Ein Kulturbetrieb und die Teuerung

von Christoph Reichenau 17. Mai 2023

Abstimmung Es geht um Stellenabbau, Löhne und Teuerung in einem Betrieb mit 550 Mitarbeitenden: In der Stadt Bern stimmen wir am 18. Juni über den Leistungsvertrag mit Bühnen Bern ab. Eine Übersicht mit einer persönlichen Einschätzung.

Seit ein paar Wochen treten an den Vorstellungen im Stadttheater Mitarbeiter*innen der Technik mit einer Kerze vor den Vorhang und weisen durch deren Auslöschen in zurückhaltender Art auf ihre Zukunft bei Bühnen Bern hin, wenn die neue Leistungsvereinbarung 2024-2027 in Kraft tritt.

38‘850‘000 Franken Subvention pro Jahr erhält Bühnen Bern (BB) jetzt von der Stadt, den 80 Gemeinden der Regionalkonferenz Bern-Mittelland und dem Kanton Bern zusammen. Die Subvention deckt 80 Prozent der Betriebskosten. 81,8 Prozent der Stadtberner:innen haben zugestimmt.

Für die vier Betriebsjahre 2024-2027 hat der Stiftungsrat von BB eine Erhöhung um 1,28 Millionen Franken beantragt. Erhalten soll BB demgegenüber neu 38‘380‘000 Franken. Anstatt mehr bekommt der grösste Kulturbetrieb im Kanton Bern künftig also weniger als heute. Zusätzlich muss BB auf 400‘000 Franken aus der sogenannten Bundessubvention verzichten, die die Bundesversammlung gestrichen hat. Die öffentlichen Gelder für BB sinken folglich insgesamt um 870‘000 Franken im Vergleich mit heute und um 2,15 Millionen gegenüber dem Antrag des Stiftungsrats.

Welche Folgen hat es auf die Mitarbeiter:innen?

Über den vierjährigen Leistungsvertrag mit BB 2024-2027, der diese Zahlen enthält, stimmen die Stimmberechtigten der Stadt Bern am 18. Juni ab. Wie ist das zu erklären und welche Folgen hat es für die rund 550 Mitarbeiter:innen von BB und für das Publikum?

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Für das Publikum ändert sich bei Bühnen Bern wenig (Foto: Nicolas Eggen).

Zuerst: Die Stadt Bern schliesst mit zahlreichen Kulturorganisationen alle 4 Jahre neue Vereinbarungen ab. Für einige ist der Gemeinderat zuständig, für andere der Stadtrat. Vier Vereinbarungen (Bühnen Bern, Historisches Museum, Kornhausbibliotheken und Dampfzentrale) muss wegen der Höhe der Beiträge das Volk zustimmen.

Die neuen Verträge laufen vom 1. Januar 2024 bis zum 31. Dezember 2027. Bei BB beginnt wegen der saisonalen Organisation des Betriebs die Geltungsdauer bereits ab 1. Juli 2023 und endet Mitte 2027.

Ein Blick zurück

Vor acht Jahren konnte BB dank einer bescheidenen Subventionserhöhung die Löhne der Schauspieler*innen, Tänzer*innen, Sänger*innen und der Chorsänger*innen anheben.

Vor vier Jahren war geplant, für zusätzliche 1,2 Millionen Franken Subventionen nach langer Durststrecke die Löhne der Techniker:innen sowie der Musiker*innen des Berner Symphonieorchesters (BSO) um 5 Prozent zu erhöhen und ein paar zusätzliche Technik-Stellen unter anderem für Digitales zu schaffen. Doch die Behörden bewilligten «für die Anpassung des Stellenplans im technischen Bereich sowie weitere Massnahmen» lediglich 300‘000 Franken.

Der Effekt: Das BSO ging leer aus. Die Technik-Löhne stiegen lediglich um 2 Prozent, und nicht alle Stellen konnten geschaffen werden.

Der Einschnitt ist zu gross für bloss kosmetische Massnahmen. Getroffen werden in unterschiedlicher Weise alle vier künstlerischen Sparten sowie die Technik.

