Das RGM-Bündnis beendete 1992 erfolgreich die bürgerliche Vormachtstellung in der Stadt Bern und besteht nun seit 24 Jahren. Für mich durchaus ein stattliches Alter in Anbetracht dessen, dass ich noch keine 24 Kerzen auf meinem Geburtstagskuchen ausgepustet habe.
Doch wie lassen sich die Errungenschaften dieses Bündnisses einordnen? RGM verkörpert für mich einen Pragmatismus, der Bern einige ansehnliche Erfolge beschert hat. Gleichzeitig repräsentiert es das Eingehen von teilweise unhaltbaren Kompromissen, das Abweichen von nicht-diskutierbaren Forderungen sowie ein Verschwimmen einer klar linken Politik. Das RotGrünMitte-Bündnis hat eine Routine entwickelt, die zwar Ergebnisse erzielt, aber eine gewisse Trägheit nicht abzuschütteln vermag. Ich sehe die JUSO als linkes Gewissen dieses Bündnisses.
Drei Viertel sind nicht alle
Ursula Wyss’ Vorschlag von letzter Woche, ein Stimmrecht «Light» für Ausländer und Ausländerinnen einzuführen, scheint mir beispielhaft für diesen Pragmatismus. Das Problem ist erkannt, aber die Forderung geht, ungeachtet von limitierenden kantonalen Bestimmungen, zu wenig weit.
Ein Viertel der registrierten Wohnbevölkerung der Stadt Bern ist nicht im Besitz des privilegierenden Schweizer Passes. Trotz all den wertvollen Beiträgen, die diese Menschen an eine funktionierende Gesellschaft leisten, bleiben sie von der politischen Entscheidungsfindung ausgeschlossen. Diese Menschen bloss symbolisch abstimmen zu lassen, ist keine befriedigende Lösung. Hier sollte es keinen Raum für Kompromisse geben.
Die Demokratie lebt davon, dass alle Menschen einer Gesellschaft am politischen Diskurs teilnehmen können. Deshalb sollten eine Stadtbürgerschaft und ein Stimm- und Wahlrecht für die gesamte Wohnbevölkerung zwingend die Grundlage einer städtischen Demokratie bilden. Auch die im letzten Jahr angenommene Ausländermotion ist bestenfalls ein symbolischer Schritt in die richtige Richtung.
Politische Partizipation reicht nicht
Doch die Stärkung der formellen politischen Partizipation betrifft nur einen Teil des städtischen Lebens. Alle Berner und Bernerinnen sollen in ihren Möglichkeiten zur gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Mitbestimmung gestärkt werden. Um eine intensivere Teilnahme am städtischen Leben zu ermöglichen, muss die Stadt Freiräume zur kreativen und selbstbestimmten Entfaltung gewähren. Das bedingt, dass der öffentliche Raum ohne Privatisierungsansprüche ausgeweitet wird, der so die Grundlage des gesellschaftlichen Zusammentreffens bildet. Gleichzeitig sollte den Menschen der Freiraum gewährt werden, der ihnen erlaubt, neue und alternative Formen des Wirtschaftens, des Zusammenlebens und des Zusammenarbeitens zu erproben.
Die öffentlichen Gemüsebeete im Burgernziel oder in der Lorraine dienen nicht lediglich der Selbstversorgung. Bring-und-Holtage und Reparatur-Cafés beinhalten nicht nur den Erwerb und die Reparatur privater Güter. Bei der Zeittauschbörse Bazore, welche sich mittlerweile weit über das Murifeldquartier hinaus erstreckt, geht es nicht in erster Linie darum, Güter und Dienstleistungen auszutauschen. Wenn ich im Rahmen von Bazore bei einer Nachbarin in der Elfenau für meine Silvesterparty lerne, Frühlingsrollen zu backen und wir in Stunden abrechnen, geht es ihr dabei nicht alleine ums Geld. Aber sie geht auch diesbezüglich nicht leer aus. Sie kann mit diesen drei Stunden – Frühlingsrollen zu machen ist gar nicht so einfach – zum Beispiel bei einer Bazore-Teilnehmerin in der Lorraine an ihren Spanischkenntnissen feilen. Im Vordergrund stehen dabei der soziale und kulturelle Austausch, gemeinsame Erfahrungen und ein gemeinschaftliches Zusammenleben. Deshalb gehen solche Projekte und Initiativen in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung weit über den materiellen Aspekt hinaus. Sie fördern eine gelebte Solidarität, welche für unser städtisches Leben von zentraler Bedeutung ist.
Um solche Initiativen zu ermöglichen und zu fördern, sollten die Quartiere mehr Freiheit und Mittel für ihre Gestaltung und Selbstorganisation erhalten. Durch die Erweiterung solcher Freiräume werden die Stadtbevölkerung und die Quartiere in die Verantwortung gezogen. Es liegt an uns allen, gemeinsam Sorge zu unseren städtischen Gemeingütern zu tragen.
Die Stadt macht keine ehrenamtliche Arbeit
Angesichts des landesweiten bürgerlichen Sparwahns scheint es mir besonders wichtig, die sozialen Institutionen der Stadt zu stärken. Die wachsende soziale Ungleichheit gefährdet ein funktionierendes und gleichberechtigtes Zusammenleben und muss unbedingt eingedämmt werden. Es ist für mich bezeichnend, dass Semiramis Mordasini der Jungfreisinnigen sich im Rahmen dieser Serie sehr knapp zum Bereich des Sozialen geäussert hat. So findet einzig die ehrenamtliche Arbeit darin Erwähnung. Die Aufgaben und die Verantwortung der Stadt im Bereich des Sozialen müssen aber auch in Zukunft mehr umfassen als die blosse Koordination von ehrenamtlicher Arbeit.
Die Stadt Bern muss den Anspruch haben, Veränderungen anzustossen und ihr politisches Gewicht in Kanton und Bund strikter einfordern. Die JUSO wird dafür weiterhin mit einer kompromisslos linken Politik einstehen.