Rund 50 Premieren und Konzerte sowie zahlreiche Sonderveranstaltungen und Projekte bietet Bühnen Bern in der Saison 2024/2025.
Die Vorstellung des Spielzeit-Programms in Schauspiel, Tanz, Oper und Sinfonik ist ein Ritual. Üblicherweise sitzen die Spartenleitenden mit dem Intendanten auf zierlichen Stühlchen im rot-samten «vornehm tuenden» Foyer des Stadttheaters vor Wandspiegeln und erklären den brav aufgereihten Journalist*innen, welche wo schon aufgetretenen und ausgezeichneten Künstler*innen demnächst Bern welche Sternstunden bescheren werden. Alles ist besonders, kein Mittelmass, kaum ein Programmpunkt ist wie immer oder gar aufgewärmt. Man soll beeindruckt sein – und dies weitervermitteln.
Ein neues Format
Dieses Mal ist es anders. Die Theaterleute sitzen mit den Journalist*innen um einen grossen Tisch. Bei Kaffee und Gipfeli präsentieren sie, fast von gleich zu gleich, ihr Programm, an dem sie lange gearbeitet oder gebastelt haben und dessen Gehalt sowie die Aufführenden sie zusammengesucht und schliesslich gefunden haben. Wir anderen vernehmen von einem Moment zum anderen so viele Namen und Titel, dass es schwerfällt, sich sofort einen Gesamteindruck zu bilden. Einiges kennen wir, anderes sagt uns wenig oder nichts. Wir ahnen, dass nicht alles Gold sein kann, was glänzt, doch Wert und Unwert sicher zu unterscheiden, ist kaum möglich.
Deshalb ist Bühnen Bern der Versuch hoch anzurechnen, für einmal Nähe zu erzeugen, Fragen und Bemerkungen zuzulassen und ernsthaft darauf einzugehen. Für alle Bernerinnen und Berner sei das Programm der Saison 2024-2025 gedacht, erklärt Intendant Florian Scholz, auch für jene, denen die samtene Anmutung des Foyers nicht vertraut sei. Und beinahe verfällt er in den alten Ton, wenn er die Abwesenheit des Operndirigenten Nicholas Carter damit entschuldigt, dass dieser gerade Wagners «Der Ring des Nibelungen» in Berlin dirigiere. Doch dann fängt er sich und erzählt als Verantwortlicher der Orchestersparte leuchtend vom Konzertprogramm. Und die anderen Spartenleiter*innen tun es ihm nach:
Berner Symphonieorchester Tanz Oper Operndramaturgin Rebekka Meyer hebt Arpad Schilling hervor, den ungarischen Regisseur und Theatermacher, dessen gesellschaftspolitische Arbeiten heute in Ungarn nicht mehr vorkommen. Seine Regiearbeit ist charakterisiert durch einen experimentell-pädagogischen Ansatz. Besondere Aufmerksamkeit verdient – so Opernchef Rainer Karlitschek – «Brundibar». Der tschechische Komponist Hans Krasa hat die Oper 1938/1939 von Kindern für Kinder entworfen und 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt uraufgeführt. Der Kinderchor, aus dem auch die diversen Soli besetzt werden, und das BSO tragen das Werk. Schauspiel In «Eichmann – wo die Nacht beginnt» inszeniert Roger Vontobel ein Stück des italienischen Dramatikers Stefano Massini; dieser versucht aufgrund von Verhörprotokollen des Eichmann-Prozesses in Jerusalem 1960 sowie Hannah Arendts Prozessbericht die Banalität des Bösen zu erfassen. «Frühlingserwachen» werden nur Berner Jugendliche und junge Erwachsene spielen. Das Casting läuft noch. Die Mitmachenden erwartet die Chance, das vor hundert Jahren von Frank Wedekind geschriebene – und zensurierte – Stück sozusagen neu zu erfinden mit ihren eigenen Sehnsüchten, Ängsten, Lieben. Weiteres
Die Konzertkommission hat mit dem neuen Chefdirigenten Krzysztof Urbanski nach dem traditionellen Openair-Anlass im August auf dem Bundesplatz (mit der Alevtina Ioffe) ein Dutzend doppelt gespielter Symphoniekonzerte im Casino angesetzt, unter anderen mit Brahms, Schumann, Ravel, Mahler, Mendelssohn, Schostakowitsch. Einzelne Gastdirigentinnen sowie Mario Venzago werden das BSO leiten. Extrakonzerte sind der Filmmusik gewidmet, so etwa das Eröffnungskonzert der neuen Festhalle der Bern EXPO im Mai 2025. Das Finale eines internationalen Gesangswettbewerbs für junge Opernsänger*innen findet in Bern statt.