Für die neue Leistungsvereinbarung beantragte deshalb BB folgerichtig Lohnanpassungen für die Technik (plus 3%, 310‘000 Franken) ohne neue Stellen und für das BSO (5%, 570‘000 Franken). Weiter wurden 400‘000 Franken angefordert für Verstärkungen in Nachhaltigkeit, Inklusion, Vermittlung, Teilhabe und Digitalisierung – Bereiche, welche den Subventionsgeber:innen strategisch am Herzen liegen.

Praktisch lehnten sie die Anträge ab. Ja, sie beschlossen unter Federführung der Stadt Bern gar Kürzungen um insgesamt 250‘000 Franken, wovon 225‘000 bei Bühnen Bern. Und weil die Stadt für 48 Prozent der Subventionierung von BB verantwortlich ist, die Region-Gemeinden für 12 und der Kanton Bern für 40 Prozent, summiert sich die Kürzung auf 470‘000 Franken pro Jahr.

Wie geht Bühnen Bern mit der Kürzung um?

Der Einschnitt ist zu gross für bloss kosmetische Massnahmen. Getroffen werden in unterschiedlicher Weise alle vier künstlerischen Sparten sowie die Technik. Die Massnahmen setzen in der Saison 2025/2026 ein.

  •  Im BSO bleiben die Löhne gleich, jedoch wird der Beschäftigungsgrad der Festangestellten um 5% verringert, von 100 auf 95 %. Anstatt die Löhne anzuheben, senkt man die Arbeitszeit. Aber das BSO will kein Teilzeit-Orchester sein. Zudem spielt das BSO 3 Abonnementskonzerte und 1 Oper weniger pro Saison.
  • In der Spielstätte Stadttheater werden in der Oper und im Schauspiel je eine Produktion pro Saison weniger gemacht. Die einzelnen Produktionen kommen nicht über die ganze Saison verteilt zur Aufführung, sondern unmittelbar hintereinander. Man nennt dies µStagione»-Betrieb und kennt dessen Vor- und Nachteile aus der Westschweiz. Er erspart Umbauten und Technikeinsätze.
  • Der Tanz bleibt bei 3 Programmen pro Saison, davon eines mit dem BSO im Stadttheater; seine Aufführungen werden blockweise konzentriert.
  • Im Schauspiel und in der Oper bleiben die Ensembles erhalten. Wegen der Konzentration der Einsätze werden allerdings auch in den beiden Sparten weniger Künstler:innen erforderlich; dies wird sich vor allem beim Beizug von Gästen auswirken.

All dies führt zu insgesamt 30 Vorstellungen weniger pro Saison. Durch die neue Organisation werden 10 Technik-Stellen eingespart. Umgekehrt steigen die Löhne im Bereich Technik um 3 Prozent.

Und das Publikum?

Für das Publikum ändert sich wenig. Die Abonnements bleiben unverändert. Im freien Verkauf wird sich der Zeitraum verkürzen, eine Oper oder ein Schauspiel im Stadttheater zu besuchen. Man muss alert sein, die Mund-zu-Mund-Propaganda kann weniger lange wirken.

Blick auf eine Produktion.
In der Spielstätte Stadttheater werden in der Oper und im Schauspiel je eine Produktion pro Saison weniger gemacht (Bild: Florian Spring / Pressefoto Bühnen Bern)

BB werden die Einnahmen aus den 30 Vorstellungen die wegfallen, fehlen. Bei heutiger Auslastung dürften sich die Mindereinnahmen auf gegen 850‘000 Franken pro Saison belaufen, kein Pappenstiel.

Die wegfallenden Stellen

10 Stellen werden bei der Technik wegfallen von Mitte 2025 bis Mitte 2027. Die Geschäftsleitung bedauert dies sehr. Sie wird zuerst sämtliche Neuanstellungen bis Mitte 2025 befristen. Den kontinuierlichen Abbau ab dann, soll – so hofft sie – dank Pensionierungen und normaler Fluktuation ohne Kündigungen bewältigt werden können.

