Ein Berner Stück fürs Schauspielhaus Zürich

von Christoph Reichenau 8. Juni 2017

In Stephanie Gräves Auftrag schrieb Gerhard Meister für Bern ein Theaterstück. Cihan Inan will das Projekt seiner Vorgängerin nicht umsetzen. So kommt das Schauspielhaus Zürich günstig zum Zug.

Im Spielplan 2017/2018 des Schauspielhauses Zürich ist zu lesen: «Der Zürcher Autor Gerhard Meister schreibt mit ‘Das grosse Herz des Wolodja Friedmann’ ein Stück über Zürcher Geschichte: Der Autor entwickelt ein Zeitpanorama der historisch verbürgten Zürcher Pension Comi am Vorabend des 2. Weltkrieges. Im Zentrum stehen die Besitzer der Pension, Wolodja und Paula Friedmann. Vom jüdischen Emigranten über den Musiker bis hin zum gescheiterten Revolutionär geben sie Verfolgten des Nationalsozialismus Unterschlupf. Die junge Regisseurin Sonja Streifinger inszeniert die Uraufführung im März 2018.»

Das macht neugierig. Der im Emmental aufgewachsene und in vielen Gattungen gestandene Autor Gerhard Meister hat mehrere Bühnenstücke und Hörspiele geschrieben und aufgeführt. Er prägt seit 2004 das Spoken-Word-Ensemble «Bern ist überall» mit.

«Das grosse Herz des Wolodja Friedmann» ist übrigens ursprünglich vom Stadttheater Bern (Stephanie Gräve) in Auftrag gegeben worden. Schauspieldirektor Cihan Inan wollte das Stück seiner Vorgängerin nicht machen. Dies liegt nicht am Stück; er wollte einfach Projekte von Gräve nicht übernehmen. Gerhard Meister wurde vertragskonform entschädigt. Dank Berns Unterstützung erhält nun Zürich ein neues Stück, das wohl nicht schlecht in den Gurlitt- oder den Revolutions-Komplex des Kunstmuseums gepasst hätte.

Zur Erinnerung: 2015 hat Hansueli Glarner, der Leiter des kantonalen Amts für Kultur, in einem Newsletter angeregt, die Berner Kulturwelt solle das Kunstmuseum bei der Aufarbeitung der Sammlung Gurlitt begleiten. Zitat: «Die Erbschaft Gurlitt gibt viele Fragen auf. […] Die Kultur- und Bildungsinstitutionen Berns sind hier mitgefordert. Sie können die Verantwortung mittragen und damit gleichzeitig auch an der historischen Chance, die uns diese Erbschaft eröffnet, partizipieren. Bei der Sammlung Gurlitt geht es neben Kunst vor allem auch um Kulturgeschichte. Es geht um den Kontext, aus dem heraus sie entstanden ist. Es geht um den Kontext der europäischen Geschichte und damit auch der schweizerischen.»

In diesen Zusammenhang hätte Meisters Stück wohl gepasst. Nun kann es von Zürich aus auf Bern wirken. Das ist eine Chance, nachdem Bern die seine leider verpasst hat.