Journal B: Die Wohn-Initiative will in Bern mehr bezahlbare Wohnungen. Das Gegenkomitee warnt, der vorgeschlagene preisgünstige Wohnungsbau produziere «Wohnprofiteure», weil Vermietungskriterien fehlten. Der freisinnige Stadtrat Bernhard Eicher warnt gar vor einer «Umverteilung von unten nach oben». Was macht einen bürgerlichen Wortführer derart konfus, dass er gegen seine eigenen Interessen wettert, bloss um die Linken links überholen zu können?
Jürg Sollberger: Offenbar unsere Wohn-Initiative. – Konkret will sie ja, dass bei Um- und Neueinzonungen ein Drittel der Bruttogeschossfläche für preisgünstigen Wohnraum respektive für gemeinnützige Bauträger reserviert wird. Daraus leitet das Gegenkomitee ab, dass jene, die auf dem freien Wohnungsmarkt kaufen oder mieten, jenes Drittel subventionieren müssten, das den preisgünstigen Wohnraum bewohne. Darum reden sie von «Wohnprofiteuren». Aber die Behauptung dieser Subventionierung ist Unsinn.
Warum?
Weil das gemeinnützig überbaute Drittel selbstverständlich selbsttragend funktioniert. Es wird nichts subventioniert. Das Gegenkomitee verwechselt Kraut und Rüben. Es behauptet, es gehe um Subjektförderung, wo es um Objektförderung geht. Es redet von den Mietenden, wo der Wohnungsbau zur Diskussion steht.
Was heisst das konkret?
Bei der Subjektförderung erhalten die Leute Mietzuschüsse, damit sie die Wohnungsmieten bezahlen können. Subjektförderung ist eine sozialpolitische Massnahme, die für den subventionierten Wohnungsbau Sinn macht, also für Haushalte, die den Mietzins nicht aufbringen können. Wenn die Bürgerlichen die Subjekthilfe für die ganze Wohnbauförderung anwenden wollen, nehmen sie in Kauf, dass staatliche Sozialgelder als überrissene Mieteinnahmen an die Privaten zurückfliessen. Kurz: Subjekthilfe subventioniert je nach Situation die Spekulation.
Die Initiative hat dagegen die Objekthilfe zum Thema. Sie wird auch vom Bund angewendet und ist im Artikel 108 der Bundesverfassung verankert: «Der Bund fördert den Wohnungsbau […] sowie die Tätigkeit von Trägern und Organisationen des gemeinnützigen Wohnungsbaus». Diese Formulierung hat die Kantonsverfassung sinngemäss übernommen und im Artikel 13 der Gemeindeordnung heisst es: «Die Stadt trifft […] Massnahmen zur Förderung des Baus und der Erhaltung preisgünstiger Wohnungen.»
Bei der Initiative geht es demnach nicht um die Vermietungskriterien, weil es gar nicht um Subjektförderung geht. Gibt es denn umgekehrt Kriterien für die Förderung von gemeinnützigem Wohnungsbau?
Ja klar. Die Bedeutung des Wortes «Gemeinnützigkeit» ist juristisch definiert: sehr begrenzte Gewinnausschüttungen, Kostenmiete, das Tantiemenverbot und ein strenger Liquidationsartikel: Wird die Organisation aufgelöst, muss der Wertzuwachs wieder dem gemeinnützigen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden. Diese Kriterien genügen, um das gemeinnützige Segment zu kontrollieren. Die quasi polizeistaatliche Kontrolle der Mieterschaft, mit der die Bürgerlichen drohen, ist überflüssig. In Mitgliedergenossenschaften zum Beispiel bestimmen die Bewohner und Bewohnerinnen über ihre Organe mit, wer einzieht und wer nicht. Als private Wohnbauorganisationen haben sie je eigene Vermietungskriterien. Zwei Drittel aller gemeinnützigen Bauträger wenden dabei zum Beispiel Belegungskriterien an. Wenn ein Millionär in die Gemeinschaft passt – bitte schön. Aber erfahrungsgemäss passiert das selten bis nie.