Die Stimmung im Haus

Die Geschäftsleitung stehe, sagen Intendant Florian Scholz und der kaufmännische Direktor Toni Stocker, in einem guten Dialog mit den Mitarbeiter:innen. Vor allem die lang schon bei BB Arbeitenden sind aber traurig und enttäuscht, allenfalls nicht weiter an ihrem Haus arbeiten zu können. Sie haben seit vielen Jahren immer wieder akzeptiert, dass die Teuerung nicht ganz ausgeglichen werden konnte und Lohnerhöhungen zurückgestellt wurden. Deshalb protestieren sie nun stumm und mit Informationszetteln auf der Bühne und vor dem Stadttheater.

Wie wird der Sommer 2027 aussehen?

Die nach langem Warten finanzierten Lohnerhöhungen dürften durch die reale Teuerung – bis 2027 wird mit etwa 10 Prozent gerechnet – rasch aufgefressen werden. Dies bedeutet, dass die reale Kaufkraft abnehmen wird. Ausdrücklich steht jedoch in der Leistungsvereinbarung, während deren Dauer erfolge keine teuerungsbedingte Anpassung der Subventionen.

Er ist die bei weitem grösste Kulturinstitution der Stadt. Dennoch ist Bühnen Bern an der untersten Grenze öffentlich mitfinanziert.

Das mutet fast zynisch an, denn das städtische Personal erhält aufgrund des revidierten Personalreglements den Teuerungsausgleich automatisch. Die Mitarbeiter:innen von Bühnen Bern, zu 80 Prozent von der öffentlichen Hand finanziert und folglich – wirtschaftlich betrachtet – ebenfalls öffentlich besoldet, gehen leer aus, weil sie formal bei einer Stiftung angestellt sind, einer privaten Arbeitgeberin.

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Der Blick fällt immer zuerst auf Bühnen Bern

Die Stadt Bern muss sparen. Auch bei der Kultur. Wenn es um Abstriche geht, fällt zuerst immer der Blick auf Bühnen Bern. Der Vier-Sparten-Betrieb bezieht am meisten Subventionen im Kanton Bern; er ist die bei weitem grösste Kulturinstitution der Stadt. Dennoch ist BB an der untersten Grenze öffentlich mitfinanziert. Dies zeigt ein Blick auf die Verhältnisse in vergleichbaren Städten unseres Landes.

Schauspielerinnen auf einer Bühne in blauer Kleidung.
All dies führt zu insgesamt 30 Vorstellungen weniger pro Saison (Bild: Amelie Amei Kahn-Ackermann / Pressefoto Bühnen Bern).

Für die kommenden vier Jahre hat BB mit einschneidenden Massnahmen auf die beträchtliche Kürzung der Subventionen reagiert. Sie gehen vor allem zu Lasten der Technik. Mit Blick voraus auf die nachfolgende Subventionsperiode 2028-2031 muss man sagen: Es braucht entweder eine Trendumkehr, also ein Bekenntnis zu BB, das pro Jahr rund 120‘000 Besucher:innen erreicht. Oder es braucht den Mut zur Frage: Wollen wir in Bern wirklich eine eigene Oper oder ein eigenes Schauspiel oder ein eigenes Ballettensemble?

Wir können der Leistungsvereinbarung zustimmen, weil wir Bühnen Bern mittragen – und mitschuldig werden an der Misere.

Der Stiftungsrat schweigt – aus Feigheit, aus Gleichgültigkeit, aus Realitätssinn? Dass er sich zuvor mit aller Kraft für Bühnen Bern stark gemacht hat, bezweifle ich. Jetzt, in einem der raren Momente, wo es auf ihn wirklich ankommt, hält er sich bedeckt.

Was können wir tun?

Was können wir an der Abstimmung vom 18. Juni tun? Wir können der Leistungsvereinbarung zustimmen, weil wir Bühnen Bern mittragen – und mitschuldig werden an der Misere.

Oder wir können «Nein» sagen und so eine neue Diskussion erzwingen. Wie diese ausgehen würde, ist offen. Aber es gäbe die Chance, sich einzumischen in eine Prozedur – die Aushandlung der Leistungsvereinbarungen in der Kultur –, die in diesem Jahr besonders undurchsichtig und weitgehend ohne öffentliche Debatte ablief.

Die Chance, ein Nein zu erreichen, ist gering. Und doch ist Widerstand besser als Anpassung – vor allem, wenn man als Besucher:in und als Zuhörer:in zuvor keine Chance hatte?