«Die Frauen bewahren ein jahrhundertealtes Erbe»

von David Fürst 1. Juli 2024

Ausstellung Im Kornhausforum zeigt Claudio Dino Zingarello seine Abschlussarbeit über die Arganöl-Produktion in Marokko. Ein Gespräch über seine Reise und die Rolle der Imazighen Frauen.

Im Kornhausforum findet zurzeit die Ausstellung «Schänzlihalde Expanded» statt, wo Abschluss- und Diplomarbeiten aus der Schule für Gestaltung Bern und Biel präsentiert werden. Der Fotograf Claudio Dino Zingarello zeigt dort seine Abschlussarbeit in der Fachklasse Fotografie über die Arganöl-Produktion in Marokko. Diese fotografische Dokumentation zeigt die traditionelle Herstellung von Arganöl und die Imazighen Frauen* auf, die dieses produzieren, um finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen.

*Imazighen (weiblich Mehrzahl Timazighin): bedeutet freie Menschen und ist eine Selbstbezeichnung für eine Gruppe von Menschen, die vor allem in Marokko lebt. Es ist eine Minderheit, die früher auch Berber genannt wurde. Die meisten Imazighen bevorzugen es aber, nicht mehr so genannt zu werden.

Journal B: Was hat dich dazu inspiriert, die Arganölproduktion von Timazighin* in Marokko zu dokumentieren?

Claudio Dino Zingarello: Ein enger Freund von mir hat mich inspiriert, Benjamin Berger, der in Marokko lebt. Er hat mich in die Welt des kosmetischen Arganöls eingeführt, als er seine eigene Produktlinie The Arganline gestartet hat. Ich war beeindruckt von der Tiefe dieser traditionellen Praxis und der Rolle, die sie für die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen spielt. Diese Frauen bewahren nicht nur ein jahrhundertealtes Erbe, sondern tragen auch aktiv zum Umweltschutz bei, indem sie die Arganwälder erhalten. Ihre Hingabe und die Bedeutung ihrer Arbeit haben mich tief bewegt. Ich finde es toll, dass ich mit meiner Dokumentation die Leistungen dieser Frauen würdigen und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen kann.

Einer Tankstelle nachempfunden verkaufen die Frauen das Öl
(Alle Fotos: Claudio Dino Zingarello)

Wie bist du vorgegangen in deiner Arbeit? Die Bilder suggerieren, dass du sehr nahe an den Menschen warst?

Zuerst habe ich viel recherchiert und mich mit Benjamin und seinem Umfeld in Marokko unterhalten, die diese traditionelle Produktion kennen. Dann bin ich für einen Monat nach Marroko gereist und habe die Kooperative besucht, um direkt von den Timazighin zu lernen, wie sie ihr Handwerk betreiben. Indem ich ihnen einfach zugehört und zugeschaut habe, konnte mir ein echtes Bild von ihrer Arbeit und dem kulturellen Hintergrund machen. Bei der ersten Begegnung habe ich auch meine Kamera im Rucksack gelassen und dann erst am zweiten Tag meines Besuchs vorsichtig angefangen, zu fotografieren.

Wie konntest du es vermeiden, den westlichen kolonialen Blick zu reproduzieren? Hast du dich auch theoretisch damit beschäftigt?

Ich habe mich mit Postkolonialismus und kultureller Sensibilität auseinandergesetzt, um den westlichen kolonialen Blick zu vermeiden. Ich habe die Frauen selbst zu Wort kommen lassen und ihre Perspektiven in den Vordergrund gestellt. So konnte ich ihre Geschichten echt und respektvoll rüberbringen, ohne dass ich durch eine westliche Brille gucke.

Hände einer Timazighin

Du hast viel Zeit dort verbracht und viel dokumentiert. Wie haben die Frauen, die du fotografiert hast, auf deine Arbeit reagiert?

Die Leute vor Ort fanden mein Projekt gut. Die Mitglieder der Kooperative, die Timazighin, waren interessiert und haben geholfen. Sie freuten sich, dass sie ihre Geschichten und ihre Arbeit mit vielen Menschen teilen können. Sie waren sehr offen und gastfreundlich. Dadurch konnte ich viel über ihren Alltag und die Probleme, die sie haben, lernen. Diese positive Reaktion hat dazu geführt, dass meine Dokumentation besser geworden ist. Zudem ist jetzt eine Basis für eine weitere Zusammenarbeit geschaffen worden.

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Heute bist du hier an der Vernissage im Kornhausforum und viele Leute blicken auf diese Bilder, die natürlich nur einen kleinen Ausschnitt zeigen. Was behältst du besonders im Herzen?

Einer der beeindruckendsten Momente während meiner Zeit in Marokko war das sehr persönliche Gespräch mit Rabia, der Leiterin der Kooperative «Coopérative Agricole Féminine Admine». Das Interview mit ihr war ziemlich emotional. Rabia hat mir erzählt, wie sie nach jahrelangem Hin und Her endlich staatliche Fördergelder in Form eines Kredites bekommen hat. Damit konnte ihre Kooperative eine nachhaltige Zukunft aufbauen. Das war ein grosser Erfolg für die Kooperative, die mehr als 20 Frauen umfasst. Das ist keine Selbstverständlichkeit in einer Branche, in der die Erhaltung der traditionellen Arganöl-Produktion im Vergleich zu den grossen kommerziellen Produzenten finanziell weniger lukrativ ist. Rabia und ihre Kolleginnen haben sich nicht beirren lassen und sich für den Erhalt der Traditionen eingesetzt. Gleichzeitig haben sie neue Wege für die Zukunft ihrer Gemeinschaft entwickelt. Das war wirklich beeindruckend.

Ein Arganbaum, dieser kann bis zu 400 Jahre alt werden

Die Frauen sammeln die Früchte

Jetzt da du fertig mit der Fachklasse Fotografie bist: Was hast du nun vor?

Ich möchte mich auf die Bereiche Porträt, Reportage und Editorial konzentrieren. Ich habe hohe Ansprüche an mich selbst und traue mir noch nicht immer zu, grössere Shootings allein zu stemmen. Aber ich finde es auch super, als Assistent zu arbeiten. Für mich gehört Fotografie auch immer ins Team, und ich profitiere von der Zusammenarbeit mit erfahrenen Kollegen. Bald ziehe ich mit den beiden Fotografen Florian Spring und Janosch Abel zusammen um und ich freue mich schon auf das neue Studio. Da eröffnen sich neue kreative Möglichkeiten.

Die Ausstellung «Schänzlihalde Expanded» ist noch bis zum 10. Juli öffentlich zugänglich. Zu sehen sind weitere Abschlussarbeiten der Keramikdesignfachklasse, der Grafik-Fachklasse und die Studiengänge der Höheren Fachschule aus den Bereichen Fotografie, Interaction Design sowie Medienwirtschaft- und Medienmanagement.