Freitagabend in der Markuskirche. Die Holztüren stehen weit offen, aus dem Kirchenschiff dröhnt lauter Bass. Das Sechsuhr-Glockengeläut mischt sich in den harten Technosound. Zwei Securitas stehen neben der Tür und plaudern miteinander. Noch ist nicht viel los. Die meisten Besucherinnen sitzen in der warmen Frühlingssonne und warten auf ihre Pizza, die vor der Kirche an einem Essensstand zubereitet wird. Später werden sie im leergeräumten Kirchenschiff zu Technobeats tanzen, der DJ hat sich schon unter dem gigantischen Wandbild eingerichtet, das Walter Clenin zwischen 1955 und 1966 geschaffen hat. Sein thronender Christus betrachtet von oben die ungewöhnliche Szenerie, die sich ihm bietet. Grüne Laserstrahlen geben ihm ein noch jenseitigeres Aussehen.
Ziel der MarkusBar ist es unter Anderem, in Austausch mit dem Quartier zu treten.
Im September 2024 wird der Umbau der Markuskirche und den umliegenden Gebäuden zum grossen «kirchlichen Quartierzentrum» beginnen. Bis dahin finden im Bau aus der Nachkriegszeit zahlreiche Zwischennnutzungen statt. Nachdem im letzten Herbst und Winter vier Gastronomen ein Restaurant ins Gotteshaus gesetzt haben, bleiben noch einige Monate bis die Bauarbeiten beginnen werden. «Wir wollten diese Zeit nicht ungenutzt verstreichen lassen», erklärt Markus Ryter, Präsident des Kirchgemeinderates Johannes. Die Kirchgemeinde Johannes arbeitet schon seit Jahren eng mit der Kirchgemeinde Markus zusammen, auf den 1. Januar 2025 werden sie fusionieren (Journal B berichtete, mehr zur Vorgeschichte im Beitrag von Rita Jost). «Stattdessen soll mit dem Projekt Blickwechsel weiterhin erprobt werden, wie die Gebäude nach dem Umbau als Quartierzentrum genutzt werden können.» Das kann so vielfältig sein wie die aktuellen Zwischennutzungen: von Techno Raves über Nutzung durch Architekturstudierende oder Fachhochschulen, Integrationsprojekte oder ein Barbetrieb, wie er am heutigen Freitag in Betrieb genommen wird. «Ziel der MarkusBar ist es unter Anderem, in Austausch mit dem Quartier zu treten», so Ryter, «idealerweise finden sich so einige Personen, die Interesse hätten, sich nach dem Umbau weiter im Quartierzentrum zu engagieren.»
Kirche soll im Nordquartier neu gedacht werden. Das muss sie auch. Schliesslich sind die Mitgliederzahlen in den letzten Jahren so stark zurückgegangen, dass damit auch die Finanzen stark geschrumpft sind. Die Kirchgemeinde Johannes hatte bei der letzten Zählung 2022 noch knapp fünftausend Mitglieder, die Gemeinde Markus 3151. Insgesamt gehören in der ehemals stark reformiert verwurzelten Stadt Bern noch rund 30% der reformierten Kirche an.
Für die aktiven Kirchengänger*innen unter ihnen wird es aber in Zukunft auch im umgebauten Zentrum weiterhin Gottesdienste und kirchliche Angebote geben. «Viele bestehende Angebote werden weitergeführt», erklärt Sonja Gerber, seit fünf Jahren Pfarrerin der Gemeinden Johannes und Markus. Natürlich habe es anfangs unter den regelmässigen Kirchenbesucher*innen auch Ängste gegeben. Aber oft hätten diese schon nur durch den temporären Umzug in die Johanneskirchgemeinde neue Angebote und Menschen kennengelernt. «Damit haben sich für viele neue Fenster geöffnet», so Gerber, «Es ist aber auch in Zukunft an uns, alle ins neue kirchliche Zentrum mitzunehmen.»
Neben kirchlichen Anlässen und der Nutzung der Räume durch Privatpersonen, Vereine oder Institutionen, die dafür einen Mietpreis bezahlen, sollen aber insbesondere auch Kooperationen zwischen der Kirchgemeinde und Nutzer*innen aus dem Quartier Platz im neuen Zentrum haben. Darauf freut sich die Pfarrerin besonders. Denn so werde sich die Kirchgemeinde mit vielen gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen müssen, die von aussen an sie herangetragen werden. «Für uns ist es eine Chance, relevant und nahe an den Anliegen der Menschen zu bleiben.» Und damit auch Kirche neu zu denken. «Für mich persönlich liegt die Aufgabe der Kirche in Zukunft weniger darin, Glaubensinhalte zu vermitteln», erklärt die Pfarrerin, «sondern vielmehr darin, zusammen mit den Menschen nach dem zu suchen, was Halt gibt im Leben.»