Ein Stück Gerechtigkeit für die gambische Zivilbevölkerung

von Hannah Ambass 19. Mai 2024

Gerichtsprozess Das Bundesstrafgericht hat den ehemaligen Innenminister von Gambia, Ousman Sonko, zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Er kam als Asylsuchender nach Bern, weshalb er in der Schweiz angezeigt werden konnte.

Wir betreten das Gebäude und müssen am Empfang einen Ausweis abgeben, wofür wir einen Visitor-Badge erhalten. Danach gehen wir durch eine Sicherheitskontrolle, die man sich wie am Flughafen vorstellen kann. Im Gerichtssaal, den wir bereits von unserem Besuch im März kennen, suchen wir uns einen Platz in den hinteren Reihen. Wir sind gespannt, wie das Urteil ausfallen wird.

Lange müssen wir darauf nicht warten: Die Richter*innen betreten pünktlich um 11.00 Uhr den Saal und alle Anwesenden erheben sich kurz. Schlagartig wird es still, die Spannung ist fast greifbar. Heute anwesend sind gambische und schweizerische Journalist*innen, eine geschädigte Person, Privatklägervertreterinnen, die Bundesanwältin, der Verteidiger, Vertreter*innen von NGOs, und wir. Lena, eine leidenschaftliche Jusstudentin und ich, ihre schreibfreudige Schwester und Freelance-Journalistin.

Der «Folterkommandant» Ousman Sonko

Die Anklageschrift gegen Ousman Sonko ist 142 Seiten lang und voller brutaler Taten, die ihm zu dem Übernamen «Folterkommandant von Gambia» verholfen haben. Unter anderem wird ihm Vergewaltigung, Folter und Tötung vorgeworfen. Die Taten, auf die der Richter nach der Urteilsverkündung nochmals eingeht, sind grauenvoll und lassen im Gerichtssaal wohl niemanden kalt.

Nach einer steilen Militärkarriere in der Gambia National Army, wurde er 2006 unter dem Diktatoren Yahya Jammeh zum Innenminister Gambias ernannt. Die gambische Zivilbevölkerung wurde auf höchster Ebene systematisch unterdrückt. Von den «Junglers», der Geheimarmee des ehemaligen Präsidenten, wurden zwischen 2003 und 2016 über 70 Personen getötet. Medienschaffende wurden entführt, gefoltert und eingeschüchtert, und damit die Pressefreiheit unterdrückt. Sonko hatte bei den Straftaten teils eine aktive Rolle, teils lässt er diese unter seiner Aufsicht geschehen. Der Richter spricht von einer «fortlaufenden Kreation der Straflosigkeit bei Fehlverhalten von Beamten».

Für die gambische Bevölkerung ist das heutige Urteil ein Gewinn und ein wichtiger Schritt in der Aufarbeitung der Vergangenheit

Der Beschuldigte sitzt einige Reihen vor uns, auf der linken Seite eines Ganges durch die Mitte des Saals. Er sieht wie ein ganz normaler, netter Mann aus, hat eine etwas geduckte Haltung und regt sich während der ganzen Urteilsverkündung kaum. Vermutlich ist das dem Umstand geschuldet, dass er nichts versteht: Der gesamte Prozess wird auf deutsch geführt und nur sehr punktuell übersetzt. Sonko sowie die gambischen Journalist*innen verstehen also kein Wort, was schon während des Prozesses im Januar und im März zu Kritik am Bundesstrafgericht führte.

Zu Sonkos Linken sitzt seine Tochter, rechts sein Anwalt Philippe Currat. Auf der rechten Seite des Ganges in den vordersten Reihen sitzen Privatkläger*innen, die Bundesanwältin Sabrina Beyeler sowie 6 Rechtsanwältinnen, die die Privatkläger*innen vertreten. Im März hatten wir einige ihrer Plädoyers gehört. Die Bundesanwältin, die die Anklage vertritt, forderte eine lebenslange Haftstrafe, der Verteidiger von Ousman Sonko verlangt den Freispruch.

Sonko in einem Berner Asylzentrum

2016, kurz bevor Yahya Jammeh gestürzt wurde, zerwarfen sich die beiden Staatsoberhäupter und Ousman Sonko floh aus Gambia. Er beantragte zunächst Asyl in Schweden. Sein Antrag wurde abgelehnt, und er versuchte es in der Schweiz. Er war derweil im Asylzentrum Kappelen unweit der Stadt Bern untergebracht. Als ihn ein Landsmann erkannte und publik wurde, dass er sich in Bern aufhielt, wurde die NGO Trial International aktiv und erhob Strafanzeige gegen Ousman Sonko, woraufhin man ihn verhaftete.

