Die Zukunft des Geschichtsmuseums heisst Viola W.

von Christoph Reichenau 1. Juni 2024

Gesamterneuerung Vor 130 Jahren ist das Bernische Historische Museum (BHM) eröffnet worden, seither wurde es zweimal erweitert. Nun muss der Gebäudekomplex umfassend saniert werden. Aus einem Wettbewerb haben eine Jury sowie der Stiftungsrat das Projekt «Viola W.» erkoren. Wenn alles gut geht, beginnt die Bauarbeit 2027.

«D‘ W. Nuss vo Bümpliz» heisst Patent Ochsners Hymne an Bern, die im Münster auch an der Abdankung von Alex Tschäppät gesungen worden ist. «Viola W.» nennt die Arbeitsgemeinschaft ihr siegreiches Projekt für die Gesamterneuerung des BHM.

Zwei Frauen

Auf Léo-Paul Roberts Glasmosaik von 1900 mit dem Titel «L’histoire et la poésie» beleuchtet links die Geschichtsschreiberin mit einer Ölfunzel die vergangene Grösse. Von rechts wirft Frau Poesia, die Geschichtenerzählerin mit der Lyra, Stiefmütterchen in die Luft, lateinisch Violae Wittrockiana. «Viola W.» meint also: Die Geschichte weitererzählen, die Zukunft gestalten. Schön, dass dafür zwei Frauen im Vordergrund, die scheinbar mächtigen Männer im Hintergrund stehen.

Das Wandmosaik «L’âge de l’histoire» (Léo-Paul Robert / Clement Heaton 1900)

Ursprung und Entwicklung des Museums

Das BHM ist in den Jahren 1892-1894 gebaut worden, obwohl Bern die Auseinandersetzung mit Zürich für den Standort des Landesmuseums verloren hatte. Robert Barth schreibt dazu: «Von einem Landesmuseum versprach man sich in Bern auch die Möglichkeit, seine eigenen Objekte endlich angemessen präsentieren zu können, die seit 1837, in immer neuen Provisorien untergebracht waren. Dazu gehörten unter anderem die archäologischen Funde, die seit 1871 dank der Juragewässerkorrektion in grossen Mengen gehoben werden konnten, aber auch Beutestücke, Schenkungen und Ankäufe aus Gebieten ausserhalb des Kantons: Die einzigartigen Tapisserien aus der Burgunderbeute von 1476, der Kirchenschatz der Kathedrale aus Lausanne, Objekte aus dem habsburgischen Hauskloster Königsfelden, ja sogar eine Sammlung von Gefässen von Grabkammern aus Nola bei Neapel, die Offiziere eines Berner Regiments (…) erstanden hatten» (Bern – die Geschichte der Stadt im 19. und 20. Jahrhundert, Seiten 176/177).

Die ursprünglich in einzelne Räume installierten Ausstellungen sind veraltet, die Zugangswege enden oft in einer Sackgasse

Das Museum wird getragen von einer Stiftung, an welcher die Stadt, der Kanton und die Burgergemeinde Bern zu je 1/3 partizipieren und zu der auch die Gemeinden der Regionalkonferenz Bern-Mittelland beitragen. Zum BHM gehört die bedeutende ethnografische Sammlung, die seit einigen Jahren auf ihre teilweise problematische Provenienz untersucht wird. Hinzu kommen zeitgenössische Alltagsgegenstände.

1918 wurde für die orientalische Sammlung von Henri Moser-Charlottenfels und den Salon des Grafen von Pourtalès ein Anbau errichtet. 2008 konnte im Ergänzungstrakt Kubus/Titan ein grosser Saal für Wechselausstellungen eröffnet werden. Seit 2005 widmet sich das Museum auch dem Werk des Physikers Albert Einstein.

Im Garten des Museums sind für den Sommer eben wieder die Liegestühle verteilt und ein Bar-Pavillon aufgebaut worden.

Das siegreiche Projekt

2023 startete der Wettbewerb für die Totalsanierung des Baus, die auch Konzeptionsmängel noch aus der Bauzeit beheben soll: Die ursprünglich in einzelne Räume installierten Ausstellungen sind veraltet, die Zugangswege enden oft in einer Sackgasse. Viele Räume sind zu klein. Der Betrieb verbraucht zu viel CO2 ausstossende Energie. Zudem will sich das BHM in das grosse Vorhaben Museumsquartier Bern eingliedern, das mit insgesamt 11 Institutionen im Kirchenfeld Kräfte bündeln will.

