Ein RaBe «on air» – seit 25 Jahren

von Yannic Schmezer 17. Mai 2021

Radio RaBe feiert heuer seinen 25. Geburtstag. Wir haben die Menschen hinter dem buntesten Radio der Stadt besucht.

Eine Schaufensterpuppe mit einem Motorradhelm, das Visier unten. Dahinter steht ein Computer-Monitor aus einer Zeit, als das Apple-Logo noch vielfarbig war. Das schöne Wetter draussen wird durch goldene Rettungsdecken abgeschirmt, die den Raum in ein warmes Licht tauchen. Die Sendungsmachenden von «Bölz no eis» hätten ihn gestaltet, erklärt die Radioaktivistin Magdalena Nadolska. Die Eigenbeschreibung der Sendung: «Wir machen Musik für Cyborgs mit Laserpistolen, die sich mit Lederhandschuhen ans Steuer setzen, um am Palmenstrand vorbei in Richtung Skyline der Megastadt zu rasen.» Genauso sieht es hier drin aus.

Wir befinden uns im ersten Stock der Sollbruchstelle, einer Zwischennutzung im Mattenhofquartier. Dort hat sich das Berner Alternativradio RaBe anlässlich seines 25-jährigen Jubiläums eingerichtet und eine Vielzahl von Räumen gestaltet. Vom 1. bis zum 25. Mai wird live und publikumsöffentlich von dort gesendet. Magdalena, die selber schon viele Jahre in verschiedenen Funktionen bei RaBe tätig ist, führt uns durch die Räume. Sie ist begeistert von der Wirkungskraft der verschiedenen Menschen, die hier tätig waren. Kein Raum sieht aus wie der andere. Und auch wenn das Jubiläum aus bekannten Gründen nicht exakt in dem Rahmen stattfinden kann, wie es ursprünglich beabsichtigt war, zeigt sich Magdalena zufrieden. Es sollte ein Wimmelbuch werden und ein Wimmelbuch ist es geworden. Überall gibt es etwas zu sehen und zu tun, langweilig wird einem in der Sollbruchstelle nicht.

Ein Radio für alle

Den meisten Berner*innen dürfte RaBe schon deshalb ein Begriff sein, weil kaum ein Strassenzug in der Bundesstadt ohne die ikonischen Fahnen auskommt. Dass RaBe in Bern so grosse Sympathie geniesst, habe viel mit Musik zu tun, findet Magdalena. «Wir geben unbekannten Künstlerinnen und Künstlern eine Plattform und bedienen fast jedes Genre.» Das komme bei den Hörer*innen gut an und sei letztlich eine Freiheit, die man sich leisten könne, weil man nicht auf Werbeeinnahmen und hohe Einschaltquoten angewiesen sei – ein weiterer Punkt, der dem Radio Sympathie zuträgt. Auf die Einschaltquoten angesprochen winkt Magdalena ab: Diese Information zu kaufen sei teuer und für RaBe kaum sinnvoll. Bei einigen Sendungen sei denn auch in erster Linie wichtig, was vor dem Mikrofon geschehe, sagt sie und nennt als Beispiel das Happy Radio, eine Sendung von und mit Menschen mit Besonderheiten. Bei den Ansprüchen der Sendungsmachenden an die eigenen Sendungen gebe es denn auch grosse Unterschiede: «Einige erscheinen quasi unvorbereitet und improvisieren eine Stunde lang. Andere betreiben aufwändige Recherche und sind top vorbereitet», sagt Magdalena. Bei RaBe habe es Platz für beides, ein inklusives Radio eben.

Grundsätzlich können alle mit etwas Engagement und einer guten Idee eine Sendung auf RaBe starten. Voraussetzung ist eine RaBe-Mitgliedschaft und der Besuch eines dreitägigen Kurses der Radioschule klipp+klang. Die RaBe-Programmkommission entscheidet aufgrund eines Sendungskonzepts und einer Demosendung, ob die Idee ins Programm passt. Die Niederschwelligkeit bei RaBe eine eigene Sendung zu gestalten, hat zu einer unvergleichlichen Diversität geführt. So produzieren rund 200 Sendungsmachende in 20 verschiedenen Sprachen.

