(Anmerkung der Redaktion: Im Folgenden lesen Sie das Referat zur Eröffnung der Ausstellung «Jürg Hafen – Fotograf & Szenegänger», Galerie Kornhausforum Bern, 21. Oktober 2015)
In einem Videoselbstporträt hat Jürg Hafen 1977 Freunde und Freundinnen gefragt, wie sie ihn beschreiben würden. Unter den Befragten war der Kulturphilosoph Gehard Johann Lischka, eine Leitfigur der Berner Szene schon damals. Nicht weiter verwunderlich, dass seine Antwort die weitaus längste war unter den von Jürg Hafen zusammen montierten Statements. Ich zitiere daraus: «Also, wenn mich Jürg Hafen nach einer Beschreibung seiner Person fragt, so kommt mir zuerst in den Sinn, dass ich lange gar nicht wusste, dass er Hafen hiess, und ich fand es seltsam, dass er Hafen hiess. Dann, als nächstes fällt mir auf, dass ich ihn praktisch nur an Bars treffe, und dass er für mich ein typischer Barmensch ist, vielleicht bin ich selber auch einer, das heisst, er lungert am liebsten dort in möglichst schöner Position herum, sagt meistens nichts, oder, besser gesagt, sagt gar nichts, und das macht es auch schwierig, über ihn irgendetwas auszusagen, denn, da er selber nichts sagt, weiss man gar nicht so recht, was er so von den Sachen hält, was ihn bedrückt, oder was ihn so beschäftigt.»
Ja, der Lischka wusste zu formulieren, und hat hier, in ein paar elegant hingeworfenen Sätzen, ein eigentlich fast rundes Charakterbild von Jürg Hafen entworfen. Der Schweigsame, der Undurchsichtige, einer, den man fast nie nicht lächeln sah, der auf eine schöne Art herzlich war, und auch ein wenig geheimnisvoll. Aber, schreibt Samuel Mumenthaler, der Chronist und Dokumentarist der Schweizer Popmusik, in der «Berner Zeitung»: «Er – Jürg Hafen – durchschaute sie alle, und er entblösste das weiche Innere unter der harten Schale.»
Er durchschaute sie alle. Er hat zwar wenig geredet, aber er hat hingeschaut, sich hineingeschaut in das, was sich um ihn herum ereignete. Darum musste er vielleicht so oft schweigen, er hatte anderes zu tun. Hineingeschaut hat er aber nicht nur bei den anderen, sondern ebenso bei sich selber. Wie ein roter Faden zieht sich die Selbstreflexion durch Jürg Hafens fotografisches Schaffen. Immer wieder hat er das Objektiv gegen sich selber gerichtet. Er liebte das Spiel der Masken, aber er konnte – in der Serie «The Mornings After» etwa – sich selber gegenüber auch ganz schön erbarmungslos sein, bei aller Ironie, die gerade auch von den Polaroid-Bildern dieser Arbeit ausgeht. Der einfühlsame Blick auf die Menschen, die er fotografierte, diese Sensibilität, die ihm eigen war, egal, ob er Werbung machte oder dort dabei war, wo die wirklich wichtigen Dinge passierten – dieser einfühlsame Blick wurde in den Selbstporträts zu einem bohrenden Blick. Da war einer intensiv auf der Suche nach sich selber.
So urban, so fiebrig und ein wenig verrucht einem das alles vorkommen mag, was die meisten der hier ausgestellten Bilder vermitteln, es ist Bern. Bern zwischen den 70er- und den 90er-Jahren – etwas vereinfacht gesagt: Bern in den zehn Jahren vor und den ersten zehn Jahren nach der Besetzung der Reitschule. Und der Fotograf, der die Bilder aufgenommen hat, stammte aus der Provinz – 1951 kam Jürg Hafen in Herzogenbuchsee zur Welt – und lebte lange auf dem Land, im Rufsgut in Rechthalten.
