«Drittelsregelung» im Praxistest

von Willi Egloff 3. Januar 2022

Winterserie «So wohnt Bern» – Seit Anfang 2020 muss in neuen Wohnzonen in der Stadt Bern mindestens ein Drittel der Wohnungen preisgünstig oder von einer gemeinnützigen Trägerschaft erstellt werden. Dieser Regel folgt auch schon die Überbauung im Burgernziel, die in diesem Jahr fertiggestellt wird. Journal B sprach mit Kathrin Sommer, der Präsidentin der Wohnbaugenossenschaft ACHT, die dort für den gemeinnützigen Wohnanteil zuständig ist.

Journal B: Kathrin Sommer, Du wohnst seit vielen Jahren in einem Reihen-Mehrfamilienhaus in diesem Quartier. Jetzt ziehst Du knapp 100 m weiter in eine Genossenschaftswohnung in einem Wohnblock. Was ist Deine Motivation?

Kathrin Sommer: Ich erhoffe mir eine neue Gemeinschaft, eine neue Erfahrung im Zusammenleben. Wir hatten hier schon bisher eine ausgezeichnete Nachbarschaft, eine sehr tolerante Umgebung und gute nachbarschaftliche Beziehungen, doch steht uns nur die Strasse als Ort für gemeinschaftliche Aktivitäten zur Verfügung. Im neuen Gebäude wird es spezielle Gemeinschaftsräume geben, und ich bin sicher, dass dies eine Weiterentwicklung des Zusammenlebens ermöglicht. Dabei ist mir wichtig, dass ein enger Bezug zum umliegenden Quartier erhalten bleibt. Eine persönliche Motivation ist für mich auch, dass sich die neue Wohnung als Alterswohnung eignet, und ich dort hoffentlich ganz lange bleiben kann.

kathrin sommer burgernziel
Kathrin Sommer ist Präsidentin der Wohnbaugenossenschaft ACHT. (Foto: Lukas Lehmann)

Es gibt mehr als 200 Genossenschafterinnen und Genossenschafter, aber nur 34 Wohnungen. Wer hat darüber entschieden, wer eine Wohnung erhält und wer nicht?

Wir haben eine Vermietungskommission gebildet, welche die Wohnungen nach bestimmten Kriterien zugeteilt hat. Vorgaben waren dabei etwa eine altersmässige, soziale und wirtschaftliche Durchmischung, ein Mindestanteil von Personen mit Migrationshintergrund und die Berücksichtigung von Menschen mit Beeinträchtigungen. Auch die Motivation zum Leben in einer selbstverwalteten Genossenschaft und der Quartierbezug spielten eine Rolle. Die Vermietungskommission hat aufgrund dieser Kriterien mit grossem Aufwand einen Vorschlag erarbeitet, der allen diesen Vorgaben entsprach und den der Vorstand in der Folge einstimmig genehmigte.

Wurden dabei nicht einfach die Leute berücksichtigt, die Ihr schon lange kanntet? Hatten Aussenstehende eine echte Chance?

Aussenstehende hatten durchaus eine Chance. Es gibt unter den zukünftigen Mieterinnen und Mietern viele Leute, die ich vor der Bildung der Genossenschaft nicht gekannt habe. Einige sind auch erst im letzten Moment in die Genossenschaft eingetreten. Als entscheidendes Kriterium erwies sich die Vorgabe der Durchmischung.

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Ihr baut das Haus nicht alleine, sondern zusammen mit der Gebäudeversicherung Bern (GVB). Dieser gehören zwei Drittel der Überbauung, Euch nur ein Drittel. Hatte das nicht zur Folge, dass alle wichtigen Entscheidungen durch die GVB gefällt wurden?

Es ist klar, dass die GVB grössere Entscheidungsbefugnisse hat, aber wir wurden von Anfang an in alle Entscheidungsprozesse einbezogen. Wir waren insofern in einer ganz speziellen Situation, als im ursprünglichen Architekturwettbewerb ein vom Zweck her ganz anderes Projekt ausgeschrieben wurde. Dort ging es um Wohnraum «für gehobenen Mittelstand». Erst nachträglich hat der Stadtrat die Vorgaben geändert (ein Drittel gemeinnützig, 2000-Watt-Areal). Die Stadt hat dann das Projekt umgeplant, aber ohne zu wissen, wer die Baurechtsnehmerinnen sein werden. Wir mussten daher von der Stadt ein fertig ausgearbeitetes Projekt übernehmen, das nur teilweise den politischen Vorgaben und unseren (wbg8/GVB) Bedürfnissen entsprach. Das Projekt wies auch insofern gravierende Mängel auf, als es im Grundbuch eingetragene Dienstbarkeiten nicht beachtete und so Baueinsprachen geradezu provoziert hätte. In der Folge entstanden hohe Kosten für die Umplanung. Es war für uns ein Glücksfall, dass wir eine Investitionspartnerin hatten, die diese Probleme alle auffangen konnte. Dazu kommt, dass die GVB nicht irgendeine kommerzielle Investorin ist, sondern grossen Wert auf Innovation, auf die Beachtung öffentlicher Interessen und insbesondere auch auf nachhaltiges Bauen legt.

