Die Stille in der Landschaft und Apokalypse

von Christoph Reichenau 9. März 2023

Der Maler Martin Ziegelmüller zeigt seine Werke in der Galerie da Mihi sowie im Kulturhaus VISAVIS. Wer den Maler zu kennen glaubt, kann neue Seiten entdecken. Dass zwei Kulturorte zusammenspannen, und sei es nur für drei Tage, spricht für sich.

Es gibt viele Martin Ziegelmüller. Zwei sind für kurze Zeit nebeneinander zu sehen: Zwischen dem 10. und 12. März ist der liebliche, freundliche, der scheinbar harmlosen Natur Zugewandte im Kulturhaus VISAVIS vorzufinden. Mohnfelder, Matten, Schilf, Bäche, Jahreszeiten, Tageszeiten – der Maler «lebe mit seinem Landstrich», hat der Schriftsteller Gerhard Meier gesagt. Und in Ziegelmüllers Landschaft stecke «immer auch jener Stoff, nach dem wir heimlich unterwegs sind: Stille.»

Der dunkle Ziegelmüller erfüllt bis am 15. April die Galerie da Mihi mit Bildern surrealer Frauentorsos, Ruinen, toter Vögel, Wölfen und Schreckensszenarien. Zahlreiche Bilder sind 40 bis 50 Jahre alt, andere entstanden erst vor einem Jahrzehnt. Eigen ist allen die Grundierung von Angst, Schrecken, Unheil und Endzeit. Der Kunstkritiker und Museumsleiter Peter Killer schrieb dazu: Was die Wissenschaft von Sorge erfüllt in Worte fasse und mit Tabellen fülle, «das malte dieser Künstler. All das, was uns selbstverständlich ist, muss nicht so bleiben. Da lauert Bedrohung.» Und weiter: «Martin Ziegelmüller hat in seinen Bildern das Thema der Umweltzerstörung eingewoben, bevor es Mode wurde.»

Martin Ziegelmüller, Spalt durch Basel, Öl auf Jute, 1979/80
Martin Ziegelmüller, Spalt durch Basel, Öl auf Jute, 1979/80

Nun muss Umweltzerstörung nicht düster, ruinös oder endzeitlich sein. Das Bild «Bern 2100 (Bundeshaus)» zeigt das von der Natur zurückeroberte Parlamentsgebäude als heiter-grüne Skulptur, an deren Fuss die Aare friedlich anbrandet. Es gemahnt an eine vertikale Bepflanzung, die heute in Städten Schatten und Kühle spenden soll.

Martin Ziegelmüller, Fukushima verstrahlt, Öl auf Leinwand, 140 x 110 cm
Martin Ziegelmüller, Fukushima verstrahlt, Öl auf Leinwand, 140 x 110 cm

Ein weiteres Thema in der Ausstellung sind Städtebilder. Alle sind von der höchsten Spitze aus gemalt, von schräg-oben, «im Übergang zwischen normaler Aufriss-Sehweise und fremder Vogelperspektive», wie Killer es sieht. Manche der Veduten sind apokalyptisch. Sie zeigen zerstörte, zerfurchte, zertrümmerte Städte – Basel, Bern, Burgdorf. Es sind Mahnungen eines Rebellen vor blindem Fortschrittsvertrauen, die die Betrachtenden erschauern lassen. Und inmitten dieser dunklen Welt scheint fast monochrom, als fahler gelber Schein «Fukushima verstrahlt», die immaterielle unfassbare Zerstörung auf. Als Junger hat Ziegelmüller gegen das geplante Atomkraftwerk Graben demonstriert, neben dessen Bauplatz er aufgewachsen ist.

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Kommen Menschen auf, sind es Frauentorsos, «Restfiguren», sarkastisch als «schöne neue Welt» bezeichnet. Vögel liegen tot auf dem Boden oder kauern auf Hausvorsprüngen («Geier in der Stadt»).

Ziegelmüller in der Galerie da Mihi. Was ist neu an diesen Bildern? Der Maler hat mit Dorothe Freiburghaus doch schon die Vorgänger-Galerie, den Kunstkeller, seit Beginn mitgeprägt. Manche Bilder hat man schon gesehen. So wie wir seit dem Erscheinen des Berichts «Die Grenzen des Wachstums» des Club of Rome wissen, was es geschlagen hat. Und was ist konkret geschehen, was haben wir – wir – gemacht? Martin Ziegelmüllers Bilder sind noch immer nötig und werden noch lange nötig bleiben.

 

Kulturhaus VISAVIS 10.-12. März; www.kultur-visavis.ch

Galerie da Mihi bis 15. April; www.damihi.com