Ein Radio für Engagierte

Einer dieser Sendungsmachenden ist Martín. Martín nahm das Radio mit der Muttermilch auf. Nie hätten seine Eltern es ausgeschaltet – auch nicht in der Nacht. In Buenos Aires, wo er aufwuchs, wohnte er gleich gegenüber vom Lokalradio «La Tribu». «Für mich war das Radio schon immer ein offener Ort», erzählt er. Als er vor 18 Jahren in die Schweiz kam fand er diesen schnell bei RaBe und gründete nur ein Jahr nach seiner Ankunft «El Gato Calculista». Die ersten zwei Jahre machte er die Sendung noch alleine, dann steiss Jazmín dazu. Martín hatte einen Aufruf gestartet und suchte eine Co-Moderatorin, die sowohl Spanisch als auch Deutsch sprach. Dadurch wollte er die Tangosendung für das hiesige Publikum besser zugänglich machen. «Als ich mich bei Martín in der Sendung vorstellte, setzte er mich gleich vors Mikrofon», erinnert sich Jazmín. Sie blieb.

«Für mich war das Radio schon immer ein offener Ort.»

Was der durchschnittliche Lokaljournalist über Tango zu wissen glaubt, löst sich beim Gespräch mit Jazmín und Martín schnell im Nichts auf. Die vermeintlich einfache Frage, was Tango denn überhaupt sei, beantworten die beiden, indem sie erstmal mit Klischees aufräumen: Keine hohen Hacken und keine gegeelten Haare, dafür viel Gesellschaftskritik, erklärt Jazmín. Tago sei zugleich Musik, Tanz, Dichtung und Geschichte, fährt sie fort. Er nehme den gesellschaftlichen Wandel auf und inkorporiere ihn. Als Beispiel nennt Martín die feministische Emanzipationsbewegung in Argentinien, die in den letzten Jahren ihre Stimme gegen die grassierende Zahl an Femiziden erhob und erfolgreich die Legalisierung von Abtreibungen erstritt. «Diese Bewegung ist in den neueren Tangoproduktionen spürbar», erklärt Martín. Wie keine andere Musikrichtung habe der Tango die Veränderung registriert.

In ihrer Sendung wechseln Jazmín und Martín fliessend zwischen Spanisch und Deutsch. Welche Sprache sie wann einsetzen, entscheiden die beiden – deren Blicke sich während der Sendung kaum je auf die spärlich beschriebenen Notizpapiere verirren – meistens im Voraus, gelegentlich aber auch spontan. Als wir die beiden während einer Sendung besuchen, erzählt Martín den Zuhörer*innen die Geschichte des zum hundertsten Mal sich jährenden patagonischen Aufstandes. Es ist die Geschichte einer kolonialen Tragödie, die 1’500 Landarbeitern das Leben kostete. Und es ist eine Geschichte, die vor allem dem deutschsprachigen Publikum nähergebracht werden müsse, ist Martín überzeugt, weshalb er sie entsprechend auf Deutsch erzählte.

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Auf die Frage, ob sie in den siebzehn Jahren nie mit dem Gedanken gespielt hätten aufzuhören, antworten Jazmín und Martín mit einem klaren Nein. Die beiden sind in der Tangoszene dermassen verwurzelt, dass sie es schon alleine gegenüber den zahlreichen Künstler*innen, die hierherkommen, nicht verantworten könnten, den Bettel hin zu schmeissen. Die Musiker*innen sind darauf angewiesen, dass sie für Live-Sessions, welche Martín und Jazmín (wenn gerade keine Pandemie herrscht) im Wohnzimmer des RaBe-Studios organisieren, gebucht werden. «Wir konnten in den 17 Jahren eine Brücke zur argentinischen Tangoszene aufbauen», sagt Jazmín. Diese Brücke wollen die beiden bewahren.

