Es steckt viel Arbeit im Programm der ersten Stufe des «Projektwettbewerbs Zukunft Kunstmuseum Bern». Manches wird klarer, wenn man die 64 Seiten liest. Das Wichtigste bleibt offen oder doch sehr interpretationsbedürftig: Wie kann man sich das erweiterte Kunstmuseum vorstellen?
An einer Podiumsveranstaltung hat Stadtpräsident Alec von Graffenried auf die Frage, was für ein Museum er sich wünsche, einmal geantwortet: Eines wie das Louisiana Museum of Modern Art in Humblebaek nahe Kopenhagen – ein Ensemble von Alt- und Neubauten über einer Meeresbucht, zu der hinunter eine Wiese führt. Nun, das kann es in Bern nicht werden, aber vielleicht ein ferner Anklang an Weite, Meer, Licht?
39 eingeladene Büros arbeiten derzeit in Stufe eins des Architekturwettbewerbs an einem städtebaulichen und architektonischen Gesamtkonzept für ein offenes und im Betrieb nachhaltiges Kunstmuseum. Erwartet werden ein «Ansatz für den architektonischen Ausdruck» und der «Nachweis der Grobfunktionalität». Bei einer Gesamt-Preissumme von 390‘000 Franken winken drei bis fünf Preise. Eine Handvoll Büros verfeinert in Stufe 2 ihre Ansätze. Die Ergebnisse werden im ersten Quartal 2024 vorliegen.
Viele Leerformeln
Das Programm ist nicht leicht zu lesen. Die Passagen zum «Kunstmuseum der Zukunft» sind grossspurig, ja prahlerisch geschrieben. Attraktiv soll es sein, zukunftsfähig, ein lebendiger Ort, offen für Neues, aussergewöhnliche Kunsterlebnisse bieten, Anregungen und zur Reflexion einladen. Es sind Leerformeln vom Werbebüro. Man stelle sich nur vor, das künftige Kunstmuseum wäre unattraktiv, zukunftslos, Neuem gegenüber verschlossen, ein toter Ort von 08:15-Ausstellungen ohne Anregungen – wozu würde man dann bauen wollen? Wenn man liest, dass im neuen Museum auch klar und einfach kommuniziert werden soll, ist diese Beschreibung keine Glanzleistung.
Es gibt auch Lichtblicke: Das Kunstmuseum will bilden und vermitteln, es will alle erreichen und einbeziehen.
Noch ein Beispiel: «Wir nähern uns den Werken, die uns zur Bewahrung anvertraut sind, nicht nur kunsthistorisch, sondern betonen sowohl deren Sinnlichkeit wie auch ihren mitunter subversiven Charakter. Damit aktivieren wir die vielschichtigen Bedeutungsebenen von Kunstwerken und unterstreichen die Gegenwärtigkeit von Kunst unabhängig von der Epoche ihrer Entstehung.» Wie setzt man dies architektonisch um? Wie holt man so die Leute ins Haus?
Doch es gibt auch Lichtblicke. Das Kunstmuseum will bilden und vermitteln, es will alle erreichen und einbeziehen, ein Haus sein auch für jene, die nur am Trockenen abhängen wollen. Ein Jugendtreff, ein Altentreff ohne Konsumzwang. In den Sinn kommen einem die Museumsstrasse im Zentrum Paul Klee oder das Café und der Hof im Berner Generationenhaus, aber auch die Schützenmatte und neu der Versuch einer offenen Türe in der Kornhausbibliothek. Alles Räume, wo die Benutzer*innen bestimmen, was sie wollen, Kunst hin oder her. Auch das Kunsthaus Zürich will ein offenes Haus sein.
Worum geht es?
Auch wenn nicht klipp und klar geschrieben steht, weshalb gebaut wird und was warum neu werden soll, bilden in meinem Verständnis diese Punkte den Kern der Wettbewerbsaufgabe:
- Die Ausstellungsfläche wird von heute 4‘000 Quadratmeter auf rund 4‘700 erweitert. Die Qualität der Räume ist wichtiger als maximale Fläche.
- Der Stettlerbau von 1879 wird saniert.
- Das neu dem KMB zugeschlagene Gebäude Hodlerstrasse 6, heute von der Polizei genutzt, wird saniert und für Wissenschaft und Administration genutzt. Interessant: Im Programm steht, es solle «der administrativen Nutzung für beide Häuser der Dachstiftung zugeführt werden». Also auch für das Zentrum Paul Klee.
- Dazwischen wird anstelle des Atelier 5-Baus von 1984 ein Neubau erstellt, der «eine angemessene Präsenz als Kunstmuseum aufzeigen» soll. Das Ensemble der drei Bauten «reiht sich in eine Abfolge klassischer Berner Sandsteinbauten ein und bildet so einen Teil der Stadtansicht, die von der Lorrainebrücke und auch dem gegenüberliegenden Aarehang aus (botanischer Garten; CR) wahrgenommen wird.»
- Der Neubau öffnet sich zum Strassenraum der Hodlerstrasse sowie zum Aarehang. Es gibt Ein- und Ausblicke, wo immer möglich. Die Kunst soll nach aussen wirken, die Häuser des Museums sollen die Menschen anziehen.
