Ein grosses, stilisiertes «H» auf einer weissen Fahne ziert aktuell die Fassade der Münstergasse 39. Wer sich heute Morgen in den Räumen des geschlossenen koreanischen Restaurant Chun-Hee einfand, traf das Logo auch auf Pullovern, Taschen und Flyern an. Hier informierten am Vormittag Marina Bolzli, Jürg Steiner und Joël Widmer über die Pläne für ein neues Berner Lokalmedium namens «Hauptstadt».
Der Zeitpunkt ist kein Zufall, wie die drei an der Medienkonferenz berichteten. Vor ziemlich genau einem Jahr beschloss Tamedia, das Medienunternehmen der Tx Group, das Ende des bisherigen Berner Modells mit zwei sich zumindest teilweise konkurrierenden Tageszeitungen. Die Lokalredaktionen werden zusammengelegt, in diesen Tagen wird die Fusion Tatsache sein.
«Wir wollen die Medienvielfalt zurück nach Bern holen», erklärte Jürg Steiner heute Morgen. Er sei überzeugt, dass ein Bedürfnis nach Lokaljournalismus, nach gut erklärten Basisinformationen bestehe. Um das Projekt zu realisieren, starteten die Verantwortlichen der Hauptstadt ein Crowdfunding, das sie als Realitätstest verstehen. Sollten sich 1000 Personen finden, die für 120 Franken ein Abo lösen, werde die Hauptstadt sich an die Umsetzung machen. Ab 4000 Personen wäre das Medium praktisch selbstragend. «Gemäss unserem Businessplan sollte das in drei bis vier Jahren der Fall sein», erläuterte Joël Widmer. Bis dahin brauche es allerdings noch eine Anschubfinanzierung. Laut Widmer sei diese mit einer Million Franken über drei Jahre eingerechnet, aktuell existierten Zusagen für etwa die Hälfte davon: «Wir haben Kontakt mit der Stiftung für Medienvielfalt, mit der Burgergemeinde und mit weiteren Stiftungen. Das Crowdfunding ist aber der wichtigste Teil unserer Finanzierung.»
Die Basis für das Projekt legte ein Kollektiv von rund 15 Berner Medienschaffenden im Zeitraum des letzten Jahres. Klar ist, dass vorerst höchstens ein kleiner Teil dieser Projektgruppe bei der Hauptstadt – wo Widmer, Bolzli und Steiner die publizistische Verantwortung übernehmen – angestellt sein kann. «Der Übergang von der freiwilligen Projektphase zum professionellen Betrieb wird kein einfaches Unterfangen», formulierte es Jürg Steiner. Dies sei ihnen jedoch von Anfang an bewusst gewesen.
Die Hauptstadt – dies wurde am heutigen Vormittag mehrfach betont – soll ein Leser*innen-finanziertes Produkt sein und ohne Werbung auskommen. Wer im Besitz eines Abos ist, werde im Gegensatz zu Nicht-Abonnent*innen auf das Archiv aller Artikel zugeifen können. Als Vorbilder nannte OK-Mitglied Marina Bolzli unter anderem Medien wie die «Republik» auf nationaler Ebene, «Bajour», «Tsueri», «zentralplus» und «Kolt» auf lokaler Ebene.
Das Vorhaben, welches den Medienvertretenden am heutigen Dienstag vorgestellt wurde, ist ambitioniert, allzu grosse Töne werden aber nicht angeschlagen. Das eher bescheidene Ziel von 1000 Abonnent*innen für das Crowdfunding und die zurückhaltende Kommunikation waren mehrfach Gegenstand von Fragen. Die Antwort darauf lieferte Jürg Steiner, als er erklärte, wie die zukünftige Redaktion aufgebaut sein soll. Die Rede ist von fünf Vollzeitäquivalenten, vier davon für Journalist*innen und Fotograf*innen. Damit erreiche man einen Bruchteil der Grösse einer Tamedia-Redaktion, entsprechend müsse man die Ressourcen gezielt einsetzen, so Steiner.
Welche thematischen Schwerpunkte, das neue Medium setzen will, wurde nicht im Detail bekannt. Festzustehen scheint ein Fokus auf Lokalpolitik und Kulturjournalismus, aber auch Sportberichterstattung solle punktuell möglich sein. Genaueres dürfte sich nach Abschluss des Crowdfundings zeigen, dieses läuft noch bis am 19. November. Auf der Website der Hauptstadt steht der Zähler zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Textes bei 563 Abos. Wenn alles gut laufe, so gab das OK an der heutigen Medieneinladung bekannt, dürfte das neue Lokalmedium im ersten Quartal 2022 die ersten publizistischen Gehversuche wagen.
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