Ein Nachmittag im Schützenmuseum

von Christoph Reichenau 20. April 2023

Die Dauerausstellung des Berner Schützenmuseums ist 1939 eingerichtet worden. Sie wurde seither kaum verändert. Die neue Direktorin Franziska Karlen plant eine neue ständige Ausstellung. Ein Blick in eine Schatztruhe, ein Arsenal und eine Kultur des Friedens.

Eine unscheinbare Türe aus Metall und Glas. Nach zwei Schritten steht man mitten im Museum. Ein imposantes Treppenhaus, massiv-hölzern wie die Decke. Rechterhand Sitzungszimmer und Büros. Die Treppe hinauf zieht sich – von Glas geschützt – eine Galerie von Ordonnanz-Gewehren bis hin zum neuesten Sturmgewehr. Man geht auf einem roten Teppich. Oben zweigt links ein grosser Saal ab, durch die beidseitigen Fenster fällt auch am grauen Nachmittag Licht. Tragende Säulen aus Sandstein mit farbigen Kantonswappen bemalt. Vitrinen teilen den Raum mit warmem Klinkerboden und sorgsam gestalteter Holzdecke. Man blickt von oben auf die Exponate und hat auf Augenhöhe Bilder vor sich. Die Welt des Schiessens, der Schützen; eine nicht mehr nur männliche Welt.

Trägerin des Museums ist eine Stiftung der grossen Schützenorganisationen der Schweiz. Der Schweizer Schiesssportverband SSV finanziert über seine Beiträge den Betrieb, wiederkehrende Subventionen der öffentlichen Hand gibt es nicht, nur partielle für Sonderprojekte. 1939 als das Museum seine Türe öffnete, fand in Zürich die Landesausstellung statt. Sie zeigte die Wurzeln unseres Landes und auch dessen Zukunft – im Widerstand gegenüber den faschistischen Nachbarländern. Die Ausstellung im Schützenmuseum war und ist fokussiert auf die Entstehung der modernen Schweiz im 19. Jahrhundert, auf das Schützenwesen als Ausdruck demokratischer Partizipation.

Das kleine Schützenmuseum beleuchtet thematisch und räumlich eine Nische. Doch strahlt die ins Alter gekommene Ausstellung einen eigentümlichen Reiz aus.

Nach 84 Jahren soll eine neue Ausstellung gestaltet werden. Franziska Karlen, Direktorin seit Sommer 2022, hat dafür den Auftrag vom Stiftungsrat. Von ihrer Vorgängerin Regula Berger konnte sie erste Elemente übernehmen. Doch noch fehlt ein Teil des Geldes. Und Franziska Karlen, die vom Bernischen Historischen Museum kommt, überlegt genau, was erneuert und was bewahrt werden soll. Das kleine Schützenmuseum beleuchtet thematisch und räumlich eine Nische im Vergleich zum mächtigen Nachbarn BHM, einem historischen Universalmuseum. Die Konzeption will sorgfältig abgewogen sein. Doch strahlt die ins Alter gekommene Ausstellung einen eigentümlichen Reiz aus. Und schon greift das Projekt Museumsquartier Bern auch in das Schützenmuseum hinein.

Ein Ort zum verweilen werden

Vor dem Aufstieg in den zweiten Stock, zwischen unterer und oberer Stiege waren nämlich die Ergebnisse von Workshops präsentiert, die im Rahmen eines Kunstprojekts im Museumsquartier Bern in Zusammenarbeit mit der Kommission für Kunst im öffentlichen Raum der Stadt Bern erarbeitet wurden. Es geht darum, den frei gemachten Raum zwischen historischem, naturhistorischem und Kommunikationsmuseum als Ort zum Verweilen in der guten Jahreszeit zu gestalten. Bunte Klötzchen auf Plänen zeigen, wo es grün werden soll, wo Wasser und eine Aussenküche vorgesehen sind.

Die Ergebnisse eines Workshops zeigen, wie ein Ort zum Verweilen gestaltet werden kann (Bild: Christoph Reichenau).

