Einhelligkeit in Ausserholligen

von Raphael Wyss 8. Juni 2024

Städteplanung Geht es nach den Plänen von Stadt, Kanton und SBB, wird zwischen Holligen und Stöckacker kaum ein Stein auf dem anderen bleiben. Doch während in Bern über deutlich kleinere Bauprojekte leidenschaftlich gestritten wird, gibt es gegen die milliardenteure Umgestaltung Ausserholligens kaum Opposition. Woher kommt diese seltene Einigkeit?

In Ausserholligen soll bald mit der ganz grossen Kelle angerührt werden: Ein neuer Bahnhof mitsamt Unterführung, der neue Campus der Berner Fachhochschule und die drei neuen Hochhäuser auf dem EWB-Areal sind nur einige der Projekte, die im kantonalen Entwicklungsschwerpunkt (ESP) geplant sind. Insgesamt sollen in den nächsten Jahren rund drei Milliarden Franken in das Gebiet zwischen dem Holligen- und dem Stöckackerquartier investiert werden. Am 9. Juni befinden die Stimmberechtigten der Stadt über den Rahmenkredit für die öffentliche Infrastruktur im Gebiet. Das Ja dürfte trotz des gewaltigen Preisschilds (176 Millionen Franken) reine Formsache sein: Das Geschäft kam im Stadtrat mit 62 zu 6 Stimmen glatt durch. Das einzige Gegenargument, das im Abstimmungsbüchlein gegen die Vorlage aufgeführt wird: «Die Kosten sind höher als ursprünglich geplant» – bei der Baupreisteuerung der letzten Jahre eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Einfach Stadtrand – geprägt von industriellen, gewerblichen und logistischen Nutzungen (Foto: Mik Matter).

Ein riesiges Gebiet nur 15 Velominuten vom Stadtzentrum entfernt wird also bald von Grund auf umgekrempelt, ohne dass es die Leute sonderlich zu stören scheint. Das ist doch überraschend angesichts der Tatsache, dass deutlich kleinere Bauprojekte wie das Viererfeld, das Gaswerkareal oder schon nur die YB-Felder auf der Allmend Anlass zu hitzigen Debatten geben. Weshalb scheinen sich alle einig zu sein, dass die vorgesehene Entwicklung eine gute Sache ist?

Zwischenraum mit fehlender Identität

Der erste Grund ist geographischer Natur: Ausserholligen ist seit jeher ein Zwischenraum – nicht mehr Holligen, noch nicht Bümpliz. Verschiedene Gegebenheiten haben dazu geführt, dass das ursprüngliche Bern und Bern-West um das eingemeindete Bümpliz hier zwar zusammengewachsen sind, aber doch keinen durchgehenden Stadtraum bilden. Bevor sich Bümpliz vom Dorf zum grössten Stadtteil Berns entwickelt hat, war Ausserholligen einfach Stadtrand; geprägt von den industriellen, gewerblichen und logistischen Nutzungen, wie sie typisch waren für die Ausfallachsen der grösseren Schweizer Städte. Als die Bümplizer Wohnquartiere nach Osten wuchsen, waren sie im Weg. Zudem hat man Das Gebiet rund um das «Weyerli» von der Überbauung bewahrt und in eine Freizeitanlage umgestaltet – ohne Frage eine weise Entscheidung, die aber zusätzlich zur räumlichen Trennung beigetragen hat. In den Siebzigern besiegelte der Bau des Autobahnviadukts das Schicksal Ausserholligens als Trenngürtel.

Ein Kartenausschnitt des Gebiets von 1955. Die Grenzen des «Zwischenraums» sind schon damals in Bebauung sichtbar… (Foto: swisstopo)
… sowie ein aktuelles Luftbild, das Titelbild des Mitwirkungsberichts (Foto: Stadt Bern).

Das Quartier war also nie ein Raum mit eigener Identität, die nun durch die Umgestaltung zerstört werden könnte. Im gesamten Perimeter des kantonalen Entwicklungsschwerpunktes gibt es nur wenige Wohngebäude, die zumeist nicht direkt von den zahlreichen Projekten betroffen sind. Gerade im Westen Berns weckt die angestrebte Entwicklung deshalb vor allem Hoffnungen: «Mit dem ESP wird die Grenze, die Ausserholligen heute darstellt, verschwinden», sagt Joachim von Siebenthal, Geschäftsleiter der Quartierkommission Bümpliz-Bethlehem. Er koordiniert die Partizipation der Quartierbevölkerung und die Stellungnahmen des Stadtteils VI zu den Planungen im ESP. «So wie ich den Grundtenor in der Bevölkerung wahrnehme, sehen viele dieses Projekt als Chance, aus diesem Stadtteil einen attraktiven Begegnungsort zu machen.»