Isabelle Bischof begeistert sich, dass das Tanzensemble die Saison bereits Anfang September am Festival «Le temps d’aimer la danse» in Biarritz beginnen wird. An zwei Uraufführungen im Stadttheater und in Vidmar 1 werden vier Choreograf*innen ihre Stücke auf die Bühne bringen. Don Quixote wird wieder aufgenommen. Und die von Estefania Miranda eingeführte Tanzplattform wird auch 2025 stattfinden. Höhepunkt ist das Werk «Dido & Aeneas», teils Oper, teils Ballett, ein Werk mit den Tänzer*innen von Bern Ballett, Solist*innen aus dem Opernensemble, dem Kinderchor und dem Chor der Bühnen Bern. Im Bestreben, den aufwendig einstudierten Choreografien ein längeres Leben zu ermöglichen, wird in einer Koproduktion mit Tanz Bielefeld «Fortuna» gemeinsam erarbeitet und mit 26 Tänzer*innen in Deutschland und in Bern aufgeführt.
Auch die Oper beginnt im September gedanklich in Frankreich mit Offenbachs «La vie parisienne». Es folgen bekannte Werke wie «Arabella» von Richard Strauss, Tschaikowskys «Eugen Onegin» und Verdis «Rigoletto». Mit der «Götterdämmerung» wird Wagners «Ring des Nibelungen» geschlossen und endet Nicholas Carters Festengagement in Bern als Chefdirigent der Oper; Claude Eichenberger wird darin die Brünhilde singen.
Das Schauspielteam – Roger Vontobel, Felicitas Zürcher, Julia Fahle und Elisa Elwert – stellen das Sprechtheater der nächsten Spielzeit vor. Wegleitend sind die Hausautorin Anaïs Clerc in der Saisonbroschüre entwickelten Begriffe Aufrechnen, Ausbrechen, Abrechnen und Abbrechen. Sie schliesst ihren Text im Programmheft mit den Zeilen: «Wo wir gehen, wo wir wandern, stehen / bleiben, uns verabschieden, träumen / unterschätzt es nie, die Kraft des langen Träumens / denn wer sind wir schon, ohne diese Wünsche, diese Veränderungen, diese Fluidität.»
Viele Stücke nehmen die Stichworte auf: Emily Brontes «Sturmhöhe», Gogols «Revisor», Büchners «Woyzeck» (der mit einer Schauspielerin besetzt ist), Frischs «Graf Öderland», Ibsens «Hedda Gabler». Den Reigen beginnt der Basler Autor Ralph Tharayils «Nimm die Alpen weg», einem Motto der 1980er Jugendbewegung. Das Identitätsthema behandelt «James Brown trug Lockenwickler» von Yasmina Reza. Spannung verspricht die Inszenierung von Friedrich Glausers Roman «Wachtmeister Studer», die in der Villa Morillon Première hat und dann mit dem Schauspiel Mobil auch in Grindelwald, Meiringen und auf dem Grimsel Hospiz gespielt werden kann.
Wieder aufgenommen werden so unterschiedliche Werke wie «Romeo und Julia», «Dr Goalie bin ig», das «Blutbuch» und – für die Jüngsten – «Frederick.»
Die musikalische Veranstaltungsreihe «Oper unterm Dach», eine Lesungsreihe zu Liebe uns gesellschaftlicher Transformation, die monatlichen szenischen Lesungen von wahren Geschichten im Zusammenarbeit mit dem Magazin Reportagen, aber auch die «Berner Bühnengespräche», eine Kooperation mit dem Schlachthaus Theater und der Dampfzentrale.
