Ein aufgeklärter Aufklärer

von Christoph Reichenau 15. Januar 2024

Nachruf Hans Haltmeyer war Architekt und Citoyen. Er gestaltete die Stadt mit – frisch und nach vorne gewandt.

Hans Haltmeyer war eine Figur. Verwurzelt in der Altstadt, wo er mit seiner Familie lebte und sein Architekturbüro hatte, und besorgt um deren Erhaltung und Entwicklung, hatte er einen weiten Horizont und einen humanistischen Geist. Als Architekt würdigte er das Bestehende und wagte Neues. Und er hatte die Gabe und das Selbstbewusstsein, seine Überzeugungen in zuweilen unbequemen und ausführlichen Voten zu vermitteln. Bis ins hohe Alter blieb er geistig jung, neugierig, wissbegierig, optimistisch – und kämpferisch. Seine Kämpfe führte er mit Argumenten, nie gegen Personen. Das machte Diskussionen mit ihm spannend, auch wenn man in den letzten Jahren gut aufpassen musste, um ihn akustisch zu verstehen. Nach einem Sturz war er ein Jahr lang an den Rollstuhl gebunden und weitgehend an das Haus gefesselt. Eine schwere Einschränkung für ihn, der sich stets gerne bewegt und in der Stadt umgesehen hatte.

Hans Haltmeyer war ein Citoyen. Trotz architekturhistorischer Sorgfalt fehlte ihm die administrative Pingeligkeit, die Prinzipienreiterei, die viele der Denkmalpflege unterstellen und oft auch erleben. Als Bauberater und Obmann öffnete er den Berner Heimatschutz für neue gesellschaftliche Bedürfnisse sowie architektonische Vorstellungen. Beispielhaft für dieses unkonventionelle Denken war seine Mitgliedschaft im Förderverein der Reitschule und im Vorstand der Berner Kunstgesellschaft. Indem er selbst zu Denken wagte und sein Denken öffentlich äusserte, folgte Hans Haltmeyer Kants Auffassung von Aufklärung.

Ein langes Leben lang blieb er dem Motto Global denken – lokal handeln treu, auch als die Kräfte nachliessen.

Haltmeyer restaurierte mehrere Altstadtbauten. Er begradigte mit einem Neubau den Übergang von der unteren Gerechtigkeitsgasse zur Nydeggbrücke bei der Postgasshalde. Er beteiligte sich im Kreis um den ETH-Professor Paul Hofer unter anderen mit Rudolf v. Fischer an der Vision INSULA zur Aufwertung des Predigerareals um die Französische Kirche, doch wurden die vorgeschlagenen Neubauten des Stadttheaters, einer Konzerthalle und eines Ausstellungszentrums nicht umgesetzt. Erst viel später und in bescheidenerem Mass erlebte das Kornhaus eine Aufwertung zum heutigen Kulturort. An Neubauten zu erwähnen sind die eidgenössischen Verwaltungsbauten an der Taubenhalde, die Siedlung Lindenegg in Bolligen, aber auch der Umbau der Dampfzentrale.

Kurz: Hans Haltmeyer gestaltete die Stadt mit. Auch nach der Schliessung seines Büros 1993 blieb Hans Haltmeyer umtriebig und mischte sich ein im besten Sinn. Obwohl manche seiner Ideen, auch die Vision INSULA, gescheitert waren, erschien er nicht frustriert, sondern stets frisch und nach vorne gewandt. Er wollte, auch nach dem Tod seiner Gattin Erika 2014, an der gesellschaftlichen, kulturellen, architektonischen Entwicklung teilhaben. Mit Besorgnis verfolgte er das Weltgeschehen, den Klimawandel und die fortschreitende Zerstörung der Umwelt. Ein langes Leben lang blieb er dem Motto «Global denken – lokal handeln» treu, auch als die Kräfte nachliessen. Nun ist er mit 98 Jahren gestorben. Ein aufgeklärter Aufklärer fehlt.