Eine Galerie feiert, doch die Krisen sind nicht weg

von Christoph Reichenau 12. Oktober 2022

Elf Jahre besteht die Galerie da Mihi von Barbara Marbot und Hans Ryser. Seit 2017 ist sie an der Gerechtigkeitsgasse, wo zuvor Dorothe Freiburghaus während 47 Jahren den Kunstkeller geführt hatte. Der Weg dahin ist besonders, aber auch stellvertretend für andere. Ein Blick zurück und nach vorn.

Den Traum, sich mit Kunst zu beschäftigen, hatte Barbara Marbot schon als Mädchen. Auf einem Bauernhof in Illiswil aufgewachsen, lag dies nicht auf der Hand. Eine Künstlerin, die zeitweilig bei der Familie wohnte, entfachte das Feuer. Doch nach der Schule musste es etwas Handfestes sein.

Barbara Marbot absolvierte das Haushaltlehrerinnen-Seminar. Katharina Bütikofer war ihre Gestaltungslehrerin. Barbara erwarb in fünf Jahren Kenntnisse und Fertigkeiten in der Bearbeitung von Holz, Metall, Stoff und in der Umsetzung gestalterischer Vorstellungen.

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Sieben Jahre unterrichtete sie in Frauenfeld und Zürich, besuchte Ausstellungen, Museen, erkundete das Feld der visuellen Kunst, empfand zunehmend Interesse an selbständigem Arbeiten. Und studierte Betriebswirtschaft: Zahlen, Strukturen, Bilanzen, Businesspläne – Träume auf den Boden bringen. Barbara Marbot setzte ihre neue Kompetenz zuerst bei der Burgergemeinde Bern ein.

Zuerst online

Dann stellte sie 2010 den ersten Businessplan für eine Galerie auf. Zuerst allein, bald mit Hans Ryser. Die zwei wurden ein Paar und bauten zusammen die online-Galerie da Mihi AG auf, mailten Freundinnen, Freunde und Bekannte an, verteilten Flyer, verzichteten aber wegen der Kosten auf Werbung. Der Erfolg blieb aus.

Aber die beiden blieben dran. 2012 präsentierten sie im Zentrum Paul Klee ihre erste physische Ausstellung. Viele kamen, verkauft wurde einiges.

Ausgerechnet mit der Präsentation renommierter Künstler verdienten sie kein Geld.

Dann konnten sie während vier Monaten das Anliker-Haus nutzen, Ecke Bubenbergplatz/Schwanengasse, 2 Stockwerk. Es lief recht gut.

Mit dem Einzug eines Concept Stores mieteten sie im 1. Stock einen Galerie-Raum. Die Fixkosten lagen tief. Sie experimentierten im Haus, in dem Cup-Cakes gebacken und Kleider verkauft wurden. Ein neues Konzept, ungewohnt für Bern. In diesem Rahmen boten sie 2016 eine Ausstellung mit Werken von Le Corbusier und Fotos von René Burri. Sie wurde rege besucht, doch sie verdienten ausgerechnet mit dieser Präsentation renommierter Künstler kein Geld.

Weiterbildung

Nach diesem Ereignis begann Barbara Marbot an der Zürcher Hochschule der Künste eine Weiterbildung zum Master in Curating bei Dorothee Richter. Die Frage trieb sie um: Warum interessieren sich nur 1,5 Prozent der Bevölkerung für zeitgenössische Kunst? Sie suchte Antworten in der Geschichte der zeitgenössischen Kunst und der Kunstgalerien. Dabei stiess sie auf das, was sie als Galeristin wirklich wollte: Vielfalt zeigen, die Spannweite von Themen, Techniken, Formen, Materialien, mit denen Künstlerinnen und Künstler sich befassen. Sie sah darin die Chance, mit sehr vielen Menschen eine Beziehung herzustellen über Kunst, zur Kunst.

Lorenz Spring, Seerosen (7), Öl auf Leinwand, 90 x 110 cm

Während Barbara Marbot sich der Kunst als Friedensprojekt (so sieht sie es) näherte, studierte Hans Ryser den Kunstmarkt, die Beziehungen zwischen Käufer*innen und Verkäufer*innen den Weg des Geldes.

Der neue Ort

Ihr gemeinsames Fazit: Wir benötigen mehr Platz, um unsere Ideen umzusetzen. Im Anliker-Haus funktioniert es noch nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatten.

Dann kam Dorothe Freiburghaus auf sie zu. Nach 47 Jahren wollte sie den Kunstkeller an der Gerechtigkeitsgasse 40 schliessen. Oder besser: Jemandem übergeben, damit er in neuer Frische weitergeführt würde. Es passte. Beide Seiten waren einig. Die Burgergemeinde Bern, der das Haus gehört, sagte zu. Und wenige Wochen darauf, nach Installation der neuen Beleuchtung und einigen Auffrischungen öffnete im September 2017 im Kunstkeller die Galerie da Mihi – Contemporary Art. Barbara Marbot und Hans Ryser waren angekommen. Nach Jahren des Suchens, Versuchens, Scheiterns und neu Beginnens hatten sie ihren Ort gefunden.

