Der Kanton Bern will in seine Hauptstadt investieren. Fast eine halbe Milliarde Franken soll für den Bau des Trams Region Bern aufgewendet werden. Dies vor allem auch, weil die Politik nicht nur von einem weiteren Bevölkerungswachstum in Stadt und Agglomeration ausgeht, sondern dieses auch anstrebt. Bern soll mehr Bewohner erhalten, die gleichzeitig auch immer mehr Wohnraum beanspruchen. Aktuell geht das Regionale Gesamtverkehrs- und Siedlungskonzept RGSK für das Gebiet Bern-Mittelland bis 2030 von einem zusätzlichen Landverbrauch von 700 Hektaren aus. Das ist eine sieben Kilometer lange und ein Kilometer breite Fläche. Zum Vergleich: Der gesamte Bremgartenwald hat eine Fläche von 636 Hektaren.
Dass die Menschen in der Stadt wohnen, in der sie auch arbeiten, leistet einen Beitrag gegen die Zersiedelung. Dieser ist dringend notwendig. Denn trotz Raumplanungsgesetz frisst sich der besiedelte Raum immer weiter in die grüne Landschaft hinein. Starkes Bevölkerungswachstum ist nicht nur eine globale, sondern insbesondere im Mittelland auch eine lokale Herausforderung.
Wie soll man allen Bedürfnissen gerecht werden, wenn man dazu den Boden als endliche Ressource missbraucht? Eigentlich ist die Antwort klar: Wenn es nicht in die Breite gehen kann, dann muss es in die Höhe gehen. Konzepte und Idee dafür bestehen. Das regionale Hochhauskonzept Bern aus dem Jahr 2009 scheidet Zonen aus, in denen Hochhäuser grundsätzlich möglich sein sollen. Das neue Tram führt zu einem grossen Teil durch solche Gebiete und wird dadurch die Entwicklung vereinfachen.
Doch so lange niemand in dieser Stadt an Hochhäuser glaubt, bleibt das Konzept wertlos. Der absolute Wille, Hochhäuser zu bauen, muss erst noch entstehen. Fünf Stockwerke bei Neubauten werden nicht ausreichen, um das ganze Wachstum aufzufangen. Über Hochhäuser wird in Bern aber höchstens diskutiert, wenn man dadurch die Reithalle abreissen oder zumindest verstecken könnte. Ansonsten beklagt man höchstens den entstehenden Schattenwurf.
Dass Hochhäuser nicht per se Glaskästen oder Plattenbauten sein müssen, zeigt ein Projekt aus Mailand, das diesen Sommer abgeschlossen wird. Zwei Gebäude mit 17 beziehungsweise 24 Etagen, die 80 respektive 112 Meter hoch sind. Sie verfügen über grosse Balkone, die mit Bäumen bepflanzt werden – ein vertikaler Wald. Man stelle sich vor, über der Autobahn zwischen dem oberen Murifeld und dem Wittigkofenquartier erstrecket sich ein solcher neuer Wald. Konzepte für die Überdeckung von Autobahnen gibt es, beispielsweise vom Berner Architekten Rolf Schoch. Das wäre sowohl lärmschutztechnisch wie landschaftlich eine Aufwertung. Die Abluft der Autobahn könnte zum heizen genutzt werden. Zudem wären hier die Grundsatzdiskussionen auf jeden Fall kleiner als bei einem Projekt Waldstadt, die in den Entwürfen auch keine Hochhäuser vorsieht. Lieber vertikalen Wald auf der Autobahn pflanzen, als horizontalen Wald roden.
Wenn das Wachstum der Stadt nachhaltig sein soll, dann muss es tatsächlich einer weiteren Zersiedelung entgegenwirken. Zudem müssen neue Gebäude dazu beitragen, den Energieverbrauch zu senken, anstatt ihn zu erhöhen. Möglichkeiten dazu gibt es. Technisch sind Hochhäuser bis zu 30 Etagen möglich, die aus Holz gebaut werden und so wenig graue Energie verbrauchen. Auch Hochhäuser können im Minergiestandard gebaut werden. Zudem können sie mit Solarpanels an der Fassade und auf dem Dach gleichzeitig zur Energiegewinnung eingesetzt werden und zu «Grünen» Wolkenkratzern werden.
Damit tatsächlich in die Höhe gebaut werden kann, brauchen die Hochhäuser ein besseres Image. Die Überbauungen im Tscharnergut oder in Bethlehem geniessen nicht den besten Ruf. Für neue Bauten darf man sich nicht daran orientieren. Vielmehr könnte die Architektur am Potsdamer Platz Vorbild sein für das Gebiet zwischen Postfinance-Gebäude und Swisscom-Hochhaus oder der «vertikale Wald» für das Wittigkofenquartier.
Will Bern und die Schweiz den Wert seiner Landschaft erhalten, kommt die Stadt nicht darum herum, endlich richtig in die Höhe zu wachsen.