Ein magisches Leuchten

von Christoph Reichenau 4. September 2022

Im Affspace an der Münstergasse 4 zeigen Lang/Baumann das leuchtende Werk Perfect 6. Und der Offspace für Architektur bietet in diesem Quartal noch einiges mehr. Stichworte: Nachhaltigkeit und Ipotizzare.

Man schlendert, dem geschäftigen Treiben des Samstagsmarkts entfliehend, die Münstergasse hinab bis fast zu ihrer Einmündung in die Kreuzgasse. Haus Nummer 4, mit Goldziffer fein beschriftet, trägt über der Eingangstür ein kleines Relief mit einem Affen, dem Erkennungszeichen der gleichnamigen Zunftgesellschaft. Hinter dem Schaufenster rechts, auf dem es unten noch Egli Bestattungen AG heisst, liegt ein kleiner Raum, der Affspace. Den Raum teilt, in eleganter Kurve sich windend, ein hoher Paravent, eine gläserne, von hinten angeleuchtete Skulptur. Sie schneidet am Boden sozusagen ein Stück altes Parkett aus und macht es sichtbar. Das ist Perfect 6, eine Installation von Lang/Baumann.

Am grauen, regnerischen Morgen leuchtet das Werk über den kleinen Galerieraum hinaus in den Laubengang gegenüber dem Münsterchor. Es wärmt den eher düsteren Ort, weitet ihn aus, bezieht auch die Passanten ein.

Neue Verwendung

Perfect 6 besteht aus 1440 Glaskuben von 10 Zentimetern Seitenlänge mit unterschiedlicher Dicke und Oberfläche. Einst bildeten sie Deckenleuchten, bei einem Umbau wurden sie entsorgt und harrten im Depot des Künstlerpaars Sabina Lang und Daniel Baumann neuer Verwendung. Auf der Rückseite mit Metallstiften versehen und auf lange Träger geschraubt, bilden sie nun einen leuchtenden Vorhang, einen Paravent, eine Skulptur oder alles in einem. Man kann darin finden, was man will. Perfect 6 strahlt auch einfach in plastischer Schönheit.

Lang/Baumann haben in dreissig Jahren Dutzende von Werken geschaffen, in Gebäuden und im öffentlichen Raum, die – wie Perfect 6 – architektonische Elemente, skulpturale Formen und ironisierte Nutzungsversprechen ineinander verweben, miteinander verbinden. In Bern stammt aus jüngerer Zeit die temporäre Bar bei der Kunsthalle von ihnen, Nutzbau und künstlerische Form in einem.

Weiteres Nachdenken

So passt das Werk gut zum Affspace. Während es dort bis zum 18. November zu betrachten ist, bietet der Offspace für Architektur mit Partnerorganisationen am 1. November im Gemeinschaftsraum der Genossenschaft Warmbächli einen Vortrag von Barbara Buser. Unter dem Titel «Zirkuläres Bauen» berichtet die Architektin über nachhaltiges Bauen unter dem Motto Behalten, was schon da ist und in sich Geschichte(n) trägt.

Anfang Dezember folgt an der Münstergasse die Gruppen-Ausstellung Ipotizzare – vermuten, bauen spielen. Ipotizzare – wie sagt man dem auf Deutsch? Eine Hypothese aufstellen? Oder als Tätigkeitswort: annehmen, spekulieren, vermuten, erwägen, ins Auge fassen, sich Gedanken machen – kurz, dem Möglichkeitssinn frönen, nichts als unmöglich ausschliessen. In unserer ungemütlichen und herausfordernden Zeit ein Versprechen für den Umgang mit dem Realen und dem Reellen. Zum Glück nehmen auch kleine Kulturorte sich dieser existentiellen Fragen an, die auch zu ganz praktischen Antworten führen.

Aber zuvor: Hingehen an die Münstergasse 4. Man hat Perfect 6 schnell gesehen, doch es wirkt lange in einem nach.

www.affspace.ch