Die Welt hinter den Seifenschalen

von Fredi Lerch 27. Oktober 2015

Journal B hat sich letzthin einen Seitenhieb gegen die städtische Denkmalpflege erlaubt. Er war unpräzis und unfair. Die direkt betroffene Zuständige, die Bauberaterin Regula Hug, sagt warum.

Im Bericht zur Eröffnung des Durchgangszentrums Bern-Viktoria in der ehemaligen Feuerwehrkaserne hat Journal B einen Seitenhieb platziert. Angesichts der «blitzblanken sanitären Anlagen», in denen statt der Seifenschalen nur noch eine lange Reihe von Bohrlöchern zu sehen war, hiess es: «Die [Seifenschalen, fl.] habe man auf Weisung der kantonalen Denkmalschutzexperten demontiert. Ach ja, denkt man, die wollen halt zur Linderung der humanitären Katastrophe auch ihren Beitrag leisten.»

Richtig ist, dass der gesetzliche Rahmen für denkmalpflegerische Massnahmen das kantonale Baugesetz bildet. Falsch ist, es habe eine «Weisung der kantonalen Denkmalschutzexperten» gegeben. Die nötigen Umbauarbeiten hat Regula Hug, Bauberaterin der städtischen Denkmalpflege begleitet. Sie hat sich nach dem Seitenhieb bei Journal B gemeldet. Hier sagt sie, warum.

*

Journal B: Frau Hug, warum hat man in der alten Feuerwehrkaserne bei den Umbauten für das Durchgangszentrum die Seifenschalen vor den Flüchtlingen in Sicherheit gebracht?

Regula Hug:

Seit es kantonale Bauinventare gibt, figuriert die Feuerwehrkaserne am Viktoriaplatz unter den «schützenswerten Objekten» der Stadt Bern. In der vom Stimmvolk gutgeheissenen Zonenplanänderung steht sogar, bei der weiteren Nutzung sei «der geschützte Kernbau mit Turm zu erhalten». Laut dem Volkswillen geht es also nicht nur um «schützenswert», sondern um «geschützt». Bei schützenswerten Bauten können auch innere Bauteile von Bedeutung sein, in der Feuerwehrkaserne zum Beispiel die grosse Lavaboanlage im ersten Stock.

Wären denn die Seifenschalen wirklich gefährdet gewesen?

Grundsätzlich wird die Denkmalpflege beigezogen, um ihre Fachmeinung abzugeben. Bei der Feuerwehrkaserne besteht das denkmalpflegerische Ziel darin, die originale Bausubstanz bis zum Entscheid über die definitive Nutzung sorgfältig zu erhalten. Nachdem die temporäre Nutzung als Durchgangszentrum feststand, mussten vor allem Brandschutz- und Sicherheitsmassnahmen umgesetzt werden. Aus meiner Sicht ging es dabei darum, bei den notwendigen baulichen Eingriffen  keine zeittypischen Ausstattungsteile oder wertvolle Oberflächen zu zerstören. Denn nur so bleibt der denkmalpflegerische Wert des Hauses bis zur Ausarbeitung eines definitiven Projekts erhalten.

Die Seifenschalen sind in diesem Kontext eine Randnotiz: Bei einem gemeinsamen Rundgang – mit dabei waren Vertreter der städtischen Immobilien, der Architekten, ein Restaurator und der Zentrumsleiter – hat man unter anderem die exponierten Teile der Innenräume angeschaut. Zu den ominösen Seifenschalen sagte der Zentrumsleiter, die könne man nicht brauchen, weil die Flüchtlinge aus hygienischen Gründen in diesem halböffentlichen Bereich der Anlage keine Toilettenartikel deponieren sollten.

Die Leute müssen ihre Toilettenartikel sowieso jedes Mal ins Zimmer zurücknehmen?

Darum haben wir entschieden, die Schalen zu demontieren und einzulagern.

Tatsächlich keine skandalöse Geschichte.

Keine Spur davon. Ähnlich ist es übrigens mit den im «Bund» abgebildeten, mit einem Stahlband gesicherten Korridorschränken. Ich war der Meinung, diese Schränke entlang des Gangs seien zur Benützung durch die Flüchtlinge geradezu ideal. Dann tauchte das Argument auf, im halböffentlichen Raum des Gangs müsse wegen Diebstahlgefahr alles abschliessbar sein. Weil diese Schränke keine Schlösser, sondern bloss Noppen zum Ziehen aufweisen, waren sie demnach nicht brauchbar. Bei ihrer Sicherung war ich dann allerdings nicht einbezogen. Dies mit einem Stahlband zu tun, das mit Schrauben im Schrankholz fixiert ist, entspricht nicht den denkmalpflegerischen Regeln der Kunst.

Vor diesem Hintergrund spricht aus meinem Seifenschalen-Seitenhieb ein Ressentiment gegen eine Grundidee der Denkmalpflege. Ich ärgerte mich, dass demonstrativer Schutz baulicher Repräsentationskultur wichtiger sein solle als eine Infrastruktur für die Flüchtlinge. Dahinter stecken wohl auch Fragen wie: Wem dient Denkmalpflege? Muss zur Sicherung des Wissens um die Baukultur früherer Zeiten tatsächlich bis hinunter zur Seifenschale die Bausubstanz gesichert werden?

Diese Überlegung stellt letztlich den Auftrag der Denkmalpflege in Frage. Es ist so, dass die Bevölkerung einen gewissen Schutz der wertvollen Bauten will. Die Denkmalpflege nimmt daher einen öffentlichen Auftrag wahr, nämlich die  Erhaltung der wegweisenden und überdurchschnittlichen Baukultur. Dieser Auftrag hat nichts mit Repräsentationskultur, mit reich oder arm, mit Villen oder Arbeitersiedlungen zu tun, sondern richtet sich nach dem Zeugenwert der Bauten. Es gibt daher auch technik- oder sozialgeschichtliche Zeugen, die als Baudenkmäler klassiert sind. Der Wert eines Gebäudes als Zeitzeuge kann manchmal auch von Details abhängen. Was erhalten werden soll und was verändert werden kann, muss im Einzelfall abgewogen werden.

Aktuelles Beispiel ist ein Wohnblock aus den 1930er Jahren an der Wylerstrasse – übrigens wie die Feuerwehrkaserne ein Bau des Architekten Hans Weiss. Hier haben wir Dreizimmerwohnungen auf fünf Stöcken weitgehend im Originalzustand angetroffen, vom Parkett und Linoleum der Böden bis zu den Badezimmern und Kücheneinrichtungen. Die Denkmalpflege unterstützt nun den engagierten Hauseigentümer bei der Sanierung seiner Liegenschaft, wobei «nach den Bedürfnissen des heutigen Lebens und Wohnens» vorgegangen wird, wie es im Baugesetz heisst. Selbstverständlich baut man heute Kühlschränke ein. Die Wohnungen sollen nach der Sanierung einen zeitgemässen Standard aufweisen. Gleichzeitig wird aber ein Mehrwert geschaffen, da die qualitätvolle Ausstattung erhalten bleibt, die die Wohnkultur der 1930er-Jahre in Bern vermittelt. Unser Ziel ist es, das Wertvolle zu erhalten und gleichzeitig die Transformation in die Gegenwart  zu ermöglichen.

Die städtische Denkmalpflege macht die Erfahrung, dass sie ungefähr zur Hälfte dafür kritisiert wird, sie tue zu viel und zur andern Hälfte, sie tue zu wenig. Ich schliesse daraus, dass wir auf einem guten Mittelweg unterwegs sind.