«Ein Blick zurück in Dankbarkeit»

von Jessica Allemann 19. Oktober 2012

Als Willy Fueter (1909–1962), Schauspieler und Berner Geschäftsmann, verstarb, war sein einziger Sohn Urs Fueter gerade einmal zwei Jahre alt. 50 Jahre nach dessen Tod hat er ihm ein «elektronisches Denkmal» geschaffen.

Die lebhaften Erzählungen von Urs Fueter zeugen von einer hohen Hingabe, mit der er die Geschichte seiner Vorväter aufgearbeitet hat. Wenn er vom «Gustav mit dem Bart» spricht, der Mitte des 20. Jahrhunderts nebst seinem Kaufmannsdasein auch als Mäzen für avantgardistische Künstler fungierte, scheint er von einem lieb gewonnenen Familienmitglied zu reden. Seine Ausführungen hinterlassen den Eindruck, als wäre er selbst mit Jeremias Gotthelf am Tisch gesessen und hätte dessen Manuskripte diskutiert, so wie es sein Ururgrossvater Emanuel Eduard Fueter tat. Oder als ob er Mitte des 18. Jahrhunderts gleichsam Opfer der Henzi-Verschwörung gewesen wäre, als seine Vorfahren hinter dem Münster geköpft, symbolisch hingerichtet oder unter Hausarrest gestellt wurden: «Danach sind wir während 50 Jahren aus Bern verbannt gewesen», erzählt er engagiert.

Verantwortung gegenüber den Vorfahren

Während eines Jahres hat sich Urs Fueter durch die Quellen und Dokumente, welche sich teilweise im Privatbesitz und teilweise im Archiv der Burgerbibliothek befinden, gearbeitet und Generation um Generation, Leben um Leben nachgezeichnet und für die Internetseite «Hommage an Willy Fueter», welche er seinem Vater zu Ehren erstellte, dokumentiert. Die Arbeit sei dem Schreiben eines ganzen Buches sehr nahe gekommen, erzählt er. Doch der Aufwand habe sich gelohnt. «Zu wissen, wer sein Vater und seine Vorfahren waren, gibt einem einen gewissen Halt», sagt Fueter und ergänzt: «aber auch ein grosses Verantwortungsgefühl». Während zum Beispiel die meisten Berner Geschlechter ihre Häuser in der oberen Altstadt in den 1960er-Jahren verkauft hätten, nimmt es Fueter als seine Pflicht wahr, das Fueter-Haus als solches zu erhalten. Alle seine Vorgänger hätten irgendwann in ihrem Leben einen Grund gehabt, das Haus zu verkaufen, sei es wegen der Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre gewesen oder aufgrund persönlicher Schicksalsschläge. Die Tatsache, dass sich das Haus nach wie vor im Familienbesitz befinde, birgt eine grosse Verantwortung: «Für mich wäre ein Verkauf fast ein Verrat an der Familie.» Am Ende der langen Familienkette – Fueter hat selber keine Nachkommen – sei es um so wichtiger, «einen Blick in Dankbarkeit zurück zu werfen».

Das Fueter-Haus erhalten

Für Urs Fueter ist der Blick zurück indes nicht nur einfach. Seine Kindheit hat er in Internaten zugebracht. Mit 22 Jahren kehrte er in die Stadt zurück und musste sich innert kürzester Zeit für oder gegen den Rückkauf des Fueter-Konfektionsladens entscheiden. Nach dem Tode seines Vaters hatte die Mutter das Geschäft verkauft mit der Option, dass der Sohn dieses in 20 Jahren zurückkaufen könne. «Ich war als Kind quasi nie in Bern. Deshalb war ich bei meiner Rückkehr mutterseelenalleine und wurde von verschiedenen Seiten unter Druck gesetzt, die Entscheidung für oder gegen das Geschäft sofort zu treffen», erinnert sich Fueter. In einer dramatischen letzten Stunde vor der Entscheidungsfrist habe er sich schliesslich gegen den Rückkauf des Geschäfts ausgesprochen. «Mein Ziel war es von da an, das Haus halten und erhalten zu können.» Solche Erfahrungen prägten Urs Fueter und machten ihn «auch ein wenig eigenbrödlerisch», wie er sagt. So lebe er halt auch eher zurückgezogen und arbeite gerne im Stillen in seinem Atelier, so ganz anders, als sein Vater, der sich auf der Bühne und im Rampenlicht sichtlich wohl fühlen musste.

