Die Suche der Zukunft beginnt

von Christoph Reichenau 4. Januar 2019

Eine 8-köpfige Kommission sucht eine neue Intendantin oder einen neuen Intendanten für Konzert Theater Bern (KTB). Sie oder er soll Stephan Märki nachfolgen, der am 6. Juli KTB Knall auf Fall verlassen musste. Blicke auf ein bewegtes Jahr und in die Kristallkugel.

Zwar ist die Ausschreibung noch nicht öffentlich, doch die Such-Equipe ist beisammen. Sie besteht aus:

– Georges Delnon, Intendant der Staatsoper Hamburg

– Anna Badora, Intendantin des Wiener Volkstheaters

– Giulia Meier, Spezialistin für Theater, Tanz und Literatur bei KulturStadtBern (ehemals Abteilung Kulturelles)

– Hans Ulrich Glarner, Leiter des kantonalen Amts für Kultur

– Nadine Borter, Präsidentin des Stiftungsrats KTB

– Marcel Brülhart, Mitglied SR

– Markus Hongler, Mitglied SR

– Ueli Studer, Mitglied SR.

Von 7 Mitgliedern des Stiftungsrats (SR) wird sich also die Mehrheit an der Suche beteiligen. Die 4 andern Beteiligten sind mehr oder weniger ausgeprägt Fachpersonen für die vier Sparten von KTB: Sinfonik, Musiktheater, Tanz, Schauspiel.

Zwei Fachpersonen

Spezifisch aus der Theaterwelt stammen Georges Delnon und Anna Badora. Die polnisch-österreichische Regisseurin leitet nach dem Schauspielhaus Graz seit 2015 in Wien das Volkstheater, ursprünglich das bürgerliche Gegenstück zum adeligen Burgtheater. Das Volkstheater, an dem Badora auch inszeniert, kämpft mit niedriger Auslastung (2017 um 60%). Badora will ihren Vertrag über Mitte 2020 hinaus nicht verlängern.

Der Berner Georges Delnon leitete von 2006-2015 das Theater Basel und seither die Staatsoper Hamburg. Er war bereits in die Suche einbezogen, die zur Wahl von Stephan Märki führte. Derzeit wirkt Delnon auch dabei mit, für das Luzerner Theater eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für Benedikt von Peter zu finden, der Mitte 2020 als Intendant nach Basel wechselt.

«Wir brauchen eine visionäre Intendanz»

Gesucht wird eine sozial kompetente Person, «die eine starke künstlerische Leistung vorweisen kann, aber gleichzeitig auch eine hohe Führungskompetenz mitbringt; letztlich muss die Person verstehen, wie man ein Haus dieser Grössenordnung betriebswirtschaftlich führt», so erklärte es SR-Präsidentin Nadine Borter dem «Bund». Regie zu führen, komme jedoch bei der neuen Intendanz nicht mehr in Frage.

Das geltende Organisationsmodell mit starken DirektorInnen, «die autonom ihre Sparten leiten», wird nicht in Frage gestellt. Es wird ausdrücklich bestätigt. Ebenso das Vetorecht der Intendanz gegenüber den Sparten, das nicht näher eingegrenzt ist. Nochmals Borter: «Wir brauchen eine visionäre Intendanz, die unser Haus transversal und nicht autoritär, also gemeinsam mit den Mitarbeitenden, weiterbringt.»

Ein Blick zurück

Bevor wir vorwärts schauen, ein Blick zurück. KTB machte 2018 abseits der Bühne ein paarmal Schlagzeilen.

Im Mai trat Cihan Inan entgegen dem Wunsch des Intendanten vorzeitig von seinem Vertrag als Schauspielleiter zurück, weil die innere Organisation – die Struktur – von KTB nicht optimal sei. Worum genau es ging, blieb trotz vieler Worte offen. Schliesslich sickerte durch, dass Inan mit Sophie-Thérèse Krempl nicht auskam, die als Mitglied der Geschäftsleitung und Lebensgefährtin von Intendant Märki zu viel Einfluss hatte. Der SR wollte Inan behalten, aber Krempl nicht entlassen. Inan zog die Konsequenzen.

