Eine gewisse Grösse, doch auch nicht zu sehr

von Christoph Reichenau 24. Februar 2022

Nach sieben Jahren übergibt Valérie Knoll die Direktion der Kunsthalle an Kabelo Malatsie aus Südafrika. Was war, was bleibt und was kommt noch? Ein Gespräch.

Sieben Jahre dauert ein Direktorat in der Kunsthalle Bern. Sieben Jahre, das tönt biblisch, das ist ein Jahr mehr als eine Amtszeit am Bundesgericht, ist eine Lebensphase im Sinne der Anthroposophie, das sind fast zwei ordentliche Legislaturperioden eines Parlaments. Ist das viel oder wenig?

Es gewährleistet Wandel: In den letzten 60 Jahren hatte das Kunstmuseum Bern sechs Direktionen, die Kunsthalle deren neun. Unter diesen waren so prägende Figuren wie Harald Szeemann (1961-69), doch sämtliche waren auf ihre Art besonders. Der Turnus erzwingt stets neue Anfänge und nicht alles kann so zu Ende geführt werden, wie es vorgesehen war. Was einen langen Atem braucht, bleibt dann auf halbem Weg stecken oder unerfüllt. Wie etwa der Wunsch, die Kunsthalle mit der schweren Holztüre zu öffnen, um den Weg zur Kunst aufzuschliessen. Bis heute muss das Schild «offen» genügen.

Die Freiheit

Die Kunsthalle Bern, ein kleines Haus mit mächtiger Vergangenheit – wie ist sie gealtert? Sehr gut, sagt Valérie Knoll, Direktorin seit 2015, erste Leiterin in hundert Jahren. Das Renommee der Kunsthalle ist gross in aller Welt. Künstlerinnen und Künstler, Kuratorinnen und Kuratoren, Kritikerinnen und Kritiker nehmen wahr, was in Bern geschieht und sind neugierig darauf. Dies liegt gewiss an der Carte blanche, welche der Vereinsvorstand der Direktion einräumt und sie in deren Nutzung während sieben Jahren unterstützt.

Es ging Valérie Knoll um die Haltung, die sich im Machen von Kunst und in den Werken spiegelt.

«Freiheit muss man sich nehmen», war Meret Oppenheim überzeugt. Hier wird sie einem gegeben, formal, materiell, künstlerisch. Dennoch liegt es an der Sorgfalt, am Wagemut, an den Ideen, an der Bereitschaft der Direktion, sich zu exponieren und die Kunsthalle zu ihrem Leben zu machen. Es liegt an ihr, ob aus der Freiheit mehr wächst als ein Ausstellungsprogramm wie viele andere.

Die Räume seien wundervoll, mit ihnen zu arbeiten ein Geschenk, sagt Valérie Knoll. Die Geschichte des Ortes biete ein spannungsvolles Fundament. Sie setzte in ihren sieben Jahren zwei Schwerpunkte, die sich voneinander kaum trennen lassen: die Möglichkeiten der zeitgenössischen Malerei auszuloten und das Selbstverständnis der Künstlerinnen und Künstler zu erkunden. Es ging ihr um die Haltung, die sich im Machen von Kunst und in den Werken spiegelt. Davon ausgehend entwickelte die Direktorin ihre Erzählungen zusammen mit den Künstlerinnen und Künstlern.

Das Jubiläum

In ihre Zeit fiel das Jubiläumsjahr 2018. Lokal, national und international richtete sich sehr viel Aufmerksamkeit auf das Haus an der Kirchenfeldbrücke, dem vom Künstlerpaar Lang-Baumann am Hang zwischen Bäumen provisorisch auf Stelzen eine Bar angebaut wurde, die selbst ein architektonisch-poetisches Kunstwerk ist. Ein dichtes Programm spannte den Bogen von einer re-installierten Szeemann-Ausstellung und einer Schau zu Szeemanns Kuratoren-Verständnis sowie Höhepunkten seines Schaffens zu junger Gegenwartskunst. Es gelang, Junge anzuziehen, aber auch die «Szeemann-Generation» zurückzugewinnen. Durch die Wiederentdeckung der legendären Jahre wurde deren Geist vertrieben. Der Aufbruch ins zweite Jahrhundert ist geglückt.

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Das Archiv

Zum Jubiläum gehörte es, die Vergangenheit anzuschauen. Das Archiv der Kunsthalle war lange ein Geheimtipp. Nun ist es geordnet und zugänglich. Ein Beispiel: Die Fotos der 1984er Ausstellung von Meret Oppenheim in der Kunsthalle konnten für die eben zu Ende gegangene Schau im Kunstmuseum Bern genutzt werden. Das Archiv wird intensiv besucht, auch von internationaler Seite. Bei der Aufarbeitung liessen sich die Archiv-Laien der Kunsthalle beraten, etwa vom Stadtarchiv Bern, vom Sitterwerk St. Gallen, vom ETH-Archiv. Unschätzbar sei die Arbeit Zivildienstleistender und temporärer Mitarbeitender. Das Archiv als lebendiges Gedächtnis, als Quelle der Anregung – eine unspektakuläre Arbeit mit langem Nachhall.