- Rund um das Museum werden Freiräume gewünscht. Einladend, transparent, grosszügig sind die Stichwörter. Ein Multifunktionsraum, der unabhängig von den Öffnungszeiten des Museums offen steht, wird Bistro, Vortragssaal und Weiteres bergen.
- Immer wieder ist die Rede von der «Kunstmeile Hodlerstrasse» zwischen unterem Waisenhausplatz und Schützenmatte. Dort sollen auf eine Strassenseite Bäume gepflanzt werden. Der Verkehr, so der Plan, wird zwischen 11:00 und 16:30 Uhr sowie von 18 bis 23 Uhr für den motorisierten Individualverkehr gesperrt. Wofür genau der Strassenraum dienen soll und an welche andere Kunst an der Meile gedacht ist: Schweigen. Aber es tönt gut.
Persönliche Eindrücke
Nach Lektüre des Wettbewerbsprogramms sind mir ein paar Punkte aufgefallen.
Die Ausführungen zum «Museum der Zukunft» sind blutleer und beliebig. Sie wecken im Leser kein Bild wie es sein soll. Und sie wecken kein Feuer. Dabei sind die Museumsleute doch eloquent.
Das Kunstmuseum, wird beteuert, stehe an zentraler Stelle in der Altstadt von Bern. Es steht aber real an der schattigen Peripherie. Diese Lage kann im Hinblick auf heisse Sommer ein Trumpf sein; davon ist jedoch keine Rede.
Der Atelier 5-Trakt ist dem Untergang geweiht. Er soll schlecht gealtert sein. Allerdings darf er nur abgerissen werden, wenn ein Neubau qualitativ zumindest ebenbürtig ist und sich sensibel in den Altstadtkontext einordnet. Angesichts der Vorverurteilung des A-5-Baus dürfte es der Jury schwer fallen, die Sensibilität zu verneinen.
Das erweiterte Kunstmuseum soll in Sandstein errichtet werden. Nun wirkt Sandstein nicht primär luftig und einladend – passt beides zusammen?
Das Thema Nachhaltigkeit wird im Wettbewerbsprogramm umfassend angesprochen, von der späteren Reduktion des Ressourcen-Verbrauchs bis zur Minimierung der Grauen Energie beim Bau, von der Gebäudehülle bis zur Ausrichtung des Gebäudes.
Das erweiterte Kunstmuseum soll in Sandstein errichtet werden und sandsteinig erscheinen. Das wird mit Verweis auf Grundsätze und Richtlinien einfach gesetzt. Gleichzeitig wird vom neuen Bau-Ensemble Offenheit und Transparenz erwartet. Nun wirkt Sandstein nicht primär luftig und einladend – passt beides zusammen?
Verschiedene Elemente des erweiterten Museums gemahnen an das Zentrum Paul Klee, das Teil der Dachstiftung ist, zu der das Kunstmuseum gehört: Der offene Zugang, die Museumsstrasse mit freiem Aufenthalt, die Ausblicke in die Landschaft, das Café innen und aussen, die Kunstvermittlung als Schlüsselaufgabe. Doch nirgends wird ausdrücklich auf das ZPK Bezug genommen, auch wenn es nicht Bestandteil des Wettbewerbs ist. Mir erscheint dies sonderbar.
Journal B unterstützen
Unabhängiger Journalismus kostet. Deshalb brauchen wir dich. Werde jetzt Mitglied oder spende.
Doch auf Seite 27 taucht das ZPK auf, ohne Namensnennung. Das Gebäude Hodlerstrasse 6 soll nämlich «der administrativen Nutzung für beide Häuser der Dachstiftung zugeführt werden.» Beide Häuser, das sind Kunstmuseum und ZPK. Die Verwaltung des ZPK ist heute im Südhügel des Baus von Renzo Piano untergebracht, der seit je als Erweiterung der Ausstellungsfläche angelegt ist. Im Raumprogramm des Wettbewerbsprogramms liest man, es brauche Büroräume für circa 70 Mitarbeitende. Ist beabsichtigt, langfristig die Verwaltungen zusammenzuführen und den Südhügel umzunutzen? «Eine Umnutzung des Südhügels des ZPK ist derzeit nicht geplant», hört man. Dann wird an der Hodlerstrasse 6 eine beträchtliche Raumreserve geplant.
Die Baukosten sind klar ausgewiesen: 98,5 Millionen Franken plus/minus 25 Prozent, maximal also 125 Millionen ohne Massnahmen auf der Hodlerstrasse. Der Kanton Bern trägt die Kosten, die «für die Instandstellung der heutigen Gebäude (Stettlerbau und Atelier 5-Trakt; CR) ohnehin hätten aufgewendet werden müssen»; das dürften gegen 60 Millionen sein. An den Rest hat Hansjörg Wyss 20 Millionen zugesichert. Von der Burgergemeinde Bern kommen abschliessend 2 Millionen. Offen bleiben ca. 20 Millionen ohne Teuerung.
Noch ist das Zündhölzchen nicht in Sicht, welches das Feuer der Spende-Begeisterung anzündet.