Ein Radio für Informierte

Obschon die allermeisten Sendungen von Freiwilligen wie Jazmín und Martín gestaltet werden, gibt es auch bei RaBe einige Sendungsmachende, die bezahlt werden. Namentlich sind das die Macher*innen von RaBe-Info, dem Nachrichten- und Hintergrundmagazin, das werktäglich um 11:00 ausgestrahlt wird. Die Sendung besteht jeweils aus den Tagesnachrichten und bis zu drei vorproduzierten Beiträgen. Der Aufwand, tägliche eine solche Sendung zu produzieren, wäre ohne Bezahlung schlicht nicht zu leisten, sagt Katrin Hiss, eine der vier Teilzeit-Redaktor*innen des Info. Mit der Bezahlung einher geht dafür eine spürbare Professionalität. Im Studio am Randweg in der Lorraine – von wo aus Radio RaBe 1996 zum ersten Mal sendete – wird wenige Minuten vor der Sendung noch an der Anmoderation herumgebastelt, oder bereits ein Interview für die Sendung am nächsten Morgen aufgenommen. Im News-Journalismus ist Flexibilität gefragt, das wissen hier alle. Kürzlich, erzählt Katrin, sei ihre Kollegin, die eigentlich die Nachrichten hätte lesen sollen, zu lange in einer Sitzung festgesteckt, sodass sie, Katrin, zehn Minuten vor Sendungsbeginn sich das Notizblatt der Kollegin habe schnappen und einspringen müssen. «In solchen Situationen bin ich dann schon etwas nervös», räum die erfahrene Radiomacherin ein.

«Beim Fernsehen brauchst du für jeden Beitrag Bilder, beim Radio nur ein Mikrofon und eine Stimme.»

Katrins Radiokarriere begann beim Kanal K, dem RaBe Äquivalent aus Aarau. Nach einer längeren Reise, von der aus sie für einen Freund, der dem Info nahestand, regelmässig Beiträge einsendete, bewarb sie sich 2016 auf eine freigewordene Stelle und bekam sie prompt. Heute ist ihre Stimme fast täglich auf RaBe zu hören. Katrin schätzt das Radio als Medium. Es gebe einem Freiheiten, die man zum Beispiel beim Fernsehen nicht habe. So könne RaBe-Info als Kleinstsendung mir beschränkten Mitteln trotzdem regelmässig über Internationales berichten. «Beim Fernsehen brauchst du für jeden Beitrag Bilder, beim Radio nur ein Mikrofon und eine Stimme.» Eine negative Auswirkung habe das Radio aber, sagt die studierte Germanistin: «Das Radio macht deine Sprache kaputt.» Sie müsse sich mittlerweile anstrengen, nicht ständig nur in Subjekt-Verb-Objekt-Sätzen zu schreiben. «Beim Radio muss eben alles verständlich sein», erklärt sie. Lange und komplizierte Sätze seien da fehl am Platz.

Ein Radio für Neue

Das Radiohandwerk will also gelernt sein. Mit diesem Gedanken startete vor neun Jahren die Kultursendung RaBe Subkutan. Das Ziel: Jungen Menschen einen niederschwelligen Einstieg in den Radiojournalismus gewähren. Man «strähle» deshalb auch keine CV’s, erklärt Irene Müller, die vor neun Jahren selber als Praktikantin bei Subkutan anfing und heute im Rahmen eines bescheidenen 15%-Pensums als Ausbildnerin tätig ist. Bei RaBe Subkutan sollen alle eine Gelegenheit erhalten, in der Radiowelt erste Schritte zu machen. «Wir sind nicht nur ein alternatives Medium, sondern auch ein alternatives Ausbildungsgefäss», sagt Irene. «Wenn wir die Medienlandschaft schon mit Nachwuchs füttern, dann wennschon mit eigensinnigem.» Gleichwohl gibt sie zu bedenken, dass man es sich auch müsse leisten können, ein Praktikum bei RaBe zu machen, denn: die Praktika sind unbezahlt. «Es wäre schön wenn sich das ändern würde», findet sie. Und obschon sie es derzeit für illusorisch hält, allen Praktikant*innen – gleichzeitig sind es über alle Sendungen gerechnet 16 – einen Lohn zu bezahlen, sei es doch erstrebenswert, zumindest denen, die auf ein Einkommen angewiesen sind, eine gewisse finanzielle Sicherheit zu bieten.

