Matthias Frehner trat 2002 im Kunstmuseum Bern (KMB) eine undankbare Aufgabe an. Sein Vorgänger Toni Stooss hatte ein beträchtliches Defizit hinterlassen und ein Vakuum in der Beziehung zu dem im Aufbau befindlichen Zentrum Paul Klee (ZPK). Die Klee-Stiftung, bisher Publikumsmagnet des KMB, sollte ins ZPK überführt werden. Das KMB fürchtete einen Bedeutungsverlust. Es brauchte einen neuen thematischen Schwerpunkt und fand ihn in der Gegenwartskunst.
Doch anstatt die im KMB pulsierende Gegenwartskunst zu stärken, entliess Frehner bald in zeitgenössischer Kunst erfahrene Kuratoren und dämpfte die diesbezügliche Ideenkraft. Er überliess das Feld der aus der Stiftung Kunsthalle gespeisten Bewegung mit ihrem Konzept «Wanderndes Zeitfenster», wonach die jeweils in den letzten 25 Jahren entstandene Kunst als «gegenwärtig» gelten sollte.
Ein konstruktives und vorausblickendes Verhältnis zum ZPK aufzubauen, gelang Frehner nicht. Allerdings hatte er es schwer. Der Stiftungsrat des KMB, allen voran der Präsident Christoph Schäublin, bestand gegenüber dem werdenden Zentrum mit der Überheblichkeit von 125 Jahren Vorsprung auf Abwehr, Distanz, Diffamierung. Der Newcomer in Bern, in einer Double-Bind-Beziehung einerseits als eine Art Ziehsohn, andererseits als Untergebener des Präsidenten verstrickt, konnte kein unabhängiges Profil entwickeln. Er war nicht erste Wahl gewesen und verdankte seine Position dem Verzicht anderer. Dies muss nach Jahren als unbestrittener Leiter der Sammlung Oskar Reinhardt am Römerholz in Winterthur und als renommierter Kunstredaktor der NZZ ein harter Wechsel gewesen sein. Hart auch, weil die renommierte Kunstsammlung Imobersteg nicht in Bern blieb (Filiale Oberhofen des KMB), sondern nach Basel zog.
Zum Glück kamen bald neue Chancen. Doch die Kunstsammlung des Industriellen Gerlinger mit Schwerpunkt von Malern der »Brücke» kam nicht ins KMB. Und Hansjörg Wyss widerrief 2004 seine Schenkung zu Gunsten der Abteilung Gegenwartskunst im Proger – seitdem scheiterten weitere Projekte, das KMB für Gegenwartskunst zu erweitern.
Misslungen sind auch praktisch alle Versuche der Annäherung zwischen dem willigen ZPK und dem widerstrebenden KMB. Die Fusionsabsicht gemäss kantonaler Kulturstrategie 2009 wurde im Grossen Rat auf Betreiben des KMB deutlich abgeschwächt. Dennoch glaubte man nicht selten bei Frehner Offenheit und Bereitschaft zu spüren, doch sein nächstes Gespräch mit dem Präsidenten liess die Blütenträume erfrieren. Allen eigenen Schwierigkeiten zum Trotz sah sich das KMB auf dem hohen Ross. Derweil laborierte das ZPK an den Folgen jahrelanger Untersubventionierung und bestätigte paradoxerweise den Eindruck, es sei finanziell gesehen ein «Fass ohne Boden».
Als 2015 auf Druck des kantonalen Erziehungsdirektors die Dachstiftung KMB-ZPK gegründet wurde, kam Matthias Frehner nicht in Betracht für die Gesamtleitung. Jetzt, da er aus dem Schatten des ehemaligen Präsidenten hätte treten können, wurde ihm die weniger erfahrene Nina Zimmer vorgezogen.
Durchzogen ist die temporäre Anbindung der Kunstsammlung Hahnloser: Die Vorteile sind bei der Stiftung, die in Bern überwintert, bis sie nach Winterthur zurückkehren kann. Die Kosten trägt das KMB, das Restaurierung, Konservierung und Versicherung berappt – aber auch eine funkelnde Ausstellung schöner Bilder zeigen konnte.
Ein neues Tätigkeitsfeld eröffnete sich für Frehner 2014 mit der Erbschaft von Cornelius Gurlitt. Dafür setzte er sich ein. Auch für die Erforschung der Herkunft der Kunstwerke bewies er nun – nach Jahren des Zauderns – Sinn. Der Aufbau und die Arbeit der Abteilung Provenienzforschung im KMB dürfen sich sehen lassen.
In fast zwanzig Berner Jahren hat es Matthias Frehner nicht geschafft, in der Berner Kunstszene als verständiger und interessierter Gesprächspartner Fuss zu fassen, die Beziehungen zwischen Galerien, off-spaces und KMB zu stärken und zu den anderen Kunstmuseen in der Stadt und im Kanton Bern ein produktives und gegenseitig stützendes Klima herzustellen. Das «grosse» KMB blieb weitgehend einsam und ein wenig abseits. Und dies, obwohl Frehner als Präsident der schweizerischen Kunstmuseen im Grund eine kooperierende und koordinierende Funktion angenommen hatte.
Am meisten bei sich selbst war Matthias Frehner, glaube ich, wenn er über Kunst und KünstlerInnen schrieb. Da gelangen ihm schöne Texte, da setzte er sich sorgfältig mit KünstlerInnen und Werken auseinander, da kam er zu überraschenden Einsichten. Und da trat er ein für die Kunst als gesellschaftliche Gestaltungskraft, als Mahnerin, Provokateurin und Ideenliefererin – während er sie aus dem KMB heraus zu selten unterstützt, begleitet und angefeuert hat.
Was bleibt? Die Öffnung zur Gegenwartskunst in China dank dem Sammler Uli Sigg und Bernard Fibicher, die die erste Ausstellung 2005 gestalteten. Die Aufarbeitung des Fotonachlasses Paul Senn mit Hilfe des Spezialisten Markus Schürpf. Einzelne blitzende Statements zu KünstlerInnen (wie Robert Frank, Rosemarie Trockel, Hans Haacke, Pistoletto) bei der Zusprache der Roswitha Haftmann-Preise, in deren Jury Frehner sitzt. Die sorgfältige Befassung mit der Provenienz der Werke der Erbschaft Gurlitt. Vorworte und Artikel in Katalogen.
Es bleibt auch die Tatsache, dass Präsidium und Direktion den Unterhalt des KMB lange vernachlässigt haben, um positive Rechnungsabschlüsse vorlegen zu können. Und dass die Misserfolge desselben Gespanns seit 2004 bei der Erweiterung des KMB bis heute nachwirken.
So resultiert eine durchzogene Bilanz. Und eine seltsame Leere dort, wo ein Mensch stünde, der mehr hätte erreichen wollen und können, wenn nicht ein schwieriger Präsident ihn immer wieder gehindert hätte. Ein stiller Abgang. Schade.