Als weiteres Kriterium gibt es die Anlagekostenlimiten der Bundesförderung: Wer von ihr Darlehen beansprucht, darf in der Stadt Bern zum Beispiel für Landkauf und Baukosten einer Vierzimmerwohnung höchstens 545000 Franken ausgeben. Bei den aktuellen Baukosten bedeutet das, dass der Bodenpreis 15 Prozent der Limite nicht übersteigen darf. Lässt man in Bern den Bodenmarkt unkorrigiert spielen, haben die Gemeinnützigen als Käufer zurzeit keine Chance, kaufen und bauen zu können. Andere Städte greifen deshalb steuernd in diesen Markt ein: In der Millionenstadt Wien werden acht von zehn Wohnungen von der Stadt gebaut und zu sehr tiefen Mieten vermietet.
Das Beispiel ist weit weg von der bernischen Realität.
Darum braucht es steuernde Eingriffe der Politik. Immerhin ist beim Warmbächliprojekt nun mindestens 50 Prozent der Bruttogeschossfläche für gemeinnützigen Wohnungsbau vorgesehen, im Viererfeld ein Drittel. Allgemein gilt: Wenn die Stadt Bern das gemeinnützige Segment fördern will, muss sie es aus dem freien respektive spekulativen Markt herausnehmen. Genau das will die Initiative zu mindestens einem Drittel.
Der Freisinnige Adrian Haas frotzelt in der BZ, wie denn das gehen solle, wenn ein Privater seine Liegenschaft um einen Stock erhöhe – ob er dann eines der Zimmer nach gemeinnützigen Vorgaben bauen müsse?
Ach was. Die Initiative sagt, dass es bei «kleineren Arealen» Ausnahmen geben soll. Wir gehen davon aus, dass die neue Regelung ab einer Grösse von rund 5000 m2 Bruttogeschossfläche – das entspricht ungefähr fünfzig Wohnungen – greifen muss. Auf einem neueingezonten Areal in dieser Grösse kann demnach ein privater Investor rund 34 Miet- oder Eigentumswohnungen realisieren, daneben er oder ein gemeinnütziger Bauträger rund 16 Wohnungen zu den anderen Bedingungen. Das ist die Idee.
Für das Gegenkomitee sind diese 16 Wohnungen ein schwerer Eingriff in den Wohnungsmarkt.
«Der gemeinnützige Wohnungsbau produziert deshalb heute die günstigen Altbauwohnungen der Zukunft.»
Jürg Sollberger
Es ist ein Eingriff in den Bodenmarkt, aber nicht in den Wohnungsmarkt. Die Initiative verhindert den Anleger- oder Eigentümermarkt nicht. Die Initiative will, dass dieser Markt zugunsten des gemeinnützigen um einen Drittel weniger wächst. Diese Regelung tangiert über die Bodenbewertung den Grundeigentümer, aber nicht die Investoren. Diese arbeiten mit den genau gleichen Verpflichtungen wie bisher – Bauklassenplan und Nutzungsplan als staatliche Definitionen und Eingriffe bleiben ja unverändert. Und unverändert bleibt auch die generelle Ungerechtigkeit des schweizerischen Bodenrechts: die Einzonungen, die den einen Bauer zum Millionär machen, aber seinen Nachbar nicht.
Hat das Gegenkomitee Angst, dass die Gemeinnützigen den freien Wohnungsmarkt mit billigeren Wohnungen kaputt machen?