Lea Stadelmann ist eine, die sich auch ohne monetäre Entlöhnung für das zehnmonatige Praktikum bei Subkutan entschieden hat. Leisten kann sich das die Studentin der Germanistik und Sozialanthropologie, weil sie nebenher auch noch einer bezahlten Büroarbeit nachgeht. Auf das Praktikum bei Subkutan wurde sie durch ihre Fachschaft aufmerksam gemacht. Nun steht sie seit bald zehn Monaten hinter dem Mikrofon und moderiert Sendungen oder erstellt eigene Beiträge. Als wir sie für eine Sendung in der Sollbruchstelle besuchen, interviewt sie eine ehemalige Sans Papier. «Ich war schon ziemlich nervös, das war erst mein zweites Live-Interview», sagt Lea nach der Sendung. Ausserdem sei die Technik in der Sollbruchstelle nicht gleich vertraut wie jene im Randweg, von wo aus üblicherweise gesendet wird.

«Wenn wir die Medienlandschaft schon mit Nachwuchs füttern, dann wennschon mit eigensinnigem.»

Im Rahmen ihres Praktikums absolvierte Lea auch das Basismodul Radiojournalismus bei klipp+klang, wo sie während elf Kurstagen die Basics der journalistischen Radioarbeit vermittlet erhielt. Sie lernte dort das Recherchieren und Interviewen ebenso wie die Beitragsproduktion oder die ethischen Berufsstandards. Jetzt befindet sich Lea bereits am Ende ihres Praktikums und schaut mit Genugtuung darauf zurück. Sie habe einiges an Selbstvertrauen dazugewonnen, sagt sie. «Anfangs bereitete es mir Mühe, mich als Journalistin zu bezeichnen, bei fremden Leuten anzurufen und ihnen Fragen zu stellen.» Heute gehe das problemlos. Ihren journalistischen Werdungsprozess sieht Lea aber noch lange nicht abgeschlossen. Sie wird sich vorerst ihrem Studium widmen und danach wieder in die Medienarbeit einsteigen.

Ein Radio für die Zukunft

Ob Lea nach dem Studium wieder zu RaBe zurückkehrt, weiss sie noch nicht. Die Chancen, dass es RaBe zu diesem Zeitpunkt noch geben wird, stehen aber gut. Jedenfalls liegen die Finanzen für einmal nicht im Argen. Es gibt aber durchaus Veränderungen, die dem Radio Sorge bereiten. Eine die immer wieder genannt wird, ist der Wechsel von UKW auf DAB+. Bis spätestens im Ende 2024 werden alle Radios der Schweiz ihre analogen UKW-Sender abschalten. Hörer*innen dürften das kaum bemerken, gegebenenfalls werden einige Nostalgiker*innen das charaktergebende Radiorauschen oder die manuelle Frequenzsuche vermissen. Für die kleinen Radios bedeutet die Umstellung aber vor allem eines: Mehr Konkurrenz. Die UKW-Frequenzen sind heute alle besetzt, das Radioangebot ist gesättigt. DAB+ vergrössert die Programmpalette deutlich und erlaubt den Sendern, ein grösseres Gebiet zu erschliessen. Magdalena Nadolska glaubt, dass sich durch die Vergrösserung des Angebots auch das Hörverhalten der Leute verändern könnte. Eine Antwort auf die grössere Vielfalt sieht sie in der Rückbesinnung auf das Lokale, denn: «Die Leute möchten auch bei einer riesigen Senderauswahl immer noch, dass ihnen jemand sagt, was am Abend im Rössli oder im ISC läuft.»

Auch Irene Müller von der Kultursendung Subkutan «gönnt sich Zuversicht», wie sie, angesprochen auf die Zukunft von Radio RaBe, sagt. «RaBe lebt das Verbindende der Gesellschaft auf vielen verschiedenen Ebenen.» Dieser Community-Gedanke werde auch in Zukunft wertvoll sein.

Eines ist jedenfalls sicher: Egal wie viele Sender künftig in Bern durch den Äther schwirren, den seit einem Vierteljahrhundert wildflatternden Raben werden sie kaum aus dem Frequenzband zu stossen vermögen.