Im April 2023 klagte ihn die Bundesanwaltschaft schliesslich an. Nachdem er rund 7 Jahre lang in Untersuchungshaft sass, startete sein Prozess im Januar 2024, wurde im März fortgesetzt und nun folgte die Urteilsverkündung. Für das Bundesstrafgericht bleibt kein Zweifel: Ousman Sonko wird der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen. 20 Jahre Freiheitsstrafe und 12 Jahre Landesverweis.

Für das Bundesstrafgericht bleibt kein Zweifel: Ousman Sonko wird der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen (Foto: Hannah Ambass).

Nach der zweistündigen Urteilsverkündung werden vor dem Gerichtsgebäude Interviews geführt. Die Medienpräsenz ist gross, bereits während wir noch im Gerichtssaal sassen, konnten wir die ersten Headlines lesen. Gambische Journalist*innen, die Rechtsanwältinnen und die Bundesanwältin äussern sich zufrieden mit dem Urteil. Nachdem Sanna Camara vor die Schweizer Medien getreten ist, nutzen auch wir die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Er ist gambischer Journalist und erzählt uns, dass er selbst Opfer der Jammeh-Diktatur war. Weil man ihn in Gambia verfolgte, lebte er mehrere Jahre im Exil. Für die gambische Bevölkerung sei das heutige Urteil ein Gewinn und ein wichtiger Schritt in der Aufarbeitung der Vergangenheit.

Das Weltrechtsprinzip und die Frage nach der Zuständigkeit

Es ist erst das zweite Mal, dass in der Schweiz jemand gestützt auf das Weltrechtsprinzip verurteilt wird. Und es ist der ranghöchste Staatsmann, dem in Europa der Prozess gemacht wird.

Das Weltrechtsprinzip birgt grosses Potenzial, welches längst nicht ausgeschöpft ist

Der Fall um Ousman Sonko war für die Schweiz in vielerlei Hinsicht einzigartig. Selten musste ein Schweizer Gericht so schwerwiegende Verbrechen beurteilen. Die Ermittlungen dauerten aufgrund der Komplexität und Vielzahl der Fälle über Jahre, und es gibt weltweit erst wenig Rechtssprechung bezüglich der «universellen Gerichtsbarkeit» –oder eben des Weltrechtsprinzips.

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«Das Weltrechtsprinzip meint die Möglichkeit aller Staaten, eine Person, die mutmasslich irgendwo auf der Welt gewisse, sich gegen die Interessen der internationalen Gemeinschaft richtende Straftaten begangen hat, nach den nationalen Gesetzen zu verfolgen und allenfalls zu bestrafen. Eine solche universelle Gerichtsbarkeit ist ein wichtiges Instrument dafür, Machthaber vor Gericht zu bringen, die in ihren Herkunftsländern oftmals ungeschoren davonkämen. Das Weltrechtsprinzip birgt grosses Potenzial, welches längst nicht ausgeschöpft ist», erklärt Lena. Normalerweise kann ein Staat strafrechtlich nur aktiv werden, wenn entweder Täter*innen oder Opfer Staatsbürger*innen sind, oder die Tat auf eigenem Staatsgebiet stattfand. Die Schweiz hat im Zuge der Umsetzung des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs 2011 den Artikel 264m in das Strafgesetzbuch aufgenommen, welcher hierzulande die gesetzliche Basis für die Verhaftung Sonkos bildet.

Allerdings müssen die Einzeltaten im Kontext einer Gesamttat stehen. Bei den meisten Anklagepunkten wie Folter, Freiheitsberaubung und Tötung konnte das Gericht diesen Zusammenhang feststellen. Allerdings wurde das Verfahren in zwei Anklagepunkten eingestellt. Bei der Vergewaltigung bzw. mehrfachen Vergewaltigung zweier Frauen stellte das Gericht fest, dass das Motiv sexueller Natur war und die Taten keinen Konnex zur Gesamttat aufweisen. Daher bestand keine Zuständigkeit des Schweizer Gerichts nach dem Weltrechtsprinzip.

(Foto: Hannah Ambass)