Vom Blick in die Zukunft zurück zur Gegenwart. Nochmals rot belegte Stufen. Im zweiten Stock des Schützenmuseums ein weiterer Saal. Er ist den Kantonen gewidmet, die mit ihren Wappen, Ehrenzeichen, Bechern, mit hunderten vielfarbiger Abzeichen prunken. Zuhinterst steht die Schiessanlage aus einer Filiale des ehemaligen Kleider Frey-Geschäfts. Die Kindheit erwacht neu. Aufstützen auf der Unterlage, Zielen auf die kleine Scheibe, Korn und Visier, ruhig werden und nicht abdrücken, sondern die ganze Hand langsam so zusammenpressen, dass sich irgendeinmal quasi von selbst der Schuss löst. Man mag dem Vertiefung sagen, Konzentration, Zu-sich-kommen, egal. So geht Sportschiessen, eine Abkehr vom Lärm, vom Gehetze der Welt. Eine Übung im Einklang von Körper und Geist. Eine sportliche Betätigung, kein Gedanke an Militär, Töten, Krieg.

Faden, Farbe, Fahnentuch

Ein Nachmittag im Berner Schützenmuseum. Es bildet sozusagen die westliche Aussenwand des Historischen Museums, begrenzt das Restaurant Steinhalle, das Pärklein am Helvetiaplatz. Im Grund tritt man in eine Mauer hinein, eine Mauer, die lebt, Schätze birgt. Und einen wichtigen Teil unserer Geschichte illustriert.

Eine Figur aus Metal, im Hintergrund Tische.
Das Museum öffnete 1939 seine Türen (Bild: Christoph Reichenau).

An Schützenfesten trafen sich im 19. Jahrhundert die wehrhaften Demokraten, um sich zu messen, zu diskutieren, zu politisieren, um sich und die anderen zu prüfen: «Dann wird es sich zeigen, ob der Faden und die Farbe gut sind an unserem Fahnentuch.» So hat es Gottfried Keller in der Novelle «Das Fähnlein der sieben Aufrechten» dargestellt. Das Museum zeigt die Fahnen, die Becher, die Teller und Platten. Es zeigt die provisorischen Bauten und Zelte, die für solche Feste errichtet worden sind und oft auch für Feste der Sänger, der Turner, der Blasmusiker Verwendung fanden.

Franziska Karlen überlegt genau, was erneuert und was bewahrt werden soll. Das kleine Schützenmuseum beleuchtet thematisch und räumlich eine Nische.

Man taucht ab in die Gründungszeit unserer Demokratie und stutzt plötzlich, gewahr werdend, dass hier nicht Wehrhaftigkeit zelebriert wird, sondern – nüchtern und trotzig – ein Sport mit Waffen, der nicht zwingend töten muss. Täglich umtost von Bildern und Informationen über den russischen Krieg gegen die Ukraine muss man sich zügeln und anerkennen: Waffen müssen mit Krieg nicht unbedingt zu tun haben, doch selbstverständlich sind sie nicht unschuldig.

Durchhaltewillen für die neue Direktorin

So kann man das Schützenmuseum besuchen auch als Museum eines Präzisions- und Konzentrationssports, einer Dimension der hiesigen originären Kulturgeschichte mit speziellen und schönen Artefakten, ja als Aufforderung zur Wahrung des Friedens. Dann bedauert man die finanzielle und personelle Bescheidenheit, die Enge der Depots, die zahlreichen Unzulänglichkeiten. Und wünscht der neuen Direktorin Durchhaltewillen, langen Atem und Überzeugungskraft in der Absicht, nach 84 Jahren eine neue Dauerausstellung zu gestalten, die nicht «Tabula rasa» macht in falsch verstandenen Modernismus, sondern möglichst viel von dem rettet und nutzt, was zu diesem Haus und seiner Mission gehört. Dornröschen, wachgeküsst, soll Dornröschen bleiben, lebendig, und nicht eine x-beliebige, kurzlebige Diva werden.

Schützenmuseum: Offen täglich 14 bis 17 Uhr. Montags geschlossen. Eintritt frei. Webseite.