Drüber rede hiuft

von Coraline Celiker 15. November 2023

Mentale Gesundheit Die Bernerinnen Ricarda und Gina hatten genug von Tabus um psychische Gesundheit. Deshalb haben sie vor knapp anderthalb Jahren den Mental Health Podcast IRRSINNIG ins Leben gerufen.

An einem sonnigen Montagnachmittag, die Herbstbise im Nacken, sitze ich an einem der vielen Tische vor dem Progr. Ich habe mich hier mit Gina Ketterer, 25, und Ricarda Eijer, 25, zum «käfele» verabredet. Die zwei jungen Berner*innen produzieren seit knapp anderthalb Jahren IRRSINNIG «den Mental Health Podcast aus Bern». Wie die beiden aussehen, weiss ich deshalb nur vage.

Etwas überfordert lasse ich immer wieder meinen Blick über den Platz schweifen. Plötzlich vernehme ich ein deutliches «Gina!» in unmittelbarer Hörweite, packe meine Sachen und laufe auf direktem Weg zum erspähten Ziel. Die beiden jungen Frauen liegen sich gerade noch innig zur Begrüssung in den Armen als ich ihren Tisch erreiche, bevor sie mich mit einem breiten Lächeln begrüssen.

Die Nase voll

Kurz darauf, mit Cappuccino und Eistee eingedeckt, lassen wir die Standardfragen vorerst liegen und tauchen direkt zum Deeptalk ab. Von dieser Qualität zeugt auch IRRSINNIG, ihr Podcast. Ob Essstörungen, Panikattacken, Depressionen, Selbstmedikation durch Drogenkonsum, AD(H)S oder andere Persönlichkeitsstörungen – Ricarda und Gina sprechen in ihrem Format offen mit ihren Gäst*innen über deren individuelle Erfahrungen, denn: Sie hatten es satt, dass Mental Health ein solches Tabuthema ist. Auch als Betroffene.

Mit dem Podcast-Format können sie in offenen und ungezwungenen Gesprächen ansprechen, wofür die wenigsten Menschen Worte finden.

Dass ein Podcast daraus wurde, sei unter anderem eine Antwort auf männliche «Laber-Podcasts»: «Während dieser Zeit vor zwei, drei Jahren gab es einfach so viele Podcasts von Männern, auch aus der Berner Fraktion, die über nichts und wieder nichts geredet haben und sich dabei dann so ultra lustig fanden, dass sie meinten, das aufnehmen zu müssen. Davon hatten wir genug.»

Vor allem aber könnten sie mit dem Podcast-Format in offenen und ungezwungenen Gesprächen ansprechen, wofür die wenigsten Menschen Worte finden. Gerade von Angehörigen und dem Umfeld Betroffener höre Ricarda, die selbst bereits in einer Psychiatrie gearbeitet hat, häufig: «Ich wusste nicht was sagen», wenn es um ein Gespräch mit Betroffenen gehe. Viele hätten Berührungsängste. Ihre Antwort darauf: «Theoretisch musst du nur zuhören und Fragen stellen. Grundsätzlich möchte niemand Ratschläge. Man weiss prinzipiell schon selbst, was gut und richtig ist und muss es für sich selbst herausfinden. Darum ist so ein Gespräch auch so schön.»

Anderen geht es genauso

Als Grundlage für ihr Podcast-Projekt dienten in erster Linie ihre eigenen psychischen Krisenerfahrungen und ihr individueller Prozess damit umzugehen. Gerade für Betroffene könnten Erfahrungen von anderen Betroffenen heilsam sein, wie die beiden erfahrungsgemäss bezeugen.

«Ich glaube es hätte mir selbst geholfen, so etwas zu hören», erläutert Gina, die in Basel ihren Master in Kunstgeschichte macht und in Bern arbeitet und lebt. Doch das Schweigen um mentale Gesundheit und die diversen Stigmata erschweren diese Möglichkeit und lassen Menschen zudem erst spät Hilfe suchen.

