Die preisgekrönten Romane, Hörspiele und Theaterstücke von Walter Vogt, Schriftsteller und Psychiater aus Muri (1927-1988), sind weitherum bekannt. Auch bekannt war, dass er Gründungsmitglied und zeitweiliger Präsident der dissidenten Schriftstellervereinigung «Gruppe Olten» war. Und dass er mit seinen griffigen Attesten vielen jungen Pazifisten den Militärdienst ersparte, indem er sie so genannt «untauglich» schrieb. Aber dass derselbe Vogt ein reiches Schaffen an Lyrik und Prosa in Mundart hinterliess, wissen wir erst seit kurzem in der ganzen Dimension.
Journal-B-Mitarbeiter Fredi Lerch arbeitete 2015/16 im Schweizerischen Literaturarchiv den Nachlass des Murigers auf und wurde fündig: Vogt hatte schon in den früheren 60er Jahren mit Mundart experimentiert und 1967 sogar eine Gruppenlesung («modern mundart») initiiert, an der auch Peter Bichsel, Gertrud Wilker und Kurt Marti auftraten.
Die vielen Mundart-Fundstücke aus dem Vogt-Nachlass, weitgehend bisher unpubliziert, sind nun unter dem Titel «hani xeit» in der «edition spoken script» des Verlags «Gesunder Menschenversand» zu lesen. An alle, die bisher nur Pedro Lenz in Mundart gelesen haben: Die Schreibweisen Vogts sind gewöhnungsbedürftig, aber immer originell und nachvollziehbar. Eine Kostprobe aus «bäärn», verfasst 1967:
bäärn
«bäärn isch e schööni allti schtatt. bäärn isch e schtiilloosi hässlechi agglomerazioon. bäärn isch kolossal hischtoorisch. bäärn isch äs unnterentwikklez gebiet. bäärn hett loube. bäärn hett äs tramm. bäärn hett e nöie baanhof, oder fasch. bäärn hett äs nöis universitääzschpitaal, oder fasch. aber: bäärn hekke innterkkontinentaale flughafe. bäärn hekke see. bäärn isch ä houptschtatt. aber bäärn isch ke groosshanndelsplazz u kes internazionaals bankzäntrumm. bäärn isch übrhouppt nizzüri. wäge dämm simer truurig; mr si aber o ganz froo. und löötnechs vo eim la säge, wos weis: tliechggschwindikeit isch zzüri o nid wesentläch gschwinder als zbäärn. niene geiz so schöön u luschschtig wi bi üüs. äs schtatttheaatr, wo me nid eso rächcht cha beschribe, im kunschschtmuseumm tantiquitäätemäss, zföilton vom taagblatt u daas vom bund. da blüije de natüürlech di chliine chällere mit irne theäätrli, galeriili und litterattuurääbeli und erfülle-n-e kkullturelli missioon. kkönige wäärde-n-im hischtoorische museumm empfange. näächschtzmaal de grad im kkrematoorium. zdiplomaatische korrps oder ggoor, wi me seit, trifft sech hüpscheli unter sich. zbäärn repme bäärndütsch. bäärndütsch isch o nümme, was es isch xii. me seit hütt ‘nun’ u bildet zzuekumfft mit ‘wäärde’. dr wessfall müesse mr schlöinigscht iifüere, bevor er im hoochdütsch uusschtirrbt. was is no völlig fäält, isch pmipfergangeheitt*. mee u mee empfinde mr üsi alltagsschpraach als museaal. de hätte mr de usser-em nazionaalschtollz u dr nazionaalhümmne o no tschpraach vrloore. aber ohoo! ersch soo si mer offen für das ummgreiffende!»
*) «pmipfergangeheitt» ist, so Herausgeber Fredi Lerch auf Nachfrage, die Mitvergangenheit, ein deutsches Wort für die Vorvergangenheit der Verben, also das Plusquamperfekt, das wir im Berndeutschen bekanntlich nicht haben.
Dass die nationale Spoken-Word-Szene jetzt mit einem posthumen Nachwuchstalent ergänzt wird, ist ein grosses literarisches Geschenk. «hani xeit» ist auch unter diesem Aspekt zu lesen.
Walter Vogt: hani xeit. edition spoken script. Verlag der Gesunde Menschenversand, Luzern 2018. 236 Seiten, 25 Fr.
Vernissage: 24. April, 20 Uhr, Buchhandlung Stauffacher Bern.