Sie sind jetzt schon seit über 20 Jahren als Pfarrer tätig. Nachdem Sie Ihr Thelogiestudium beendet haben, waren Sie in der Kirchgemeinde Halden im Kanton St. Gallen tätig. Nun sind Sie schon seit über drei Jahren in der Heiliggeistkirche in Bern. Inwiefern hat sich Ihre Arbeit als Pfarrer im Laufe der Zeit verändert?
Andreas Nufer:
Es hat sich sehr viel verändert durch das Aufkommen von Computer, Telefonbeantworter und Handy. Die Kommunikation läuft heute viel schneller ab als früher. Das ist praktisch, da ich in meinem Beruf sehr viel mit Menschen kommunizieren muss. Die Gesellschaft ist insgesamt viel heterogener geworden, das heisst, dass zunehmend verschiedene Lebensstile sowie Anforderungen nebeneinander bestehen. Für mich bedeutet dies, dass ich immer mehr Angebote für immer kleinere Gruppen entwickeln muss. Zwar waren schon immer die Angebote auf eine bestimmte Zielgruppe ausgerichtet, es gab demnach noch nie ein Angebot für alle, jedoch hat die Anzahl kirchlicher Projekte, wie themenspezifische Gottesdienste, Kinderlager oder Konzerte, zugenommen.
Laut der Kirchenstatistik sind im Jahre 2014 4’710 Personen aus den reformierten Kirchen im Gebiet Bern-Jura-Solothurn ausgetreten (bei 331 Eintritten). Was machen Ihrer Meinung nach die Kirchen falsch, so dass die Mitgliederzahl stetig sinkt?
Offenbar sind wir nicht relevant genug. Zudem glaube ich, dass wir ein sehr schlechtes Image haben. Die Vorstellungen Vieler über die Kirche stimmen nicht mehr. Das grösste Problem meiner Meinung nach ist, dass die Kirche eine Sprache spricht, welche viele Leute nicht richtig verstehen. Die meisten stellen sich die Dinge wie zum Beispiel die Auferstehung von Jesus kindlich-bildlich vor. Darüber hinaus ist das aber eine sehr sinnstiftende und lebensbejahende Geschichte, bei der jede und jeder herausfinden kann, was sie für sich bedeutet.
Die Schuld für die Kirchenaustritte liege also bei den Anhängern und nicht bei der Kirche selber.
Überhaupt nicht! Ich würde eher sagen, die Kirche hat es nicht geschafft, eine Sprache zu finden, welche die Leute verstehen. Das ist das Problem der Kirche, nicht der Kirchengänger.
Wie könnte man dieses Problem lösen?
Indem man immer wieder versucht, die Texte in die heutige Sprache zu übersetzen oder mitteilt, was die jeweilige Geschichte für eine Bedeutung für das heutige Leben hat.
Die Kirchliche Unterweisung (kurz KUW) ist ein freiwilliger Kirchenunterricht für Kinder und Jugendliche. Was ist das Ziel dieser KUW?
Der Unterricht war schon immer freiwillig und muss auch freiwillig bleiben. Das ist eine Grundbedingung der Religion. Die KUW besteht aus vier Säulen: Wissensvermittlung, das Entdecken und Einüben der eigenen Spiritualität, kreative Arbeit und das Pflegen der Gemeinschaft. Die Themen bauen aufeinander auf. Das Ziel ist, dass man die eigene Religion erklärt bekommt und dann mit der Konfirmation bestätigt, ob man diese Religion will oder nicht.
Und wenn man diese Religion nicht will? Was haben die Jugendlichen für Möglichkeiten?
Im Unterricht zeigen und besuchen wir selbstverständlich auch die anderen Religionen. Immer behandelt werden das Judentum, der Islam, der Hinduismus und der Buddhismus. Je nach Reise, wie dem Konfirmationslager, beprechen und besuchen wir noch andere Religionen. Mit dem Erwachsenwerden sollen sich die Jugendlichen dann entscheiden, ob sie Christ werden wollen, keine Religion oder eine andere Religion annehmen wollen. Das muss eine freie Entscheidung sein!
Was müssen die Jugendlichen tun, um die Religion zu wechseln?
Für das Konvertieren, also den Wechsel in eine andere Religion, gibt es bei jeder Religion andere Regeln. Es ist aber bei allen Religionen so, dass man die Religion zuerst kennenlernen muss, bevor man Mitglied werden kann. Das ist ja auch logisch.
Wie erleben Sie die Beziehung zwischen den verschiedenen Religionen in Bern?
Bern ist ein Paradebeispiel von einem sehr guten Dialog zwischen den Religionen. Nicht aus irgendeinem Grund gibt es in Bern das «Haus der Religionen», welches europaweit einzigartig ist. Bei uns in der Kirche gibt es das Programm «Heiliggeist interreligiös», bei welchem sich Vertreter aus acht verschiedenen Religionen regelmässig treffen, sich austauschen, zusammen diskutieren und beten.
Was für eine Haltung sollte die Kirche bei aktuellen Diskussionen wie der Flüchtlingskrise einnehmen?
Meiner Meinung nach sollte sich die Kirche immer auf die Seite der Schwächeren stellen, da Gott sich immer auf die Seite der Schwachen gestellt hat, sich immer auf die Seite der Schwachen stellt. Beim Thema Flüchtlinge sollte sich die Kirche deshalb dafür einsetzen, dass die Schweiz offene Grenzen hat und dass Flüchtlinge, in ihrer Heimat an Leib und Leben bedroht, nach ihrer Flucht schnell und unkompliziert bei uns aufgenommen und anständig behandelt werden.
Welche Tipps würden Sie neuen, am Anfang ihres Berufs stehenden Pfarrerinnen und Pfarrern, auf den Weg gehen?
Schön ist, wenn sie Freude an den verschiedenen Personen und an der Arbeit haben. Und sie müssen eine gute Balance zwischen Arbeit und Ausruhen finden. Das ist bei unserem Beruf besonders wichtig.