Es wird ihn freuen, dass der BSC YB zum vierten Mal hintereinander Schweizer Fussballmeister geworden ist, und dies schon sieben Runden vor Schluss des Championats. Er: Heinz Ernst Minder, genannt «Hene», 78-jährig, seit 33 Jahren Mädchen für alles und gute Seele von YB, der von sich sagt: «Ich habe ein gutes Maul.»
Wer mit Fussball und YB nicht vertraut ist, wer selten oder nie Matches im Wankdorf besucht, wird Hene Minder kaum kennen. Er ist kein Grosskopfeter, ihm fehlt die sogenannte Prominenz. Doch beim Lesen des eben erschienenen Buchs mit dem Untertitel «Mein Leben – mein YB» erfährt man so Vieles aus dem Berner Nordquartier, über Kindheit und Jugend in den 1940-er und 1950-er Jahren, zum Fussballbetrieb eines Grossvereins im Lauf von 70 Jahren, dass man immer noch mehr wissen möchte. Der Fussball, das «Wanki», das Schutten und YB sind aber letztlich nur Aspekte, wichtige zwar, eines Lebens mit vielen weiteren Themen und Fragen. So sagt Minder über die Zeit von Corona: «Ich im Stillen hab mir gedacht: Vielleicht tut dies der Menschheit ja gut, wir werden ein bisschen demütiger. Wir schauen vielleicht Sachen genauer an, über die wir bisher hinweggegangen sind. – Jetzt habe ich Zeit, mir abends solche Überlegungen zu machen.»
Durch den Vater, einen begabten Fussballer, kommt Hene zum Schutten, wie er sagt. Es ist auf vielen Plätzen – Wyler, Spitz und natürlich im Wankdorf, Wanki genannt – präsent. «Es gab damals viel weniger Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche, aber: Wir hatten alles! Im Winter sogar eine Eisbahn auf der Strasse!»
Zweimal erlebt Minder den Abbruch des Stadions: 1952, weil es sonst die Fussball-WM 1954 mit dem «Wunder von Bern» (Deutschlands 3:2-Sieg im Final über Ungarn) nicht gegeben hätte; 2001 die Sprengung des in die Jahre gekommenen Wanki. Er erinnert sich an 1952: «Als sie es abrissen, gingen wir Buben jeden Abend ins Wankdorf. Die Väter stellten uns auf ein Malerböckli und wir mussten alle Nägel aus dem Holz rausschlagen. Ende Woche kriegten wir ein kaltes Flusco, einen Schoggidrink, und zwei Franken – unglaublich viel für uns.»
YB und das Stadion stehen im Zentrum von Henes Leben. Er hat die legendären 1950-er Jahre unter Albert Sing mit vier Meistertiteln erlebt, später die sportlich unsicheren und finanziell prekären, die Zeiten der Abwendung vom nicht mehr glamourösen YB – und dann den Anstieg bis zum ersten Meistertitel 2018 nach langer Durststrecke. Mit über 40 begann der Fan, ehrenamtlich und sehr bescheiden entschädigt, für den Klub zu arbeiten. Als Hilfstrainer, Materialwart, erfolgreicher Betreiber des Fan-Shops zusammen mit seiner Frau Sile (Sylvia), als Masseur, der dem Trainer Gross beim Bäcker Bohnenblust einen Bienenstich holt. Das Leben ist gelb-schwarz, das Leben ist gut. Und Sile, die Hene mit 34 Jahren geheiratet hat, ist mittendrin, sie «war fast mehr angefressen vom Schutten als ich». Als sie nach langer Krankheit mit 73 Jahren stirbt, endet die Beziehung nicht. Hene stellt Fotos in die Wohnwand und «jeden Morgen, bevor ich das Haus verlasse, gehe ich zu den Fotos und rede mit meiner Frau».
Politik kommt nicht vor. Und doch ist Hene Minder ein politischer Mensch, wenn er sagt: «Es gibt keine Partei, der ich hätte beitreten wollen. Aber wenn ich eine gründen würde, so hiesse sie ‚Partei der Demut‘. Ich würde mich vor allem für ältere Leute einsetzen. Und für Kinder.»
Hene Minder ist ein Familienmensch. Er war zuhause in der Beziehung zu den Grosseltern; er hatte ein warmherziges Leben mit Vater, Mutter und Bruder. Er ist da für seinen Sohn Michu und dessen Kinder. Überhaupt hat er es mit Kindern. Seit Jahren und bis heute betreut Minder die «Einlauf-Kids», jene Buben, die an der Hand der Spieler zu Beginn des Matchs ins Stadion einlaufen. Er schwört: «Beim allerletzten Spiel, wenn ich mit den Kids einlaufe, lasse ich einen Film drehen, und zwar von allem Anfang an, wenn die Eltern sie bringen. Ich habe manchmal mehr Freude an den Kindern als am Match …»
Fast 80-jährig, tritt Hene Minder kürzer. Noch immer gehört er zu YB und gehört YB – die Spieler, der Trainer, der hochgeachtete Sportchef Christoph Spycher und viele viele mehr – zu ihm, eine erweiterte Familie. Minder ist ein farbiger Erzähler, er hat ein gutes Urteil, er hat viel erlebt und vielen viel gegeben. Nun liegt seine Erinnerung an sein Leben in Buchform vor.
Bettina Hahnloser und Urs Frieden – beide auch bei Journal B aktiv – ist es gelungen, aus zahlreichen Gesprächen mit Hene Minder ein Buch zu verfassen, das eng an den Wörtern, Sätzen und der Sprechweise Minders bleibt und stets dem Wissenwollen der Leser*innen verpflichtet ist. Die zahlreichen kurzen Kapitel mit prägnanten Titeln lesen sich leicht und sind doch keine leichte Kost. Chapeau.