Rücktritte

Die darauf öffentlich geführte Diskussion über das Organisationsmodell löste Vorstösse im Stadtrat aus. Am 1. Juli kreuzten am «Bund»-Podium im Kornhausforum Stadträtin Milena Daphinoff, SR-Mitglied Marcel Brülhart und Res Bosshart die Klingen. Bosshart, ehemaliger Intendant und Hochschuldozent, als Experte geladen, widersprach der Darstellung von Marcel Brülhart, das Berner Modell sei weniger hierarchisch und demokratischer als ein normales Intendanzmodell: Es sei die übliche Generalintendanz, nur anders benannt. Brülhart wehrte alle Einwände und neuen Ideen ab.

Fünf Tage darauf der Eklat. An einer sehr kurzfristig einberufenen Medienkonferenz nahm Intendant Stephan Märki den Hut, auch Sophie-Thérèse Krempl verliess KTB sofort. Märki wurde eine Lohnfortzahlung für zehn Monate versprochen (rund 200’000 Franken) und die Inszenierung von Tristan und Isolde im Frühjahr 2019. Wie genau es dazu gekommen war, dass das lange Zeit abgestrittene Liebesverhältnis plötzlich zugegeben wurde und zur Kündigung führte, ist bis heute unklar. Um derartige Entwicklungen fürderhin zu vermeiden, will der SR einen Verhaltenscodex aufstellen. Dieser liegt anscheinend im Entwurf vor.

Was viele regelmässige Besucherinnen und Besuchern von KTB als Befreiung empfanden, war anderen Anlass zu Kritik am SR: Dieser hätte «die Schlammschlacht» (das heisst die Aufdeckung der Beziehung Märki-Krempl) aushalten und an Märki festhalten sollen.

Ein fast neuer Stiftungsrat

Der SR war seit dem 1. Juli nicht mehr der alte. Aus dem 7-köpfigen SR zurückgetreten sind auf Ende Juni Katrin Diem, Guy Jaquet und Dominique Folletête.

Zu ersetzen waren also 3 von 7 Mitgliedern. Davon bestimmen die Stifter 4: die Stadt Bern 2 einschliesslich des Präsidiums, Kanton und Regionalkonferenz Bern-Mittelland je eines. Die so bestimmten StiftungsrätInnen wählen ihre 3 KollegInnen in Absprache mit den Stiftern; man nennt dies Kooptation.

Das derart neu zusammengestellte Gremium sieht für die Amtsdauer vom 1. Juli 2018 bis 30. Juni 2020 so aus:

– Nadine Borter (Präsidentin und CEO der Werbeagentur Contexta – gewählt von der Stadt Bern, Präsidentin)

– Sibyl Matter (Fürsprecherin und Notarin, u.a. Stiftungsrätin PROGR – gewählt von der Stadt Bern)

– Marcel Brülhart (Fürsprecher, u.a. Stiftungsrat Dachstiftung Kunstmuseum-Zentrum Paul Klee sowie Präsident Bern Welcome – gewählt vom Kanton)

– Ueli Studer (ehemaliger Grossrat SVP, ehemaliger Gemeindepräsident von Köniz und ehemaliger Präsident der Kulturkommission der Regionalkonferenz – gewählt von der Regionalkonferenz)

– Markus Hongler (CEO Mobiliar – kooptiert)

– Marianne Keller Tschirren (Leiterin der Fachstelle Kultur der Gemeinde Köniz, Vorstandsmitglied der Freunde des Symphonieorchesters – kooptiert)

– Ursula Nold (Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Bern, in verschiedenen Verwaltungs- und Stiftungsräten tätig, präsidiert u.a. die Delegiertenversammlung des Migros-Genossenschafts-Bundes – kooptiert).