Das Credo

Der Jubiläumsblick zurück auf die Art, wie sich Harry Szeemann als Kurator verstand und durch seine Ausstrahlung den Beruf wesentlich neu bestimmte, macht deutlich, wie sehr sich Valérie Knolls Art, 50 Jahre später, davon unterscheidet. Sie sieht sich als Autorin-Kuratorin, die Geschichten erzählt, die sich im Ausstellungsprogramm nach und nach entfalten und im Zusammenhang deutlich werden. In jeder Ausstellung will sie das Besondere der jeweiligen künstlerischen Sprache herausheben, ungeahnte Facetten sichtbar machen. Sie erklärt: «In einer von der kapitalistischen Logik geprägten Zeit, in der möglichst viel effizient verwertbar sein soll, wünsche ich mir eine Kunst, die das Andere verkörpert. Sie muss keinen Sinn herstellen, sie muss keine Funktion erfüllen. Wenn sie etwas muss, dann eine eigene Form und Sprache behaupten.»

Valérie Knoll bei der Vernissage der Ausstellung von Isa Genzken. (Foto: Sabine Burger)

Der Zugang

Nicht alle Kunst zeigt sich allen. Valérie Knoll glaubt an ein Publikum, das – neugierig und offen – Zugang findet. Die Ausstellungstexte ermöglichen eine Annäherung. Dies tun auch die in ihrem Direktorat gestärkten und ausdifferenzierten Vermittlungsangebote, neu besonders für Junge. Dass man nicht alles auf Anhieb oder überhaupt erfassen könne, meint sie, gehöre zur Kunst. (Dass man sich als Besucher*in in Ausstellungen nicht selten allein gelassen fühlt und gerne mehr Erklärungen hätte, muss man, manchmal zähneknirschend, in Kauf nehmen).

Die Aufmerksamkeit

In «ihren» sieben Jahren hat die Kunsthalle an Aufmerksamkeit gewonnen, ihr Publikum ist jünger geworden. Woran misst man die Aufmerksamkeit? An Besuchen wichtiger Akteur*innen in der Kunstwelt, an deren Teilnahme an Vernissagen, an Ausstellungsbesprechungen in allgemeinen Medien und in Fachpublikationen, an der Bereitschaft von Künstlerinnen und Künstlern, hierher zu kommen. In der Kunsthalle Bern auszustellen, ist für viele das Grösste, eine ganz aussergewöhnliche Einladung. Dazu trägt bei, dass die Zusammenarbeit von Valérie Knoll mit Künstlern zu einer Komplizenschaft wird, um bestmögliche Verhältnisse für die Entwicklung der Ausstellungen herzustellen.

Das Geld

Das Geld, über welches der Verein Kunsthalle dank Leistungsvereinbarung verfügt, stehe zum Renommee des Orts in einem Missverhältnis. Das gelte zum Beispiel für die bleibenden Publikationen, die grosse Bedeutung haben für die Künstlerinnen und Künstler, und die weltweit zirkulieren, deren Produktion aber nur eingeschränkt möglich ist. Dennoch gelang es Valérie Knoll, mit den ausstellenden Künstlerinnen und Künstler Publikationen zu machen. Sie führte auch Künstler-Honorare ein. Die Finanzbeschaffung sei indes schwierig. Firmen beteiligten sich in Form von Sponsoring kaum noch, die Stiftungslandschaft in der Schweiz sei überschaubar. Und vielfach habe die Öffentlichkeit ein übertriebenes Bild von der Höhe der Subventionen.

Die Zusammenarbeit

Ist etwas misslungen in den sieben Jahren? Valérie Knoll denkt nach. Nein, sie glaube nicht. Nicht alles sei jedoch vollendet. Die Zusammenarbeit mit vielen Akteurinnen und Akteuren in Bern sollte sich weiterentwickeln. So mit dem Kunstmuseum – jetzt gerade in der Doppelausstellung mit Jean-Frédéric Schnyder – oder die Kooperationen mit dem Robert Walser-Zentrum, dem Kino Rex, dem Lichtspiel, der Hochschule der Künste, dem Off-Space Grand Palais im ehemaligen Wartesaal des Worb-Bähnleins am Helvetiaplatz.

Apropos Helvetiaplatz: Valérie Knoll und andere aus dem Team der Kunsthalle sitzen in der Pause gern auf den Treppenstufen und betrachten das Geschehen dort. Es passiere wahnsinnig viel, aber halt immer vorübergehend. Der Platz sei interessant, man sollte ihn nicht zu sehr einhegen.

Und nun?

Und was macht sie nun, Valérie Knoll, die seit 15 Jahren an diversen Orten Ausstellungen kuratiert hat, mit Haut und Haar, für die die Kunsthalle ihr Leben war? Sie nimmt ein Sabbatical, wird nachdenken. Sie wird weiterarbeiten mit Künstlerinnen und Künstlern, frei oder an einem Haus. Aber das Haus bräuchte eine gewisse Grösse, doch nicht zu sehr. Wie die Kunsthalle, zum Beispiel.

Abschiedszeremonie für Valérie Knoll am 25. Februar, 16 Uhr. Vernissage der Ausstellung Jean-Frédéric Schnyder 18-21 Uhr.
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