«Ein Viertel der Berner*innen darf nicht abstimmen»

von Redaktion Journal B & David Fürst 5. September 2024

Gemeinderatswahlen Ende November werden die fünf Sitze in der Stadtregierung neu besetzt. Jede Woche stellen wir euch hier eine*n der neun Kandidierenden vor. Heute: Ursina Anderegg. Die grüne Politikerin erzählt, wie sie sich Bern in 20 Jahren vorstellt und was sie an der Klimapolitik der Stadt ändern möchte.

Ursina Anderegg wohnt ganz in der Nähe des Monbijouparks. Das ist auch ein Grund, weshalb wir die grüne Politikerin dort zum Fototermin treffen. Ausserdem ist sie Präsidentin des Dachverbandes für offene Arbeit mit Kindern, dazu gehört auch der Chinderchübu, der hier gleich um die Ecke anzutreffen ist.

Was mögen Sie besonders an der Stadt Bern?  

Bern ist eine sehr lebendige Stadt mit einem vielfältigen Kulturangebot und unglaublich vielen engagierten Menschen. Ich war für die Erarbeitung von meinem Wahlprogramm in den letzten Monaten bei über 40 Vereinen und Gruppen zu Besuch und habe mit ihnen über die Stadtpolitik diskutiert. Egal ob Gewerbetreibende, Kulturschaffende, Quartiervereine, Naturschutzgruppen oder Sportvereine: Mich beeindruckt wie viele Menschen sich gemeinsam mit anderen für eine lebenswerte Stadt einsetzen und wie viel Freiwilligenarbeit hier geleistet wird. Ich konnte viel lernen und Ideen und Vorschläge für die Stadtpolitik mitnehmen.

Schade ist, dass in den letzten Jahren der Klimaschutz viel zu wenig Priorität hatte.

Was fehlt Bern noch?  

Da fallen mir einige Dinge ein! Es fehlen Solaranlagen auf allen geeigneten Dächern und Fassaden, mehr fossilfreie Heizungen, autofreie Quartiere, genügend bezahlbarer Wohnraum, ein städtischer Mindestlohn, flächendeckend soziale Unterstützungsangebote in allen Quartieren oder eine für alle zugängliche Kita-Versorgung. Und wir müssen bedenken, dass ein Viertel der Berner*innen nicht abstimmen und wählen dürfen. Es ist wichtig, dass wir dieses Demokratiedefizit im Auge behalten und versuchen, möglichst alle in die Stadtentwicklung miteinzubeziehen.

(Foto: David Fürst)

Wie informieren Sie sich über das Geschehen in Bern?

Über verschiedene Medien, dazu gehört Tamedia, aber auch Journal B, Hauptstadt oder Anzeiger, RaBe und SRF Regionaljournal. Einiges verfolge ich auch via social media, mir ist es aber gleichzeitig wichtig, den Menschen in der Stadt Bern persönlich zu begegnen, ihnen direkt zuzuhören und nicht nur Videos auf einem Bildschirm anzuschauen. Deshalb bin ich auch viel unterwegs in unterschiedlichen Netzwerken und treffe verschiedene Menschen.

Wo hapert es in der Gemeinderatspolitik?

Die Stadt hat sich in den letzten Jahrzehnten dank der RGM-Mehrheit im Gemeinderat sehr positiv entwickelt. Die Lebensqualität ist hoch und Bern ist eine solidarische Stadt. Viele Menschen wollen hier leben. Schade ist, dass in den letzten Jahren der Klimaschutz viel zu wenig Priorität hatte. Das will ich ändern. Zudem brauchen wir dringend mehr bezahlbaren Wohnraum und müssen mehr in die Armutsbekämpfung investieren.

Bern soll in 20 Jahren autofrei sein, die dadurch freigewordenen Flächen entsiegelt und  Menschen und der Natur zur Verfügung stehen.


Welche Direktion würden Sie am liebsten übernehmen?

Ich kenne die Stadtpolitik sehr gut in ihrer Breite und sehe in allen Direktionen Gebiete, in denen ich meine Politik vorantreiben kann. Für die Bekämpfung der Klima- und Armutskrise sowie das Vorantreiben einer chancengerechten und inklusiven Stadt müssen in allen Direktionen alle Hebel genutzt werden. Dies ist es auch, weshalb ich gerne im Gemeinderat mitarbeiten will:  Handlungsspielräume ausloten und konkrete Lösungen erarbeiten.

(Foto: David Fürst)

Was möchten Sie in den nächsten vier Jahren im Gemeinderat anstossen? 

Ich habe über den Sommer ein Wahlprogramm mit 27 Punkten erarbeitet. Im Zentrum steht für mich zurzeit die Priorisierung des Klimaschutzes, auch finanzpolitisch. Denn da ist die Stadt Bern massiv im Rückstand. Aber es gibt auch weitere ganz konkrete Projekte, die ich anpacken möchte, z.B. die Einführung einer städtischen Mietzinskontrolle bei Sanierungen, damit die Mieten nicht immer weiter steigen. Oder ein zusätzliches Angebot der offenen Arbeit mit Kindern sowie aufsuchende Jugendarbeit in allen Stadtteilen. Zudem möchte ich mich dafür engagieren, dass Kulturschaffende besser sozial abgesichert werden.

Wie soll Bern in 20 Jahren aussehen?

Bern ist in 20 Jahren autofrei, die dadurch freigewordenen Flächen sind entsiegelt und stehen Menschen und der Natur zur Verfügung. Weil der übrige Verkehr dekarbonisiert wurde, sowie dank Solaranlagen, Wärmepumpen, Fernwärme und der Nutzung von Abwärme hat die Stadt ihr Netto-Null-Ziel seit 4 Jahren erreicht, wie es die Klimagerechtigkeitsinitiative fordert. Städtische Pilotprojekte gegen Armut und für eine bessere Verteilung des Reichtums haben sich im ganzen Kanton durchgesetzt, ein Mindestlohn wurde eingeführt und die Allmend steht noch immer allen zur Verfügung.