Nein, Neubauwohnungen sind nie billig: Die Baukosten sind ja für alle gleich. In unserem Beispiel differieren deshalb bei vergleichbarer Bauweise die Anfangsmieten der 34 und der 16 Wohnungen nur geringfügig um den Bodenpreisanteil. Aber nach zwanzig Jahren wird das anders sein: Die gemeinnützigen Wohnungen werden dann bloss um die Indexteuerung mehr kosten, die Wohnungen auf dem freien Markt – das sagt die Statistik für Bern – werden rund 20 Prozent teurer sein, weil im freien Markt die Wohnungszinse bei jedem Mietwechsel über die Teuerung hinaus angehoben werden können. Der gemeinnützige Wohnungsbau produziert deshalb heute die günstigen Altbauwohnungen der Zukunft. Bei grossem Volumen kann der preisgünstige Wohnungsbau auch auf den Gesamtmarkt dämpfend wirken, was in einem verrückt spielenden Markt durchaus Sinn macht.
Das Gegenkomitee sagt, die Umsetzung der neuen Vorschriften würde zu einer «unsinnigen Bürokratie» führen.
Es gibt mehr bürokratischen Aufwand, das stimmt. Wer eine Vorschrift macht, muss sie kontrollieren. Schon heute muss, wer gemeinnützig baut, in den Gesuchen die entsprechenden Fragen nach Preisgünstigkeit und Kostenmiete beantworten. Diese Bürokratie ist aber nicht «unsinnig», sondern für die Zielsetzung der Initiative sinnvoll und notwendig. Abgesehen davon wird der Kontrollaufwand nur in dem Mass wachsen, in dem grössere Überbauungen geplant werden.
Sehr viele kommen ja da in Bern nicht in Betracht.
Zur Zeit sind das Warmbächli, das Viererfeld, das Burgernziel oder das Gaswerkareal im Fokus. Mehr auf einmal werden es auch in Zukunft kaum sein.
Jürg Sollberger, Sie sind Präsident der Wohnbaugenossenschaften in der Region Bern-Solothurn. Worum geht es aus Ihrer Sicht beim Wohnungsbau in Bern über die Initiative hinaus?
«Berns Bürgerliche verharren noch in ideologischen Schützengräben und haben es bloss noch nicht verstanden.»
Jürg Sollberger
Bern hat eine grosse Lebensqualität. Viele Leute möchten in dieser Stadt leben und wohnen. Städtisches Wohnen ist überall wieder vermehrt gefragt. Unser Ziel muss sein, für alle zahlbaren Wohnraum in guter architektonischer Qualität zur Verfügung zu stellen, um so eine gute Durchmischung, ein möglichst partizipativ funktionierendes, städtisches Zusammenleben zu erreichen. Es darf nicht sein, dass jene, die in der Stadt arbeiten und sie vorwärtsbringen, aus finanziellen Gründen anderswo wohnen müssen. Man sollte selbstbestimmt wohnen können, ohne das letzte Hemd geben zu müssen, bloss damit man ein Dach über dem Kopf hat.
Tatsache ist: Nichts belastet das Haushaltbudget der Leute mehr als das Wohnen. Dabei ist Wohnen ein Grundrecht. Warum soll ein anderer davon profitieren können, dass jeder Mensch irgendwo wohnen muss?
Ein schon fast anarchistischer Traum.
Weshalb denn? Vom ehemaligen freisinnigen Finanzvorsteher der Stadt Zürich, Martin Vollenweider, habe ich einmal gehört, er fördere den gemeinnützigen Wohnungsbau, weil er als Liberaler überzeugt sei, dass jeder Mensch von seinem Lohn müsse leben und wohnen können, ohne durch die hohen Mieten in die Abhängigkeit des Staates getrieben zu werden. Und tatsächlich haben Untersuchungen für Zürich gezeigt, dass dank der grossen Wohnbaugenossenschaften, die es dort gibt, Sozialhilfegelder gespart werden. Objekthilfe hilft mit, Subjekthilfegelder zu sparen. So gesehen will die Wohn-Initiative ein urliberales Credo fördern. Berns Bürgerliche verharren noch in ideologischen Schützengräben und haben es bloss noch nicht verstanden.