Diese «Drittelsregelung», also die Aufteilung der Überbauung zwischen einem kommerziellen Investor und einer gemeinnützigen Institution im Verhältnis 2:1, ist eine politische Vorgabe der Stadt, die seit Anfang 2020 in Kraft ist. Sie soll auch für zukünftige Überbauungen gelten. Hat sich dieses Modell aus Deiner Sicht bewährt?

Ja, sehr. Für uns war diese Situation ein grosser Vorteil. Alleine hätten wir vielleicht etwas günstiger bauen können, aber dafür ist die jetzt erstellte Bausubstanz wohl auch sehr viel nachhaltiger. Auch mussten wir uns nicht um die Finanzierung während der Bauphase kümmern, da die GVB alles vorfinanziert. Die Zusammenarbeit mit einer kommerziellen Investorin zwang uns zu einer professionellen Planung, da wir viele Entscheidungen innerhalb relativ kurzer Fristen fällen und oft zusätzliche Sitzungen einberufen mussten, damit die Beschlüsse demokratisch abgesichert waren. Rückblickend betrachtet war dies aber auch für uns gut.

Die GVB muss bei ihren Investitionen vor allem auf eine sichere Geldanlage achten, ihr müsst Euch beim Bau auch noch an staatlich vorgegebene Kostenlimiten halten. Führt das nicht automatisch zu Interessenkonflikten?

Die GVB war sich der Problematik von Anfang an sehr bewusst. Sie hat bei allen Entscheiden darauf geachtet, dass wir diese Kostenlimiten einhalten können. Ein Interessenkonflikt besteht allenfalls insofern, als im Endergebnis die Mietpreise sehr unterschiedlich sind, da die wbg8 zur Kostenmiete verpflichtet ist. Das wird wohl auch zur Folge haben, dass ein Umzug aus dem genossenschaftlichen Gebäudeteil in den GVB-Teil kaum jemals stattfinden wird.

Ein Konflikt könnte auch darin bestehen, dass für Eure Wohnungen Belegungsvorschriften gelten. Ein Ehepaar ohne Kinder kann bei Euch nur eine 3,5-Zimmer-Wohnung mieten, bei der GVB auch eine 4- oder 5-Zimmer-Wohnung. Habt Ihr keine Angst, dass sich daraus eine Kultur der Abgrenzung ergibt?

Eigentlich nicht. Natürlich steht und fällt es mit den Personen, die hier wohnen werden. Und es hängt davon ab, ob es uns gelingt, die Mieterinnen und Mieter des GVB-Teils in die Gemeinschaft einzubeziehen. Das wollen wir unbedingt erreichen. Wir hoffen, dass das über die gemeinsame Benutzung von Räumen wie der geplanten Velowerkstatt, des Gemeinschaftsraums, des Waschsalons sowie der gemeinsamen Aussenräume gelingen wird. Auch das im GVB-Teil geplante Quartierbüro kann dazu beitragen. Wir werden sicherlich gemeinsame Anlässe veranstalten und nachbarschaftliche Unterstützung organisieren. Das gilt übrigens nicht nur für die Bewohnerinnen und Bewohner des GVB-Teils, sondern auch für die Nachbarn in den umliegenden Häusern. Da viele zukünftige Mieterinnen und Mieter ja bereits im Quartier wohnen, können wir dabei auf bereits bestehende persönliche Beziehungen aufbauen. Ich bin überzeugt, dass uns das gelingen wird. Wichtig ist für mich aber, dass diese nachbarschaftliche Unterstützung immer freiwillig erfolgt.

Wird es denn in Zukunft auch gemeinsame Entscheidungsorgane für die Gesamtüberbauung geben?

Diese wird es vor allem im technischen Bereich geben. Wir benützen ja eine gemeinsame Haustechnik und gemeinsame Photovoltaikanlagen, und wir nutzen gemeinsame Aussenanlagen. Beide Seiten sind daher auf gute Zusammenarbeit angewiesen.