Die Frage nach kleineren Formaten
In der Diskussion klären die für das Schauspiel Verantwortlichen das Wort «Aufbrechen» zum vielleicht zentralen Motto ihrer Stückwahl. Wie eine oder einer auf die Welt schaut, wohin sie oder er blickt und sich aufmacht – und ob jemand einmal zurückkehrt ins Vertraute oder Veränderte und sich neu orientiert oder fremd bleibt. Für die Oper fügt Rainer Karlitschek bei, lasse sich als Generalfrage herausschälen: Können die Menschen das Leben selbstbestimmt wählen; dürfen sie leben, wie sie wollen? Angesprochen sind in dieser Betrachtung die Identität der Einzelnen, ihr Wandel, aber auch Begrenzungen durch Diskriminierungen oder gesellschaftliche und staatliche Verbote und Gebote.
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Die Frage nach kleineren Formaten – etwa Lesungen – führt von der Freiheit und Verantwortung künstlerischer Haltung zu den Zwängen des betrieblichen und finanziellen Korsetts. Auch wenn «nur» ein Text und eine Stimme nötig sind, um eine andere Welt erlebbar zu machen, kostet allein die Öffnung des Hauses, der Garderoben, der Kasse und des Einlasspersonals, für Löhne und Elektrizität und Sicherheit einiges an Geld.
Können die Menschen das Leben selbstbestimmt wählen; dürfen sie leben, wie sie wollen?
Intendant Florian Scholz erinnert mit Kampfgeist daran, dass dem Wegfall eines Anteils der Bundesmillion und der Kürzung der Subventionen von Stadt, Kanton und Regionalgemeinden schon jetzt eine Oper pro Saison zum Opfer gefallen ist, dass die Nouvelle Scène reduziert werden muss und ab der übernächsten Saison auf der Bühne im Stadttheater ensuite gespielt werden wird. Ensuite bedeutet: ein Stück wird in direkter Folge eine festgelegte Anzahl an Vorstellungen gespielt; nachher ist es vorbei. Zudem wird beispielsweise der Kinderchor komplett durch Spenden finanziert.
Die Folge: Ab der Saison 2025/2026 werden insgesamt 30 Aufführungen weniger möglich sein. Dies indes scheine für die politisch Verantwortlichen kein Problem zu sein. Umso grösser sei die Freude, 2024/2025 ein Programm hingekriegt zu haben, das nicht nach Sparen rieche.
Theater für alle: Ein Komplize
Am Schluss wird der Berichterstatter zum Komplizen der Theaterleute. Alle wollen Theater für alle. Alle verstehen unter Theater auch die Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen unserer Gesellschaft und der Welt. Allen ist klar, dass es dabei auch um Unterdrückung und Gewalt in zahlreichen Ländern, um den russischen Krieg gegen die Ukraine, um den Hamas-Überfall auf Israel, die Geiselnahme und die humanitären Folgen im Krieg der israelischen Armee in Gaza gehen kann. Und ebenso wichtig sind Fragen der Identität, des heutigen Kolonialismus und der Ausbeutung von Menschen in der Schweiz.
Dann ist dies eine Kastrierung unserer Bedürfnisse als Menschen und politische Wesen.
Mit seiner seit Lessing historischen Erfahrung im Erzeugen von Mitgefühl, mit der Kenntnis künstlerischer Behandlung menschlicher Grundfragen kann und muss sich das Theater dazu äussern, um uns Gelegenheit zur eigenen und kollektiven Auseinandersetzung und Meinungsbildung zu bieten. Dies ist sozusagen die fünfte Sparte von Bühnen Bern. Wenn nun dies erschwert und verhindert wird, indem ein struktureller Fehlbetrag von rund 2 Millionen Franken pro Jahr die Nutzung der theatralen Ressourcen – Menschen, Räume, Phantasie und Haltung – einschränkt, dann ist dies kein Problem des Theaters allein. Dann ist dies eine Kastrierung unserer Bedürfnisse als Menschen und politische Wesen. Dafür müssen der Stiftungsrat von Bühnen Bern sowie die Vertreter*innen der Subventionsbehörden von Stadt, Kanton und Regionsgemeinden eine Lösung finden. Jetzt.
Das gesamte Programm der Spielzeit 2024/2025 findet sich hier.