«Eine klare Verhärtung für Sans-Papiers»

von Karin Jenni 22. August 2014

Die Berner Beratungsstelle für Sans-Papiers setzt sich seit 2005 für Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung ein. Marianne Kilchenmann, die dort als Beraterin tätig ist, ist mit immer härteren Umständen konfrontiert.

In der Schweiz wohnen zwischen 90’000 und 250’000 Menschen ohne geregelten Aufenthalt. Trotz fehlender Aufenthaltsbewilligung stehen ihnen grundlegende Rechte zu: das Recht auf Hilfe in Notlagen etwa, der Besuch der obligatorischen Schule, der Beitritt zu einer Krankenversicherung oder das Recht zu heiraten.

Der 2005 gegründete Verein «Berner Beratungsstelle für Sans-Papiers» setzt sich ein für die Verbesserung der sozialen und rechtlichen Situation von Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung. Marianne Kilchenmann ist seit der Gründung des Vereins dort als Beraterin tätig. Journal B hat mit ihr über ihre Arbeit gesprochen.

Wen bezeichnet man eigentlich als Sans-Papiers?

Marianne Kilchenmann:

Als Sans-Papiers werden Menschen bezeichnet, die ohne gültige Aufenthaltspapiere in einem Land leben – was nicht heisst, dass sie deswegen über keine Identitätspapiere verfügen. Grundsätzlich können wir dabei von zwei Gruppen sprechen: Die eine Gruppe betrifft Menschen, die nie ein Asylgesuch gestellt haben und von welchen keine Stelle weiss, dass sie hier sind. Diese verfügen meist auch über Identitätspapiere, aber eben über keine Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz. Die meisten von ihnen gehen einer Arbeit nach und leben extrem unauffällig.

Die andere Gruppe betrifft Menschen, die ein Asylgesuch gestellt haben, das abgelehnt wurde oder auf das nicht eingetreten wurde. Aus verschiedenen Gründen sind diese nach dem negativen Entscheid aber trotzdem in der Schweiz verblieben. Sie sind den Behörden bekannt und beziehen oftmals auch Nothilfe. Von den rund 1800 Beratungen, die wir im letzten Jahr durchführen konnten, handelte es sich etwa bei der Hälfte um Personen, die einmal ein Asylgesuch gestellt hatte.

Was sind denn die häufigsten Anliegen?

Die Anliegen sind sehr vielfältig. Das häufigste Anliegen ist natürlich die Regelung des Aufenthaltes. In etwa 95 Prozent der Fälle ist dies nicht möglich. Oft geht es darum, über die Rechte aufzuklären und Zugang zu Informationen zu schaffen. Dabei analysieren wir gemeinsam mit den Ratsuchenden ihre Situation und suchen nach Lösungen. Themen sind beispielsweise der Zugang zur Bildung oder zum Gesundheitswesen, die Wohnsituation oder die Arbeitsbedingungen, eine Eheschliessung. Oder manchmal wird dringend ein kleiner finanzieller Zustupf benötigt. Bei abgewiesenen Asylsuchenden ist vor allem die ständige Bestrafung wegen illegalem Aufenthalt ein grosses Thema.

Das politische Klima rund um die Migrationsthematik ist rau. Kann die Beratungsstelle überhaupt noch helfen?

Gerade bei der Frage nach einer Aufenthaltsbewilligung müssen wir natürlich oft passen. Trotzdem können wir immer wieder kleine Erfolge erzielen. Es ist zum Beispiel viel Wert, eine Krankenkasse zu haben oder Kinder einzuschulen. Oder Hilfe bei Zahnschmerzen zu finden oder Unterstützung bei der Eheschliessung zu haben, denn ohne Aufenthaltsbewilligung kann eine Eheschliessung ein riesiger Hindernislauf sein. Es gibt zig kleine Schritte, welche die Situation der Ratsuchenden verbessern können. In vielen Fällen ist es auch wichtig, einfach zuzuhören und den Ratsuchenden die Möglichkeit zu bieten, für die Dauer eines Gesprächs sichtbar zu werden und ohne Angst ihr Leben jemandem erzählen zu können.

Sie sind seit fast zehn Jahren auf der Berner Beratungsstelle. Was hat sich in dieser Zeit verändert?

Es gibt eine klare Verhärtung. Vor zehn Jahren war noch eine gewisse Bereitschaft für eine grosszügigere Regelung von Sans-Papiers vorhanden. Dieser Goodwill ist heute ganz verschwunden. Die Schweiz schottet sich immer mehr ab. Es war immer schon schwierig. Aber es ist beispielsweise noch schwieriger geworden, von der Härtefallregelung Gebrauch zu machen. Viel verändert hat sich auch durch das Schwarzarbeitsgesetz: Es sollte eigentlich dafür sorgen, dass die Arbeits- und Lohnbedingungen eingehalten werden. Stattdessen wird hauptsächlich der Aufenthaltsstatus kontrolliert, was enorme Auswirkungen auf das Leben der Sans-Papiers hat.

Wo steht Bern im Vergleich zu anderen Kantonen?

Es gibt sehr viele regionale Unterschiede. Deswegen ist es uns eigentlich auch nur möglich, Menschen zu beraten, die im Kanton Bern wohnen. Es gibt solche Stellen auch in Zürich, Basel, Luzern oder Genf. Und auch im Kanton Bern selber gibt es grosse Unterschiede. Bei jedem Gesetz taucht die Frage der Anwendung und Umsetzung auf, und jede Stelle nutzt den Ermessensspielraum anders. Den Kanton Bern mit seinen vier Migrationsbehörden würde ich im Mittelfeld einordnen. Viele Sans-Papiers wohnen im urbanen Raum. Die Stadt Bern ist daher ein wichtiger Ansprechpartner für uns. Dort besteht auch eine gewisse Offenheit für unsere Anliegen.

Von wem wird die Beratungsstelle finanziell getragen?

Unsere Arbeit ist nur möglich dank unseren Mitgliedern und Spendern. Es sind viele einzelne Beträge. Von grosser Wichtigkeit sind auch die Landeskirchen, Kirchgemeinden, Mitgliedsorganisationen und Stiftungen. Wir sind aber unbedingt auf mehr Spenden angewiesen, weil die Nachfrage nach Beratungen unsere Stellenprozente bei weitem übersteigen. Darum führen wir auch den Solidaritätslauf für Sans-Papiers am 13. September durch und hoffen, dass viele daran teilnehmen werden.