«Ein unersetzliches Wunder»

von Rita Jost 17. März 2025

Musik Zum 17. Jahrestag der Unabhängigkeit Kosovos spielt die kosovarische Philharmonie im Casino. Unsere Kolumnistin war mit Rita Jost vor Ort. Ein Gespräch nach dem Konzert.

Journal B: Ein volles Casino, ein glanzvolles Konzert mit Kompositionen von kosovarischen Künstler*innen und eine Riesenbegeisterung im Publikum: Ich fand das Konzert sehr berührend. Wie ging es dir?

Basrie Sakiri-Murati: Das Konzert hat in mich tief bewegt. Vor lauter Glück hätte ich das ganze Orchester umarmen können. Es war so schön, aber es kamen auch viele Erinnerungen hoch: Freude und Trauer prallten bei mir aufeinander und überwältigten mich.

Woran denkst du konkret?

Allein die Tatsache, dass die kosovarische Philharmonie mitten in Bern spielte, hat mich sehr berührt. Hätte mir das jemand vor 35 Jahren gesagt, hätte ich es nicht geglaubt. Damals demonstrierten wir auf den Strassen von Bern für unsere Freiheit und Gerechtigkeit. Heute ist der Saal des Casino voll mit Landsleuten (und einigen wenigen Schweizer*innen…), die kosovarische Philharmonie spielt und alle sind restlos begeistert.

Unsere Kolumnistin Basrie Sakiri-Murati am Konzert in Bern  (Foto: Rita Jost).

 

Wie wichtig ist die kosovarische Philharmonie für den Kosovo?

Die kosovarische Philharmonie ist für den Kosovo sehr wichtig. Du musst wissen, sie ist erst 2000, also nach dem Krieg, von mehreren prominenten kosovarischen Musikern gegründet worden, als Nachfolgerin des ehemaligen Radio- und Fernsehsinfonieorchesters von Pristina. Dessen Tätigkeit war 1990 vom serbischen Regime gewaltsam aufgelöst worden. Die kosovarische Philharmonie ist ein Symbol des Überlebens und der Wiederbelebung.

Ich habe gesehen, du hast die Musiker*innen sehr genau beobachtet. Was ist dir aufgefallen?

Mir ist aufgefallen, dass es viel mehr Frauen im Orchester hat, als zu meinen Zeiten im Kosovo. Das habe ich mit Freuden festgestellt. Es ist für mich ein Zeichen, dass meine Heimat nach der Befreiung von Serbien, begonnen hat, ernst zu machen mit dem Ablegen von patriarchalischen Traditionen. Das Patriarchat verwehrte den albanischen Frauen ja unter anderem auch das Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben.

Ich fühlte mich, als ob ich im Kosovo wäre

Das erste Musikstück hat dich besonders ergriffen.

Ja, das Konzert begann (nach den Nationalhymnen von Kosovo und der Schweiz!) mit «Baresha» von Rexho Mulliqi. Bereits beim ersten Ton bekam ich Hühnerhaut. Viele Erinnerungen aus der Vergangenheit kamen hoch. Ich hatte Tränen in den Augen. Ich wollte nicht, dass meine beiden Freundinnen es merkten. Deshalb drehte ich meinen Kopf zur Seite. Da merkte ich, dass meine Sitznachbarin, eine junge Albanerin, sich auch Tränen aus den Augen wischte. Ich steckte ihr ein Taschentuch zu und sagte leise zu ihr: «Mrekulli e pazevendsueshme» (ein unersetzliches Wunder).

Warum ist das Lied Baresha so bedeutungsvoll für den Kosovo?

«Baresha» ist im Kosovo ein Juwel, in diesem Lied sind viele alte Folkloreelemente erhalten. Das Lied wurde von der albanischen Musik-Diva, Nexhmije Pagarusha, gesungen. Nexhmije hatte ihre Karriere bereits 1948 begonnen. Für damalige Verhältnisse fast unvorstellbar. Sie war eine der ersten kosovarischen Sängerinnen, welche sich als Frau durchsetzte. Trotz des patriarchalischen Systems leistete sie mit ihrer Musik über vierzig Jahre einen unersetzlichen Beitrag. Nexhmije ist für mich und viele Albaner*innen ein Vorbild. Sie war und ist ein Star in der albanischen Musik. Sie ist nicht nur unter Albaner*innen bekannt, sondern im ganzen Balkanraum.

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Dann war das Konzert ein bisschen wie Heimkommen für dich. Das Publikum bestand ja fast ausschliesslich aus Menschen mit kosovoalbanischen Wurzeln. Wie war das für dich?

Ich fühlte mich, als ob ich im Kosovo wäre. Obwohl ich seit fast 36 Jahren in der Schweiz lebe, wenn ich albanische Musik höre, bin ich jedes Mal aufgewühlt. Ein Jahrzehnt lang wurde in meiner Heimat die albanische Kultur durch die serbische Regierung verboten. Dann kam der Krieg, in dem wir als Nation ums Überleben kämpfen mussten. Viele Musiker und Künstler waren aus dem Land vertrieben worden.

Die vielen Landsleute im Casino bestätigten mir einmal mehr, wie solidarisch Kosovoalbaner*innen sind. Sogar aus Frankreich und Deutschland sind Leute nach Bern gereist, um den Abend nicht zu verpassen. Besonders freute ich mich über die vielen jungen Leute, also die zweite Generation. Ich finde es wichtig, dass sie die Kultur nicht vergessen, für die ihre Eltern so viel geopfert haben.

Basrie Sakiri-Murati im Gespräch mit dem Botschafter des Kosovo in Bern,  Mentor Latifi (Foto: Rita Jost).