Corona

Zwei intensive Jahre mit zahlreichen Ausstellungen folgten. Von den Künstler*innen waren einige schon von Dorothe Freiburghaus gezeigt worden: etwa Martin Ziegelmüller, Victorine Müller, Charlotte Hug. Und dann kam im Frühling 2020 Corona.

Die Ausstellungen sollen vielfältig sein, mit einer breiten Palette künstlerischer Ausdrucksformen und technischer Ausdrucksmittel.

Barbara Marbot und Hans Ryser besannen sich auf ihre online-Anfänge. Während des Lockdowns zeigten sie via Internet das Werk des Tages mit Einführung und bedienten Kund*innen mit dem Hauslieferdienst. Als die Regeln gelockert wurden, boten sie Besuchstermine im Halbstundentakt. Ein Kunst-Event auf dem Bauernhof, gestreamt via Youtube, fand viele Zuschauer*innen. Sie gaben nicht auf, sie blieben im Schwung.

Und jetzt, da Corona weiter droht, aber den grossen Schrecken verloren hat? Das Galeristen-Paar ist überzeugt, es habe «seine» Leute, die sich interessiert auf Vieles einliessen. Die Bereitschaft zum Kauf freilich habe durch das Empfinden der Krise abgenommen, es gebe Luft nach oben. Für das Programm da Mihi bedeutet dies: Die Galerie soll etwas bieten. Vielfältig sollen die Ausstellungen sein, mit einer breiten Palette künstlerischer Ausdrucksformen und technischer Ausdrucksmittel.

Wie weiter?

Da Mihi soll eine Galerie im Reigen der Berner Kunstgalerien sein. Diese sollen ihrerseits vermehrt Teil eines Gesamtbiotops für visuelle Kunst in der Bundesstadt bilden, mit den Off Spaces, den Museen, den Hochschulen, den Berufsverbänden.

Gemeinsam sind Aktivitäten gewünscht, um die Leute zur Kunst hinzubewegen, um die Bedeutung der Kunst für das Leben sichtbar, erlebbar zu machen, um, ja, ein System zu bauen, in dem alle, die sich für zeitgenössische Kunst engagieren, ihren Platz finden. Um letztlich zu erreichen, dass es mehr als 1,5 Prozent der Bevölkerung werden, die sich für zeitgenössische Kunst interessieren. Und um damit den heute schaffenden Künstler*innen zu mehr Wirkung in der Gesellschaft zu verhelfen. Weil eine Gesellschaft mit Kunst eine friedlichere Gesellschaft werden soll und werden kann.

Dafür setzt sich Barbara Marbot ein, unter anderem als Präsidentin des Vereins Berner Galerien und als Vorstandsmitglied im Verein der Freundinnen und Freunde des Kunstmuseums, aber auch als Mitinitiantin eines privaten Projekts für neue Formen der Kunstvermittlung. Sie sorgen sich beide, dass der Nachwuchs nicht gerade in die Galerien drängt, weder Künstler*innen noch Leiter*innen.

Künstler*innen verweigern sich vermehrt dem Kunstmarkt als kapitalistischem Phänomen. Galerien werden oft als kapitalistisches Geschäftsmodell wahrgenommen. Daran sind sie nicht unschuldig, denn ihre primäre Aufgabe sehen sie in der leidenschaftlichen Entdeckung von Kunst und deren Präsentation; erst in zweiter Linie kommt das Engagement gegen aussen, in die Gesellschaft hinein.

Ein Ansatz

Was beschäftigt Barbara Marbot und Hans Ryser mit Blick auf die nächsten Jahre abgesehen von dem, was uns alle beschäftigt und umtreibt? Es ist die Entwicklung des Kunstsystems: Wie erhalten junge Künstler*innen Sichtbarkeit und Bedeutung, wenn die Verweigerung gegenüber dem Kunstmarkt, in dem die Galerien ein Teil sind, weitergeht und zunimmt? Wandelt sich die Bedeutung der Kunstausbildung, wenn vielleicht 5 Prozent der Absolvent*innen die Kunst zum Beruf machen können, die vielen anderen aber auf einen Brotberuf angewiesen sind, um sich ihr Kunstschaffen leisten zu können? Wie kommen Ausstellungen in Galerien zu den Leuten, wenn die Medien kaum noch berichten, geschweige denn besprechen? Wo finden jene Künstler*innen, die dies wollen, eine Galerie, wenn der Galerist*innennachwuchs fehlt?

Marco Scorti, Sur l’autre rive, 2021, Gouache und Tempera auf Holz, 40 x 30 cm

Ein Lösungsansatz ist die Idee eines «Galerienhauses», ein Ort, den mehrere Galerien abwechselnd bespielen könnten. Der Teil eines grösseren Kulturorts sein könnte oder der abwechselnd unterschiedliche Orte nutzen könnte. Bern würde so ein gemeinsam gehegtes Biotop für die Kunst der Gegenwart.
Doch das ist erst eine Idee. Jetzt feiert die Galerie mit einer Werkschau vom 13. bis 22. Oktober.

Vernissage der Werkschau am 13. Oktober, 17-20 Uhr. Öffnungszeiten www.damihi.com.
Ein tolles Faltblatt illustriert die Geschichte der Galerie.