Natürlich sagte ich zu, den 4. Band dieser so verdienstvollen Werkausgabe zu besprechen. Gotthelfhandel heisst der Titel und mit Gotthelf habe ich immer wieder zu tun, sowohl als Leser wie auch als Performer und über Loosli und Loosli zu Ehren habe ich nicht nur geschrieben, ich habe auch geholfen, ein ihm gewidmetes Programm aus Texten und aus Musik zu gestalten: Dr Loosli, oder! Dr Loosli, wüsster! Dr Loosli, vrschtöhter!
Ja, natürlich bin ich ein Bewunderer von diesem Loosli, der so kantig, knorrig und einsam in unserer Literaturlandschaft steht wie eine Wettertanne, die sich ins Flachland verirrt hat. Und ja, genau wie Loosli habe ich auch am Schweizerischen Schriftstellerverein gelitten, welchen es wie so vieles, ohne ihn nicht gegeben hätte. Oder wenigstens nicht dann oder nicht so. Und bin ich nicht stolzer Besitzer seines noch immer unentbehrlichen vierbändigen Werkes zu Hodler? Nie habe ich in einem Buchladen mehr Geld auf einmal neben die Kasse gelegt. Dr Loosli, wüsster? Dr Loosli, oder? Dr Loosli het das aus!
Was beim Einlesen sofort auffällt ist die Tatsache, dass schon der junge Loosli sehr flott und flüssig formuliert.
Beat Sterchi
Was beim Einlesen sofort auffällt ist die Tatsache, dass schon der junge Loosli sehr flott und flüssig formuliert. Nicht nur ist seine Feder flink, er kommt auch selbstbewusster und weltgewandter daher als bis anhin vermutet. Er benützt praktisch keine Helvetismen, was für jene Zeit und besonders für einen Autor, der von den schönsten und besten berndeutschen Gedichten überhaupt geschrieben hat, nicht selbstverständlich ist. Man entwickelt beim Lesen ziemlich rasch das Bild eines Mannes, der publizistisch und korrespondierend ziemlich kühn in die Welt hinausgreift und dem man gerne über die Schulter auf den Schreibtisch in Bümpliz schaut, von wo aus so mancher bittere Kampf zu führen war. Schon bald glaube ich auch die verletzte Seele zu spüren, die, weil ihr nie etwas geschenkt wurde, sich manchmal aufbrausischer wehrt, auch sturer als nötig. Dieser Loosli sieht sehr genau, wie andern auf Grund ihrer Herkunft und ihrer Verbindungen einfach zufällt, wofür er hart und oft vergebens kämpfen muss.
Aber kämpfen tut er, wenn auch nicht immer glücklich. Aber nie vergessen, dass seinen Anstrengungen die erste ernsthafte Gesamtausgabe Gotthelfs zu verdanken ist! Schon gar nicht vor dem Hintergrund des berüchtigten und hier ausführlich dokumentierten Gotthelfhandels. Bei diesem grossen schweizerischen Literaturstreit wird man Zeuge einer eigentlichen Entgleisung, die Looslis Karriere auf sehr tragische Art nachhaltig schaden sollte. Der Anfang bildet eine Satire, die mit einer Wette beginnt und sich unter anderem auf die bekannte Shakespeare-Bacon Kontroverse bezieht. Um zu zeigen, wie schnell der Literarturbetrieb jedem Unsinn aufsitzt, schreibt Loosli einen Artikel, in dem er behauptet, nicht Bitzius, sondern der Bauer Geissbühler habe eigentlich die Werke Gotthelfs verfasst. Der Scherz wird natürlich nicht erkannt und der Schuss geht hinten hinaus. Die dann erfolgenden Mystifikationen, dieses empörte Reagieren und Protestieren auf allen Seiten und die Umdeutung der Satire in eine Schandtat habe ich noch nie begriffen und begreife sie auch jetzt noch nicht. Insbesondere bleibt mir aber unverständlich, wie Loosli während den im Blätterwald tobenden Schaumschlägereien die Übung nicht einfach abbricht, als sich längst abzeichnet, dass er nicht verstanden wird und es ist auch nicht ganz nachzuvollziehen, warum er sich in der Schlussbilanz in seiner Wette bestätigt und als Sieger sieht.
Es ist nicht ganz nachzuvollziehen, warum sich Loosli am Schluss seines «Gotthelfhandels» als Sieger sieht.
Beat Sterchi
Bei anderen Satiren entgeht mir, bei allem Respekt für seine Anliegen, das Verständnis für die Schärfe. Ich sehe den Biss nicht. Irgendwie muss man damals subtiler, auch braver gedacht haben, dass vieles, was als „bös“ eingestuft wird, heute eher harmlos wirkt. Bei einigen verliere ich schon bald Interesse, denn meine Neugier eilt bald voraus, will dem Absehbaren entfliehen und ich ertappe mich dabei, dass ich Seiten wende, bevor ich sie fertig gelesen habe, auch weil ein Thementeil bevorsteht, der mich selbst beschäftigt und in welchem unter dem Titel „Bärndütsch“ Texte zu unserer besonderen Sprachsituation versammelt sind.