Natürlich hat Jürg Hafen auch dort fotografiert, und er hat auf Reisen fotografiert, aber der Grossteil der im Nachlass greifbaren Aufnahmen ist hier, in weiteren Umfeld von Bern, entstanden. Jürg Hafen hat sich rasch einen Namen als Werbe- und Modefotograf geschaffen, die Berner Werbeagenturen waren gute Auftragsgeber. Aus seinen Inszenierungen städtischer Alltagssituationen wurde eine Plakatserie für den «Bund» – und eines der Plakate 1982 zum besten der Schweiz gekürt. Es war das erste Mal, dass sich der «Bund» mit einer so lockeren Kampagne als Stadtzeitung profilierte.
Aber Jürg Hafen war auch künstlerisch tätig, die neuen schnellen Medien, Polaroid, Video, Farbkopien, faszinierten ihn. Und er machte auch noch Musik, mit Starter, das heisst mit Francis Foss, Claudine J. Chirac und zu Beginn kurze Zeit auch Stephan Eicher. Synthies, Computer, Mehrspulmaschinen, Electro-Sound, der sich, wie die Gruppe selber sagte, «aus der Berner Art-Punk-Szene» entwickelt hat. Punk, New Wave – auch das sind Stichworte für Jürg Hafens Biografie. Francis Foss eröffnete 1977 zusammen mit Guy Froidevaux den Trend-Shop Olmo, an der Laupenstrasse gab es den Club Spex und im 1. Stock die AK Olmo Galerie – da wehte ein strenger Hauch von rohem Zeitgeist durch die Stadt, das Leben wollte wieder einmal neu erfunden sein, und Jürg Hafen war dabei, als Fotograf, als Szenegänger.
Und schliesslich gab es auch noch den Film. Hafen arbeitete bei mehreren Schweizer Filmen als Beleuchter, Kameraassistent und Standfotograf mit. Er war mit Urs Egger im Neuenburger Jura, als dieser dort seinen ersten Film, «Eiskalte Vögel», drehte. Die Vögel waren zwei Vertreter, der ziellos umher irrten. Den einen Vogel spielte Balthasar Burkhard. Er bildete sich ziemlich etwas darauf ein, dass er nun auch Filmschauspieler war – es bleib dann allerdings bei diesem einen grossen Auftritt. Die junge Schöne im Film war eine Entdeckung: Esther Christinat, die später als Esther Gemsch zur Charakterdarstellerin wurde, unter anderem in «Lüthi & Blanc». Jürg Hafen war auch mit Pio Corradi auf dem Münster, als dieser durch eine dort hinauf geschleppte Taxitür in einem langen Schwenk die Schlusseinstellung von «Winterstadt» gefilmt hat. Im Film lief dazu dann «Campari Soda».
Nach Jürg Hafens Tod 1998 kam sein Nachlass zu seiner langjährigen Lebenspartnerin Gina Codoni. Der Nachlass ist fragmentarisch, vieles fehlt, oft sind Kontaktbögen die einzigen Bildbelege. Die Ausstellung, die ganz auf den Nachlass baut, zeigt erstmals in dieser Breite einen Überblick über das fotografische Schaffen von Jürg Hafen. Sie thematisiert alle seine Schaffensbereiche: Werbung, Mode, Szene- und Konzertfotografie, künstlerische Arbeiten, Polaroid, Video. Die Mehrheit der hier gezeigten Aufnahmen sind Originalbilder, sie werden durch eine Reihe von neuen Abzügen ergänzt.
Jürg Hafen ist eine Art Berichterstatter über das andere Bern. Seine Bilder – jetzt ausdrücklich seine Szene- und Kunstbilder – sind für uns heute Beweisstücke. Ja, das hat alles stattgefunden in dieser braven Stadt. Und – ab einem gewissen Alter: ja, wir sind dabei gewesen. Das kann uns niemand nehmen: Dieses Gefühl – nein, es ist mehr eine Haltung –, auf der anderen, der falschen Seite der Strasse gehen zu wollen, das sich von Generation zu Generation überträgt, in immer wieder neuen Formen: von den 50er-Jahren bis heute. Bern hat, auch wenn man es der Stadt auf den ersten Blick nicht geben würde, eine lange gegenkulturelle Tradition. Davon erzählt, dafür steht diese Ausstellung.