An einem Tag proben Sie mit Srboljub Dinić eine Oper von Verdi, am nächsten mit Mario Venzago ein Werk von Mozart für ein Galakonzert. Fällt die Umstellung von einer Klangwelt in die andere leicht?
Michael Rubeli:
Die Musik ist vergleichbar mit einer Speisekarte. An einemTag kocht man asiatisch, am anderen ein Schnitzel. Es hat beides seinen Wert. Es kann sein, dass jemand Schnitzel weniger gern hat, aber es hat auch seinen Stellenwert in der Speisekarte. Es ist unser Job, dass wir schnell umstellen, auch wenn es nicht immer nur leicht fällt.
«Es macht unheimlich Spass, auch mit wirklich strengen Dirigenten zu arbeiten»
Sebastian Schindler, Berner Symphonieorchester
Jeder Dirigent hat seine eigene Persönlichkeit, seine Art des Umgangs mit den Musikerinnen und Musikern des Orchesters. Was wünscht man sich als Orchestermitglied?
Sebastian Schindler:
Der Dirigent versucht immer seine Interpretation bestmöglich umzusetzen. Hinzu kommen natürlich alle Musiker, die auch ihre Vorstellungen haben. Die Kunst ist es, alles zu einem Ganzen zusammenzufügen. Es macht unheimlich Spass, auch mit wirklich strengen Dirigenten zu arbeiten, die nicht locker lassen – Günter Wand war zum Beispiel so einer. Auch Mario Venzago hat immer seine genaue Vorstellung ebenso Srboljub Dinić . Und wenn sie dann auf dieser beharren, ist es zwar anstrengend als Musiker, aber am Ende, wenn das Konzert vorbei ist, freut man sich am Ergebnis, an dem jeder Einzelne mitgemacht hat.
Man lässt sich von einer Idee überzeugen?
S:
Richtig. Aber ohne sich selber ganz aufzugeben. Man muss sich selber immer einbringen. Sonst wär es ohne Leben, wenn die Musiker nur noch wie Marionetten wären.
R:
Es geht dann auch nicht in erster Linie um die Arbeitsweise eines Dirigenten, sondern darum, seine Interpretation des Werks umzusetzen. Und wir sind manchmal tatsächlich bis zur Selbstaufgabe gefordert, die eigene Idee in den Hintergrund zu stellen. Es ist eine Art Royalismus: Der Dirigent bestimmt den Lauf der Dinge und alle müssen mitmachen. Und das, obwohl das ganze Orchester aus Hochschulabsolventen besteht, die auch genau wüssten, was sie wollten. Ein Orchester von Berufsmusikern von seiner Idee zu überzeugen, ist die grosse Herausforderung eines Dirigenten.
«Es ist eine Art Royalismus: Der Dirigent bestimmt den Lauf der Dinge.»
Michael Rubeli, Berner Symphonieorchester
S:
Ein Orchester ist letztlich keine Demokratie, sondern funktioniert eher wie eine Monarchie. Wo man aber seinen König selber wählen kann. Nach einer Probe kann man auch mal hingehen und sagen, ‹ich würde die Stelle vielleicht so spielen›. Wenn er es gut findet, übernimmt er es eventuell, wenn nicht, dann muss man es akzeptieren. Er hat das letzte Wort. Und das funktioniert.
R:
Es ist nicht angebracht und im Orchester nicht besonders beliebt, wenn jemand in der Probe sagt, er wolle eine Stelle anders spielen als vom Dirigenten vorgegeben. Sonst käme man in fünf oder sechs Proben, die man für ein Werk hat, gar nicht zu einem Resultat.
Haben Sie es schon erlebt, dass es ein Dirigent zu bunt getrieben hat?
S:
Ich habe schon erlebt, dass der Dirigent vorne gesagt hat, «so nicht», und weggegangen ist. Aber dass ein Musiker dasselbe machen würde, eigentlich nicht.
R:
Es ist üblich, dass ein Orchester nach Vertragsablauf zum jeweiligen Chef Stellung nehmen kann. Ob man ihn gut findet und ob man weiterhin mit ihm zusammenarbeiten möchte. Auf sehr hohem Niveau wird dann überlegt, ob eine weitere Zusammenarbeit fürs Orchester gut sei. Das ist für beide Seiten wichtig, der Chef möchte in der Regel ja auch den Rückhalt seiner Musiker haben. Es kann schon vorkommen, dass das Orchester zur Meinung kommt, dass ein gemeinsames Weiterfahren nicht angezeigt sei. Es ist ganz normal, dass Dirigenten nach rund zehn Jahren weiterziehen.
Wie funktioniert die Beziehung zwischen Musiker und Dirigent? Wie steht der Musiker zum Dirigenten und umgekehrt?
S:
In den Köpfen der Menschen gibt es bestimmt dieses Bild von Hund und Katze, die nicht miteinander auskommen. Dem ist aber nicht so. Wenn ein Chefdirigent überzeugt, respektiert man ihn. Bei Hund und Katze ist das ähnlich. Die Rolle des Dirigenten ist es, das Ganze zu leiten. Er trägt auch die Verantwortung für das Konzert und seine Interpretation. Dafür respektiert man ihn als Chef.
«Am Ende kittet uns die Musik zusammen.»
Michael Rubeli, Berner Symphonieorchester
R:
Was uns am Ende zusammenkittet, ist die Musik. Man ist ja nicht eng befreundet oder kennt sich seit Jahrzehnten sondern kommt zusammen, um ein tolles Werk zu erarbeiten. Wenn der Dirigent das Orchester so leitet, dass wir mit dem Resultat zufrieden sein können, entwickelt sich beim Orchester eine Dankbarkeit. So kann eine gute und kollegiale Atmosphäre entstehen, die Mario Venzago herzustellen vermag. Er verfolgt klar seine Linie, die durchaus auch mal eine harte Note haben kann, die aber nichts mit inzwischen veralteten autoritären Dirigierstilen gemeinsam hat. Es ist ihm ein Anliegen, dass es uns Musikern wohl ist, und dass eine entspannte aber konzentrierte Stimmung herrscht. Am Ende ist der Chef auch abhängig von uns. Er selber klingt ja nicht.
Eine wechselseitige Beziehung zwischen «dem Monarchen» und dem Orchester, also?
R:
Wirklich wichtig ist das Bewusstsein darüber, dass es nur im Zusammenspiel beider Seiten funktioniert. Die Leute kommen ins Konzert und sagen möglicherweise, das Orchester habe nicht so gut gespielt. Oder sie sagen, der Dirigent sei super gewesen. Dabei konnte der Dirigent, der super war, auf ein Orchester zählen, das hervorragend gespielt hat. Und das Orchester, das nicht so gut gespielt hatte, wurde möglicherweise nicht sehr gut geleitet. Es wäre schön, wenn die Öffentlichkeit auch sehen würde, wie stark eine Aufführung vom einzelnen Orchestermusiker abhängt und wie sehr auch ein sehr gutes Orchester auf eine gute Leitung angewiesen ist. Das Orchester ist wie ein Auto mit einem wunderbaren Motor – wenn der Pilot das Auto nicht lenken kann, gibt es doch auch mal einen Crash.
Lesen Sie auch den zweiten Teil des Interviews «Emotional soll er sein – oder sie», in dem es unter anderem um die neu zu besetzende Stelle im Musiktheater geht.