Nadine Borter, 2017 vom Berner Gemeinderat gewählt, hat am 1. Juli das Präsidium tatsächlich übernommen. Ihr Amtsvorgänger Marcel Brülhart trat nicht, wie er weitherum verlauten liess, aus dem Rat zurück, sondern hängt – vom Regierungsrat wiedergewählt, wegen zur vollen Zufriedenheit geleisteter Dienste – zwei weitere Jahre an.

Inan, Tristan und Isolde

Nach Märkis und Krempls Abgang bot der SR Cihan Inan an, vom Rücktritt zurückzutreten. Inan nahm an und ist nun wieder bis Mitte 2021 im Amt.

Selber ruderte der SR im Falle der Stephan Märki zugesagten Inszenierung von Tristan und Isolde im Frühling 2019 zurück. Nach länger dauernden Verhandlungen über die Vertragsauflösung mit Märki und seinem Team musste der SR im November zum Ärger vieler zugeben, dass die Inszenierung abgesagt ist. Man könne dem Haus nicht zumuten, mit dem ehemaligen Intendanten künstlerisch zusammen zu arbeiten – mit Märki, dessen Leistungen im Haus und für das Haus noch in der Stunde des Rücktritts im Juli in höchsten Tönen gelobt worden waren.

Vertrauen erhalten

Nun also die Findungskommission. Sie sucht eine neue Intendanz für ein Organisationsmodell, das in den letzten zweieinhalb Jahren einige unschöne, reputationsschädigende und kostspielige Entscheidungen wenn nicht direkt verursacht, so doch nicht verhindert hat.

KTB geniesst das Vertrauen der Stadtbevölkerung. Der laufende Leistungsvertrag wurde mit 78,3% Ja-Stimmen angenommen. 82% der Einnahmen von KTB sind Subventionen. Umgelegt auf die Besuchenden belief sich die Betriebssubvention bei 119’000 belegten Plätzen in der Saison 2016/2017 (bei begrenzten Platzverhältnissen) auf 319 Franken pro Platz; zählt man die Besucher auswärtiger Auftritte hinzu (17’000), wird jeder Besucherplatz mit 280’000 Franken unterstützt. Der Sanierungskredit von rund 45 Millionen für das Gebäude am Kornhausplatz erhielt gesamtstädtisch 76% Ja, in Bümpliz/Bethlehem 63%.

Das sind schöne Ergebnisse. Ihnen muss man Sorge tragen. Vertrauen verflüchtigt sich rasch und ist schwer zurückzugewinnen. Dass die Mehrheit der Mitglieder jetzt frei ist von der Last der Vergangenheit, ist eine Chance für den Stiftungsrat, für KTB und für die Bevölkerung.

Tschäppäts Vermächtnis

Die Anforderungen an KTB hat Ende 2016 im Gespräch mit Journal B der abtretende Stadtpräsident Alex Tschäppät so formuliert: «Ein zu 82% subventionierter Betrieb gehört der Bevölkerung. Da braucht es volle Transparenz, gerade bei Problemen und Konflikten, bei den Löhnen usw. Das Bewusstsein der Leitungsgremien, hier des Stiftungsrats und der Geschäftsleitung, muss sein: Wir sind Teil der Öffentlichkeit und schulden ihr Rechenschaft. Das muss an sich selbstverständlich sein. Wenn es das aber nicht ist, müssen wir es einfordern.»

Diese Haltung ist weiterhin ein Leitstern.

Ein Wunsch

Die Wahl der neuen Intendanz ist die wichtigste anstehende Aufgabe des SR. Sie hat Auswirkungen für lange Zeit. Umso wichtiger ist die umsichtige Vorbereitung. Dazu könnte gehören, dass der SR seine Überlegungen öffentlich bekannt macht und bereit ist, sich den Reaktionen zu stellen. Warum nicht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Abonnentinnen und Abonnenten, im Idealfall alle Interessierten einladen zu einer Diskussion oder zu Diskussionen?

Orientieren könnte sich KTB am Kunstmuseum Bern. Vor der wichtigen Entscheidung über die bauliche Erweiterung sucht das Museum nach einigen Fehlschlägen neu weitherum den Dialog. Das könnte ein Beispiel sein. Ein Vorbild.