Und in der Tat: Mein immer mitlesender Bleistift fängt an Wörter einzukreisen, ganze Zeilen zu unterstreichen, so vieles wird verblüffend genau erfasst und auf den Punkt gebracht. Ja, Loosli wusste schon 1910, dass eine Sprache kein System ist, auch kein Instrument, an welchem jeder, der will, herumschrauben und herumbasteln kann, sondern ein Kulturorganismus mit einem Eigenleben, das, wie er so schön sagt, „spriesst und welkt und stirbt“. Natürlich freue ich mich, zu lesen, dass einer vor hundert Jahren aufschreibt, was ich heute denke, aber gleichzeitig bemerke ich, wie sich am Rand die hingekritzelten Fragezeichen häufen.
Erstaunt stelle ich schon bald fest, dass sich Loosli auch widerspricht, sogar ziemlich heftig und ich bemerke zu meiner Überraschung, dass er alles so Einleuchtende, was er zu unserer Sprachsituation zu sagen hat, unter der völlig falschen Annahme schreibt, unsere Mundarten seien dem unaufhaltsamen Zerfall ausgesetzt. Nach seiner Einschätzung dürfte es heute gar kein Berndeutsch mehr geben und mein Staunen wächst ins Unermessliche, wenn ich lese, dass auch er meint, in unserer Alltagssprache lasse sich nicht alles sagen, wie er sogar versucht darzustellen, dass sich das „Vaterunser“ nicht wirklich auf Berndeutsch übersetzen lasse und er eigentlich jenen Leuten das Wort redet, die noch nicht kapiert haben, dass alle Sprachen gleichwertig sind. Klar, „Dys Rych söw cho“ klingt sicher weniger elegant als „Dein Reich komme“, aber ob in all den anderen Hunderten von Übersetzungen diese Zeile näher an Luther herankommt, bleibe dahingestellt, falsch wäre es sicher, all diesen Sprachen deswegen ihre Vollwertigkeit abzusprechen und ihnen höchstens diesen verflixten Mundartstatus zuzugestehen. Wir sprechen, wie wir sprechen und wie diese Sprache genannt wird, ist für den Sprechenden ohne Bedeutung. Dass Looslis Haltung diesbezüglich so ambivalent war, hätte ich nie gedacht.
Ja, das Schreiben ist ein hartes Brot und leider hat sich wenig verändert.
Beat Sterchi
Weniger überraschend sind die Einblicke, die er uns in den Aufrufen, Artikeln, Briefen und einem satirischen Gebet zu seinem Leben als Berufsschriftsteller gewährt. Ja, das Schreiben ist ein hartes Brot und leider hat sich wenig verändert. Auch heute leben viele Schreibende unter der Armutsgrenze, nur ist diese so hoch, dass einer, der nicht in jede Konsumfalle tschalpet, trotzdem leben kann. Aber mit fünf Kindern wie er damals? Und in Würde? Das wäre auch heute eher schwierig. Es ist ein Fluch, aber auch heute bekommt man Anfragen für Texte und Auftritte, sogar von öffentlichen Institutionen, ohne dass ein entsprechendes Budget vorhanden ist. Und wie schon erwähnt, habe ich auch am Schweizerischen Schriftsteller Verband gelitten und in unzähligen Vorstandsitzungen habe ich sehr wohl an Loosli gedacht und verstanden, dass er schon nach einem Jahr wieder ausgetreten war. Eigentlich ist das Problem ganz einfach: Jeder kann sich selbst ausrechnen, dass bei den wenigsten der rund tausend Mitgliedern, die heute dem AdS angehören, das Schreiben im existenziellen Mittelpunkt steht und dass der AdS nicht für alle wirklich der wesentliche Berufsverband ist wie es der SSV damals auch nicht war. Ja, mit den Schrebergärtnern im Verband gäbe es auch bei den Bauern unlösbare Konflikte.
Nun haben diese Ausführungen längst nicht alles Wesentliche berührt und doch sind sie zu lang geraten, übersteigen leider die vorgegebenen 7000 Zeichen. Ich wäre aber ein schlechter Leser Looslis, wenn ich nicht verlangen würde, dass hier weder zensuriert noch gekürzt werden darf. Sonst schreibe ich einen Artikel, in welchem ich behaupte, nicht Loosli, sondern Fredi Lerch und Erwin Marti seien die wahren Verfasser dieser hier besprochenen Schriften!
Dr Loosli, oder? Dr Loosli, wüsster? Dr Loosli het ja scho immer!