Eine Skulptur aus dem Grundmaterial des Bauens

von Christoph Reichenau 26. Februar 2020

Im Affspace an der Münstergasse repräsentieren drei Objekte das Zusammenspiel der Disziplinen Kunst, Architektur und Signaletik. Eine Gelegenheit zum Lernen.

Ein Klotz, etwa 900 Kilogramm schwer, macht mir Platzangst im kleinen Raum. Man sieht ihn von der Münstergasse aus durch die Fenster. Zu betrachten ist, scharf geschnitten, ein rechteckiges Bild mit vielfältigen farbigen Formen unterschiedlicher Grösse. Es ähnelt einem eingefrorenen Aquarium oder einem Gewebeschnitt oder einem Stück Nougat.

Drinnen erkennt man: Der Klotz ist – besser war – Teil von etwas. Etwas, das ist eine Skulptur, quadratisch, 206 Zentimeter Seitenlänge, 11 Meter hoch. Sie heisst «Dreamer» und steht im zentralen Treppenhaus der 2018 fertiggestellten Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) in Muttenz.

Die Skulptur entstand, indem die Künstlerin Katja Schenker in einer quadratischen Stahlschalung zusammengetragene Steine, Zweige, Baumstämme, Metalle auftürmte über die dann Schicht um Schicht feinkörniger grau-brauner Beton gegossen wurde. So steht sie in Muttenz, an der Spitze uneben, ohne Armierung, zusammengehalten durch die Objekte im Innern. Fragil und doch fest.

Und wie entstand der Klotz in Bern? Als das Werk die volle Höhe erreicht hatte, wurde es ausgeschalt. Seine Aussenhaut bestand aus Beton. Mit einer Diamantseilsäge schnitt die Künstlerin auf allen Seiten eine Schicht von 16 Zentimetern herunter. So legte sie das Innere frei. Die weggeschnittenen Aussenteile bestehen ihrerseits aus Innen und Aussen und sind in unterschiedlichen Formaten ihrerseits kleine «Dreamers». Anders gesagt: Sie sind die Türen, die man öffnen musste, um den Schatz im Innern zugänglich zu machen. Und die «Cuts» sind, willkommene Einnahme, verkaufbare «Klein»-Plastiken.

Der «Dreamer» ist im FHNW-Schulhaus der Mittelpunkt einer grosszügigen Eingangs- und Treppenhalle. Er bildet, träumend, einen Gegenpol zum Gewusel der Studierenden und Lehrenden. Vielleicht mahnt er sie, als Erwachsene «die Träume ihrer Jugend nicht zu vergessen», wie der Marquis Posa in Schillers «Don Karlos».

Die Ausstellung im Affspace trägt den Titel «Eingiessen». Nicht nur der «Dreamer» wurde gegossen, sondern auch die sehr besonderen Symbole aus Polyurethan, mit denen der Signaletiker Emanuel Tschumi im Schulhaus Orientierung schafft; eines davon ist zu sehen. Der architektonische Prozess schliesslich ist durch einzelne Rastermodelle veranschaulicht.

Die Künstlerin Katja Schenker, die mit der Skulptur den Wettbewerb für Kunst am Bau gewann, suchte die Materialien zwei Jahre lang zusammen und füllte sie während Monaten in harter körperlicher Arbeit sorgfältig in die Schalung ein. Das Einräumen, Eingiessen, Schicht um Schicht aufbauen war ein Prozess, der einer Performance nahekommt. Katja Schenker, St. Gallerin in Zürich und dreimalige Gewinnerin des Swiss Art Award (früher Kunststipendium) der Eidgenossenschaft, versteht ihre Kunst immer auch körperlich.

Nummer 7 der Publikationsreihe «Kunst und Bau» im Vexer Verlag St. Gallen (2018), ist dem «Dreamer» gewidmet, ein Faltblatt, das die Skulptur in ihrem Umfeld erlebbar macht. Ein Buch mit Fotos von Martin Stollenwerk und Andrea Helbling bei Park Books gewährt noch tiefere Einblicke in den Prozess des Giessens und des Bauens.

Und? Vom Blick durchs Schaufenster auf den Klotz zum schrittweisen Erkennen, was er ist und wie er zum «Cut» wurde – ein wunderbarer Lernprozess. Erstaunlich gross für diesen kleinen Ort. 

Bis 19. April. Am 7. März Besichtigung der FHNW Muttenz und des «Dreamers». Am 2. April Gespräch zwischen der Künstlerin Katja Schenker, dem Architekten David Leuthold und dem Signaletiker Emanuel Tschumi. www.affspace.ch.