Wirklichkeit neben einem ironischen Hinweis, die Maskenpflicht erschwere der Polizei die «Identifizierung der Verbrecher» (Vladislav Jaros) nur einmal motivbildend angesprochen: In Therese Liechti Gertschs Geschichte verschärft der «zweimalige Lockdown» eine Beziehungskrise, weil der Mann als «Finanzverantwortlicher eines Eventveranstalters» in einer Branche arbeitet, die «völlig eingebrochen» ist. Ansonsten handeln die «Berner Krimis» in der untergegangenen Prä-Corona-Zeit.
Aber das Buch des BSV musste eben 2021 erscheinen (und die Texte entsprechend vorher geschrieben werden), und zwar, weil es zum 80 Jahr-Jubiläum des Vereins da sein sollte. Gegründet worden ist der BSV nämlich am 10. Mai 1941 – damals unter dem Namen «Berner Schriftsteller-Verein» mit folgendem Vorsatz: Man wolle sich, hiess es im «Bund» vom 7. Oktober 1941, der Aufgabe unterziehen, «Lenker der gemüthaften und sittlichen Kräfte des Volkes zu sein». Von Lenkerinnen war damals keine Rede.
Entsprechend sah die erste BSV-Anthologie 1956 aus. Sie hiess «Berner Lyrik» und präsentierte Gedichte von 37 Autoren und 5 Autorinnen. 1963 erschien die zweite Anthologie, «Berner Erzähler» (9/3); 2002 die dritte, «Berner Texte», jetzt unter dem Namen «Berner Schriftstellerinnen- und Schriftsteller-Verein» (32/15). An den eben erschienenen «Berner Krimis» haben nun 19 Autorinnen und 18 Autoren mitgearbeitet.