Direkt auf den Garten, die neue Mitte des Museumsquartiers, ausgerichtet, ist die Südfassade des BHM. Sie soll erheblich umgestaltet werden

Aus 28 Eingaben im Wettbewerb wählte das Beurteilungsgremium im Sommer 2023 vier Teams für die Teilnahme am Studienauftrag aus. Es zeichnete nun die Arbeitsgemeinschaft Bellorini Architekt:innen / Kast Kaeppeli Architekten Bern / Kossmanndejong Amsterdam aus. Diese habe das überzeugendste architektonische Konzept erarbeitet, die Anforderungen an den Betrieb am besten gemeistert und schlage eine gute Anbindung des BHM an das Museumsquartier vor. Zudem überzeuge das Projekt funktional und wirtschaftlich.

Foyer Süd mit neuer Eingangssituation (© Nightnurse Images AG, Zürich).

Doch auch die drei anderen Vorschläge finden lobende Worte. Luc Mentha, Präsident des Stiftungsrats und des Beurteilungsgremiums lässt sich zitieren: «Die Lösungsvielfalt und äusserst hohe Qualität der Beiträge ermöglichten dem Beurteilungsgremium wertvolle und intensive Diskussionen über die Zukunft des bestehenden Gebäudes, über mögliche Erweiterungen sowie über dessen Öffnung gegenüber dem Museumsgarten.»

Die neue Südfassade

Direkt auf den Garten, die neue Mitte des Museumsquartiers, ausgerichtet, ist die Südfassade des BHM. Sie soll erheblich umgestaltet werden. Das Phantombild zeigt eine gegenüber heute stärker gegliederte, mit hohen Portalen luftigere Front mit mehreren Ausgängen aus dem Museum, die einen idyllischen Ort am Rand des in Entstehung begriffenen Gartens schafft. In die neue Gliederung einbezogen sind auch die bestehende breite Treppe sowie der Kubus-Bau aus dem Jahr 2008. Stimmt die Idee, erhält das BHM in Zukunft zwei belebte Seiten: die bestehende im Norden, eine neue im Süden.

Vom Eingang im Norden, am Helvetiaplatz, zum Garten im Süden gelangen die Besuchenden künftig durch das bestehende Gebäude hindurch. Das dunkle Treppenhaus wird dann durch Seitenfenster hell sein, ein neues Foyer bringt Weite und Übersicht.

Foyer Nord mit lichtdurchflutetem Treppenhaus (© Nightnurse Images AG, Zürich)

Wie geht es weiter?

Nun beginnt die Projektierung im Detail. Die Bauarbeiten sollen 2027 beginnen, auf 2031 ist die Neueröffnung geplant. Während der Bauzeit ist die Ausstellungshalle im Kubus-Bau offen und wird bespielt. Das BHM will in diesen Jahren mit kleineren Museen im Kanton zusammenarbeiten.

Offene Punkte

Noch nicht ganz sichergestellt ist das Geld. Das BHM rechnet mit einem Kostendach von insgesamt 120 Millionen, davon sind 85 Millionen für das Bauliche und 35 Millionen für die komplette Erneuerung der Ausstellungen vorgesehen. Die Stadt Bern, im Grund neben dem Kanton und der Burgergemeinde zur Zahlung eines Drittels oder von 40 Millionen verpflichtet, hat Diskussionsbedarf angemeldet für die Finanzierung des Ausstellungsanteils an den Gesamtkosten. Über diesen Punkt muss eine Einigung erzielt werden. Irgendwann wird die Stimmbevölkerung der Stadt über deren Anteil abstimmen.

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Ein weiterer offener Punkt ist die Deckung des Bedarfs an Depoträumen für das BHM. Er ist aus dem Projekt Gesamterneuerung ausgeklammert. Gerade dieser Bedarf war es, der ursprünglich zur Idee des Museumsquartiers führte. Innerhalb des Vereins Museumsquartiers ist ein «kooperatives Zentraldepot» ein Thema, doch ist noch nichts entschieden, es gibt auch keinen Entscheidungstermin.

Das Mosaik

Zurück zum Mosaik über dem Eingangstor des BHM. Die schwarz gewandete Geschichtsschreiberin mit der Öllampe, die das Forschen, Erkennen und Beleuchten der Vergangenheit verkörpert, könnte in ein paar Jahren weisse, helle, luftigere Gewänder tragen. Die Erzählerin allerdings, die uns mit ihren Blumen und Geschichten beglückt, muss bleiben. Sonst bleiben alle Einsichten tote Buchstaben.

Schnittperspektive mit innerer Organisation und Lichtführung (© Nightnurse Images AG, Zürich).