Mit Blick auf das Gaswerk-Areal und das Viererfeld stellt sich jedoch die Frage, warum aus wachstumskritischen Kreisen bisher kein Widerstand gegen das Megaprojekt zu vernehmen war. Dies dürfte vor allem damit zu tun haben, dass die betreffenden Flächen heute bereits versiegelt sind. Es gibt keine Landschafts- oder Naturwerte, die durch die Projekte bedroht wären. Im Gegenteil soll der Aussenraum ökologisch aufgewertet und der Baumbestand deutlich erhöht werden.

In den nächsten Jahren sollen rund drei Milliarden Franken in das Gebiet zwischen dem Holligen- und dem Stöckackerquartier investiert werden (Foto: Mik Matter).

Sorgen werden ernst genommen

Ein anderer möglicher Grund für die fehlende Opposition: Die zuständigen Stellen haben viel Aufwand betrieben, um die Betroffenen am Planungsprozess zu beteiligen. Gerade weil Ausserholligen kein homogenes Quartier ist, war die Partizipation eine Herausforderung. Die Grenze zwischen den Stadtteilen III (Mattenhof-Weissenbühl) und VI (Bümpliz-Oberbottigen) verläuft mitten durch den Entwicklungsschwerpunkt. Das heisst, dass zwei Quartierkommissionen in die Planungen miteinbezogen werden mussten. Die bisherige Nutzung des Quartiers ist zudem sehr divers – und damit auch die Ansprüche der Betroffenen.

Ausserholligen verändert sich – auch ein neuer Bahnhof ist geplant (Foto: Mik Matter)
Ausserholligen verändert sich – auch ein neuer Bahnhof ist geplant (Foto: Mik Matter)

Schon früh war daher die Stadt als zuständige Koordinatorin bestrebt, die verschiedenen Anspruchsgruppen in den Planungsprozess zu integrieren; sei es bei gemeinsamen Sitzungen oder mit der Vorstellung der Planungen in den Quartierkommissionen. Die zahlreichen Mitwirkungseingaben zeigen, dass sich die Bevölkerung durchaus für die Entwicklungen in Ausserholligen interessiert und diese teilweise auch kritisch sieht. Auffallend ist, dass es bei vielen Eingaben nicht um die Projekte an sich geht, sondern um die Auswirkungen, welche diese in der Umgebung hätten. So ist der Mehrverkehr durch die massive Zunahme an Arbeits- und Studienplätzen ein wichtiges Thema. Von Siebenthal sieht längerfristig auch die Gefahr einer Gentrifizierung des Stadtteils durch die bauliche Aufwertung im ESP-Areal. Im Moment sei aber vor allem ein anderes Thema wichtig: «Die Menschen beschäftigt weniger, was nach der Bauphase entstehen wird. Drängender ist die Sorge um die jahrelange Baustelle, die in Ausserholligen entstehen wird, und die Verkehrs- und Lärmbelastung, die damit einhergeht.»

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Dass es trotz dieser Vorbehalte kaum öffentliche Opposition gegen die Umgestaltung gibt, spricht für den Partizipationsprozess der Stadt. Wenn sich die Betroffenen von den zuständigen Stellen nicht ernst genommen fühlen, gibt es schnell mal grundsätzlichen Widerstand. Offenbar konnte die Stadt bei ihnen eine gute Vertrauensbasis schaffen.

AuchSchrebergärten müssen wegen der Sanierung der Schule Stöckacker weichen (Foto: Mik Matter).

Kein Platz mehr für Gewerbebetriebe?

Sind also alle Betroffenen im Grundsatz glücklich mit den Plänen in Ausserholligen? Nicht ganz: Gewerbliche Kreise äusserten bei der Mitwirkung zum ESP Befürchtungen, dass mit der geplanten Umstrukturierung Teile des Gewerbes aus dem Gebiet verdrängt werden könnten. Sie anerkennen aber die Bedeutung des Standorts für die wirtschaftliche Weiterentwicklung der Stadt Bern und bekämpfen auch die Abstimmungsvorlage nicht aktiv. Der Konflikt zwischen dem Gewerbe und anderen Nutzungen könnte allenfalls nächstes Jahr ein Thema werden, wenn voraussichtlich über die Überbauungsordnung «Weyermannshaus West» abgestimmt wird: Das Gewerbegebiet am westlichen Rand des Perimeters soll in ein durchmischtes Quartier mit einem hohen Anteil an Wohnnutzung verdichtet werden. Es geht um die vermehrt diskutierte Frage, welchen Platz Industrie und Gewerbe im künftigen Bern noch bleibt.

Es könnte also durchaus sein, dass die Entwicklung von Ausserholligen doch noch Widerstand hervorruft: Wenn umstrittene Teilprojekte plötzlich konkret werden. Im Grundsatz scheinen sich die meisten Beteiligten aber einig zu sein, dass die Umgestaltung dieses Zwischenraums eine grosse Chance ist.