Leben in zwei Welten …

Während der Arbeit an der Internetseite für seinen Vater habe er diesen ein Stück weit besser kennenlernen können, erzählt Fueter. Die englischen Filme, in denen Willy Fueter mitgespielt hatte, hat er im Rahmen der Recherchen zum ersten Mal gesehen. Und sich dabei seinem Vater nahe gefühlt: «Weil ich ihm sehr ähnlich bin, habe ich gleich gewusst, wo er spielt, und wo er sich selber ist.» Die Parallelen zwischen Fueters eigenem Werdegang und dem Leben seines Vaters sind offenkundig: Beide führten, respektive führen ein Leben in zwei Welten. Da ist das gesellschaftlich-repräsentative Leben auf der einen – als Geschäftsinhaber oder Verwalter des Familienanwesens – und das künstlerisch-kreative Dasein – als Schauspieler oder Maler und Illustrator – auf der anderen Seite. Dieses «Tanzen auf zwei Hochzeiten», wie es Urs Fueter nennt, sei nicht immer einfach. Man werde auf beiden Seiten nicht ernst genommen. «Die Leute wollen einen in eine Schublade stecken», sagt Fueter, «aber dagegen kämpfe ich letztendlich auf beiden Seiten».

… damals und heute

Das Leben in zwei Welten der Fueters habe bereits vor dem Leben seines Vaters als Schauspieler und als Geschäftsmann begonnen. Die Kunstaffinität der Fueters ziehe sich wie ein roter Faden durch die Familiengeschichte. Davon zeugt nicht nur die Freundschaft zwischen Urs Fueters Urgrossvater Emanuel Eduard Fueter und dem Schriftsteller Gotthelf, die in ihren Briefwechseln zum Ausdruck kommt. Auch der Grossvater Gustav Fueter habe «tagsüber schöne Kleider verkauft» und abends im «Söller», dem ausgebauten Dachboden des Fueter-Hauses, Künstler versammelt, Konzerte und andere Kunstanlässe veranstaltet. «Den letzten durch das Ausdruckstanzen geborstenen Balken habe ich vor rund zehn Jahren flicken lassen», erzählt Fueter scherzhaft und fügt an: «Das waren im Prinzip die ersten Aussteiger, die ersten Grünen und Alternativen.» Wenn man Kunst jedoch nicht nur als Malen, Schreiben oder Musizieren, sondern als Liebe und Gutes tun am Menschen verstehe, werde klar, dass Fueters seit 500 Jahren eigentlich und unbewusst das Gleiche machen würden: «Immer haben sie sich in zwei Welten bewegt, indem sie auf der einen Seite für ihr Auskommen sorgten und auf der anderen Seite den Menschen helfen wollten. Sei es als Pfarrer, als Arzt, als Kunstmäzen oder Künstler.»

Familienchronik und Berner Zeitdokument

Die Internetseite «Hommage an Willy Fueter» gewährt als gut dokumentierte Familienchronik mit den zahlreichen zugänglich gemachten Quellen auch spannende Einblicke in das Stadtberner Leben der vergangenen 500 Jahre. So liest man in der Handschrift des Pfarrers Johannes Futter, dass er sich im Winter 1546 zu den Grundsätzen der Reformation bekennt. Oder kann, falls der alten Druckschrift mächtig, im «Manifest» bezüglich der «in der Statt Bern aufgedeckte Conspiration» von 1749 nachlesen, was es mit der Henzi-Verschwörung auf sich hatte.


Willy Fueter

Willy Fueter kam 1909 in Bern zur Welt, wo er seine Kindheit verbrachte. Vor dem Hintergrund seiner zukünftigen Aufgabe, der Weiterführung des väterlichen Kleidergeschäfts, reiste er als 18-Jähriger nach London, um seine Kenntnisse über die Textilbranche zu vertiefen. Laut Urs Fueter sei unklar, wie der junge Mann mit der englischen Theaterszene in Kontakt kam. Nebst seinem Werdegang als Geschäftsmann mit Studien an der Handelsschule in Lausanne und an der Universität Bern, hat ihn die Faszination der Bühne seitdem nicht mehr verlassen: Willy Fueter besuchte nach abgeschlossenem Studium Schauspielschulen von Salzburg und Berlin und machte ab Mitte der 1940er-Jahre erste Erfahrungen als Schauspieler in englischen und amerikanischen Filmproduktionen (unter anderem in «One night with you» von Terence Young). Die Schauspielkarriere nahm ein abruptes Ende, als sein Vater verstarb und Willy Fueter sich der Führung des Kleidergeschäfts in Bern annahm. Seine künstlerische Tätigkeit führte er auf Schweizer Theaterbühnen und in Schweizer Filmproduktionen fort. Ab Mitte der 1950er-Jahre spielte Willy Fueter in verschiedenen Gotthelf-Verfilmungen mit (zum Beispiel in «Ueli der Pächter» als Uelis Anwalt oder in «Anne Bäbi Jowäger». 1959 vermählte er sich und sein Sohn Urs Fueter wurde kurz darauf geboren. Am 26. Oktober 1962 erlag Willy Fueter einem Herzinfarkt.