Einige sind gleicher, noch heute

von Christoph Reichenau 9. August 2021

50 Frauenporträts auf drei Berner Plätzen. Eine Bildergalerie, die Menschen zeigt, die in ihrer Unterschiedlichkeit eines gemeinsam haben: Männer sind in Kultur, Politik und Wirtschaft noch immer etwas gleicher.

Da stehen sie und blicken uns an: 50 Frauen jeden Alters, jeden Berufs, jeglichen Wohnorts, öffentlich bekannt oder unbekannt. Kämpferisch, locker, verträumt, in Pose und natürlich – 50 Frauen, jede einzelne in eindrücklicher Selbstverständlichkeit sie selbst.

Sie blicken uns an von Plakatwänden auf dem Casino-, dem Kornhaus- und dem Münsterplatz. Einige kennen einander, andere haben womöglich noch nie voneinander gehört. 50 Fotografinnen haben «ihre» Frauen ausgewählt und abgebildet. Die Galerie der Porträts bereichert nun die drei Plätze in Bern.

Die Ausstellung ist an zahlreichen Orten des Landes zu sehen, neben Bern in Basel, Lausanne, Genf, Yverdon, Bellinzona. Die Fotografinnen, die den Frauenstreik überall im Land dokumentierten, das Kollektiv Frauenstreikfotografinnen, hatten die Idee zu den Porträts und fügten diese zu einem landesweiten Gesamtbild zusammen.

Jede einzelne Fotografie ist sorgfältig gemacht. Man spürt den Respekt vor den Abgebildeten. Liebevoll sind höchst einnehmende und doch nicht anbiedernde Aufnahmen entstanden, die uns unmittelbar ansprechen und berühren. Jede Bildauswahl ist subjektiv und fragwürdig, auf der Website lassen sich alle betrachten.

Die Fotos verraten ausser dem Namen, dem Beruf und dem Lebensort nichts über Abgebildeten. Via QR-Code und die Website www.50-50-50.ch erfährt man mehr über die Frauen und den Hintergrund der Ausstellung. Ganz beiläufig wird man gewahr, welche vielfältige, hochstehende und engagierte Fotografinnenszene in der Schweiz arbeitet. Und welche Bedeutung und Kraft und künstlerische Qualität ihre Porträts aufweisen.

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Porträt von Uschi Waser, Präsidentin Stiftung Naschet-Jenische, Holderbank. (Foto: Franziska Rothenbühler)

Zu vernehmen ist, dass die Finanzierung der Ausstellung vor allem in der Deutschschweiz kein Kinderspiel war und auch die Bewilligung von Standorten ein Hürdenlauf. In Zürich etwa unterstützten weder die kantonale Fachstelle Kultur noch das Präsidialdepartement der Stadt, beide von Frauen geleitet und mit Frauen als politischen Vorgesetzten, das Projekt, obwohl 13 Fotografinnen im Kanton wohnhaft und tätig sind. Ja, auf Empfehlung der Kommission für Kunst im öffentlichen Raum verweigerte die Stadtpolizei Zürich eine Bewilligung für die öffentliche Präsentation. Begründung: Die Ausstellung sei keine Kunst, sondern Soziokultur, denn «die Fotografie würde (…) lediglich ein politisches Anliegen vertreten». Trotz eines Beitrags des Sozialdepartements fehlt also in der grössten Stadt des Landes die Bewilligung für den öffentlichen Raum. In der Westschweiz haben die Behörden grosszügiger unterstützt sich wohlwollend gezeigt. Man merkt, das Verständnis von Kultur ist vielfältig in der Schweiz.

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Leider beeinträchtigte der Regen die Vernissage ins Bern. Nun soll das Wetter bessern. Mit oder ohne Schirm: Ein Spaziergang durch die Altstadt lohnt sich sehr. Vor den Bildern kommt man ins Gespräch. So selbstverständlich und selbstbewusst die porträtierten Frauen uns anblicken: Auch 50 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts verdienen sie bei gleicher Arbeit weniger, sind sie schlechter sozialversichert, haben sie weniger Ämter und politische Macht, sind sie rar auf den Teppichetagen der Wirtschaft und ebenso an den Schaltstellen der Kultur. Wer die Fotografien betrachtet, fragt sich unwillkürlich: Kann ich dagegen etwas tun?