Mit ihrem Podcast-Projekt wollen die IRRSINNIG-Macherinnen deshalb Wege aufzeigen, wie man mit individuellen Erfahrungen rund um psychische Erkrankungen und Krisen umgehen kann; ob als Betroffene*r, als Angehörige*r oder als Mensch, der vermeintlich wenig mit dem Thema in Berührung kommt.

Ricarda denkt, dass auch speziell die ältere Generation durch das Hören ihres Podcast einen Nutzen ziehen könne: «Unsere Eltern und ihre Generation können vielleicht auch von unserem offenen Umgang damit profitieren.» Prävention sei jedoch nicht das Ziel ihres Podcast, meint Ricarda, sondern vielmehr Aufklärung, um Nicht-Betroffene zu sensibilisieren und Betroffenen Mut zu machen.

(Foto: Coraline Celiker)

Doch auch wenn sich ihre Arbeit darum dreht Stigmata aufzubrechen – mit ihren eigenen psychischen Krisenerfahrungen an die Öffentlichkeit zu gehen, war auch für die beiden Berner Podcasterinnen eine Herausforderung.  «Vor allem, wenn man daran denkt, dass das tägliche Arbeitsleben immer näher rückt», erläutert Ricarda, die eine Karriere als Psychiaterin anstrebt und sich im Abschlussjahr ihres Medizinstudiums befindet.

Dass nun zunehmend auch die Geschichten ihrer Gäst*innen und damit das Projekt an sich in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken und weniger ihre eigenen Erfahrungen Thema des Podcasts sind, kommt ihnen entgegen. «Vor allem aber macht es den Podcast um einiges spannender und vielfältiger», hält Gina fest.

Drüber reden hilft

Probleme damit, Gesprächspartner*innen zu finden, hätten sie keine. Ganz im Gegenteil. «Zu Beginn waren es vor allem Freund*innen und Menschen aus unserem Umfeld, die wir eingeladen haben», erzählt Gina, «aber inzwischen haben wir gar kein Problem, neue Menschen zu finden.»

Die Gäst*innen seien meistens Menschen, die schon viel Energie in die Verarbeitung ihrer Erlebnisse gesteckt haben. Damit könnten sie eine gewisse Distanz zum Erlebten und Erzählten wahren. Die eigene Geschichte öffentlich zu erzählen, sei für viele Menschen eine Art Selbsttherapie, meint Gina. Unter anderem da sie erfahren, dass das Erzählte von anderen auch positiv und wohlwollend aufgefasst wird.

Die einzigen, für die der Podcast eine Therapie sein darf, sind wir beide.

«Ich glaube viele Menschen kommen zu uns, um den letzten Schritt im Verarbeiten ihrer Erfahrungen zu machen», mutmasst Gina. Dies könne bestärkend sein, gleichzeitig aber auch dazu führen, dass Menschen in akuten Krisensituationen Sätze hören wie «Du wirst schon etwas daraus lernen». Eine solche toxische Positivität möchten die beiden auf keinen Fall fördern.

Dabei ist den IRRSINNIG-Gründerinnen auch stets wichtig zu betonen, dass ihre Gespräche nicht als Ersatz für eine Therapiestunde oder Selbsthilfegruppe angesehen werden sollen. «Wir sagen immer: Die einzigen für die der Podcast eine Therapie sein darf, sind wir beide», erklärt Ricarda mit einem Schmunzeln auf den Lippen. «Ich habe das Gefühl ich kann Gina alles sagen und sie wird mich nicht verurteilen und meistens etwas Kluges antworten», sagt Ricarda und bezeugt damit unbewusst eine der grossen Stärken ihres Podcast.

Als Fabulous Duo wollen sie aber nicht wahrgenommen werden: «So viele Menschen machen das Projekt zu dem, was es ist», meint Ricarda und verrät, dass es nicht bei ihnen beiden als alleinige Co-Moderator*innen bleiben muss… Freiwillige voran!