Fünf Jahre dauerte die Vorbereitung der Gesamterneuerung der Dauerausstellung. Das Team des Hauses an der Helvetiastrasse scheute keinen ideellen Aufwand, musste aber einen festen Finanzrahmen einhalten. Innerhalb dieser Vorgabe erfand sich das Museum sozusagen neu. Und dies nicht im stillen Kämmerlein des Teams, sondern unter bewusster Öffnung hin «zu den Leuten». Der Preis des Europarats in Strassburg zollt der ideellen und materiellen Erneuerung Respekt. Die Anerkennung für das von der Post und Swisscom getragene Haus ist sehr verdient.
Sie schliesst an den Befreiungsschlag für das Alpine Museum der Schweiz, den die Eidgenössischen Räte mit dem Budgetbeschluss in der Wintersession vornahmen, nachdem Alps als Kompetenzzentrum eingestuft worden war.
Zweimal Freude also im Museumsquartier Kirchenfeld, dessen gesamthafte planerische Neugestaltung derzeit Gegenstand eines Projekts ist, das vom Helvetiaplatz ausgehend alle Häuser einbezieht.
«So sehen wir uns»
Vor der Eröffnung der Gesamterneuerung konnte Journal B mit Jacqueline Strauss, Direktorin des Museums für Kommunikation über ihr Verständnis «ihres» Museums reden. Der folgende Text widerspiegelt ihre Haltung und ihre Überzeugungen.
«Das Museum für Kommunikation ist ein öffentliches Wohnzimmer, kein verstaubter Kulturtempel. Unser Museum ist Teil des öffentlichen Raums. Wir beziehen das Publikum auf Augenhöhe in die Diskussion ein über das, was wir machen. Wir wollen dem Publikum nicht sagen, was es zu denken hat. Wir verstehen das Museum als Ort der Auseinandersetzung, als Angebot zum Nachdenken und miteinander reden.
Das Museum ist ein Ort, der uns die Chance gibt, Themen und Ideen aufzugreifen und zu behandeln. Das Team und ich haben eine Haltung. Diese äussert sich unter anderem darin, welche Themen wir setzen: In den letzten Jahren z.B. Gefängnis, Älterwerden, Stille. Es sind relevante Themen mit einem aktuellen Bezug zum Publikum. Die genannten Themen wurden positiv aufgenommen, als Fragestellungen und in der Art, wie sie behandelt wurden. Man kann mit einer Ausstellung nicht die Welt verbessern, aber einen Anstoss geben und beim Publikum etwas bewirken.
Mir geht es um das Herstellen einer Emotionalität, um Spüren, Erleben, Lernen möglich zu machen. Dies ergibt die beste Ausgangslage, um eine neue Sicht auf die Welt zu bekommen.
Wenn wir ein Thema setzen, befassen wir uns damit als Team intensiv, durchdringen es und wünschen, dass die Besucherin / der Besucher diesen Esprit merkt. Wir machen keine Ausstellung «auf Bestellung» von aussen. Wir fragen (uns): Welches Thema ist wichtig in der Gesellschaft, welches ist aktuell, was können wir zu seiner Behandlung beitragen durch eine gewisse Überraschung, mit einer neuen Sichtweise oder Darstellung.
Jede Ausstellung hinterlässt etwas im Team. Aus den Sedimenten ergeben sich neue Themen und Herangehensweisen.
In einem Projekt «Museumsakademie» haben wir sieben Junge und einige Senior Guides für die Gestaltung der neuen Dauerausstellung beigezogen, die dann etwa 15 Jahre «halten» muss. Daraus ergab sich der Wunsch nach «Kommunikatorinnen» und «Kommunikatoren». Das sind Leute, die sich ständig in der Ausstellung aufhalten und auf Besucherinnen und Besucher zugehen, um ihnen Informationen usw. anzubieten, sich jedoch nicht aufdrängen. Damit erfinden wir eine neue Berufsgruppe im Museum. Lernende der POST und Swisscom werden im Rahmen ihrer Berufsausbildung auch als Kommunikator/innen und eine Zeit lang eingesetzt. Hinzu kommen Senioren. Das Kommunikatorenteam ist also intergenerationell zusammengesetzt. Aus den Begegnungen zwischen Kommunikatoren und Besuchenden ergeben sich Ideen für Fragen, Themen, Ausstellungen. Es werden also künftig noch vermehrt «die Leute» sein, die uns mit Ideen anregen und bereichern.
Gleichzeitig entwickeln wir eine neue Haltung zu den Objekten, die wir in Ausstellungen präsentieren. Wir wollen sie nicht (primär) technisch erklären, sondern geschichtlich, sozial, in Bezug auf das alltägliche Leben und das gesellschaftliche Zusammenleben fassbar machen. Wir wollen anhand des Objekts eine Geschichte und die Geschichte erzählen. Kurz gesagt: Es geht nicht ums Telefon, sondern um das Telefonieren.
Dazu ein Beispiel: Das Museum für Kommunikation besitzt 1‘226 Handys. Eines davon gehörte Mussie Zerai. Der eretreische Priester stellte seine Telefonnummer Flüchtlingen zur Verfügung, die ihn in Seenot anriefen; Zerai gab ihre GPS-Koordinaten der italienischen Küstenwacheweiter, die tausende retten konnten. Mussie Zerais Mobiltelefon wird in der neuen Dauerausstellung gezeigt werden.
Ein anderes Beispiel: Mit dem Projekt «Wir PTT-ler» werten wir das Archiv des einstigen Regiebetriebs aus. Vor allem aber lassen wir in diesem Oral History Projekt ehemalige Mitarbeitende erzählen, was sie bei ihrer Arbeit in der PTT erlebt haben. Sie geben ihre Erfahrungen in Workshops auch weiter an heutige Lernende.
Wir sind weder Intellektuelle, noch Revolutionäre. Wir wollen mit unseren Themen den Leuten «Rückendeckung geben für ihr Leben». Die Leute merken das und melden sich mit Themenvorschlägen. Wir nehmen diese auf und bürsten sie gegen den Strich. Das passt wohl am besten für unsere Arbeit: Gegen den Strich bürsten an einem öffentlichen Ort. Gegen den Mainstream mit Agendasetting durch Vieles, das andere nicht machen. So sehen wir uns.»