«Die Städte sind national untervertreten»

von Yannic Schmezer 1. Oktober 2019

Zum dritten Mal kandidiert Reto Nause im Oktober für den Nationalrat. Er möchte insbesondere den städtischen Anliegen auf Bundesebene mehr Geltung verschaffen. Mit uns sprach er über Sicherheitspolitik und sagte, was er von den Anliegen der Klimaaktivist*innen hält.

Das Wahlcouvert von Reto Nause liegt nach unten gekehrt auf dem schwarzen USM-Tisch, der, von Stühlen belagert, in der Mitte seines Büros steht. Er habe noch nicht gewählt, weil er noch ein Wahlanleitungsvideo für Social Media erstellen müsse. Wählen sei gar nicht so einfach, erklärt der langjährige Gemeinderat und Vorsteher der Direktion für Sicherheit, Umwelt und Energie der Stadt Bern. Er habe zum Beispiel schon erlebt, dass jemand die Wahlzettel nicht in das kleine, gelochte Couvert, sondern zusammen mit dem Stimmrechtsausweis in das grosse gesteckt hätte. Eine solche Stimmabgabe sei ungültig. Auf die Frage, ob er die Wahlanleitung denn auch mit einer Wahlempfehlung versehen würde, antwortet Nause mit einem verschmitzten Lächeln. Natürlich werde er die Liste 21 einlegen, sagt er, die List der CVP. Zum dritten Mal kandidiert Nause jetzt für den Nationalrat. 2015 machte er zwar ein gutes persönliches Resultat, jedoch blieb die CVP im Kanton Bern ohne Sitz. Das soll sich dieses Jahr ändern.

 

Reto Nause, Sie sind nun fast 11 Jahren Gemeinderat in Bern. Weshalb zieht es Sie in den Nationalrat?

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Städte im nationalen Parlament untervertreten sind. Wir stellen immer wieder fest, dass der Bund bei seiner Gesetzgebung – nehmen wir Klima- und Umweltschutz – mit den Kantonen in den Dialog tritt, nicht aber mit den Städten. Das grösste Potential für CO2-Einsparungen liegt aber in den Städten. Wir Städte müssen deshalb unsere Interessen vernetzen und direkt – nicht via Lobbyisten – in die Bundespolitik einbringen. Alex Tschäppät hat das auch gemacht und es hat geholfen.

Auf Ihrer Website schreiben Sie, dass Bundespolitiker*innen den städtischen Regierungen kaum zuhörten. Woran denken Sie konkret?

Es gibt zahlreiche Beispiele. Im Feuerwehrwesen wird die Gesetzgebung national gemacht aber es sind die Berufsfeuerwehcorps der sechs oder sieben grössten Schweizer Städte, die 40% aller Ereignisse abdecken. Wenn nun auf nationaler Ebene Gesetze gemacht werden, fragt man uns nicht nach der Meinung, obwohl wir diejenigen sind, die den Vollzug gewährleisten müssen. Ein weiteres Beispiel ist das Ausländerrecht. In den kommunalen Einwohnerdiensten müssen wir Willkommensgespräche durchführen – was ich als richtig erachte. Aber uns hat niemand gefragt, wie wir die jährlich rund 3000 Gespräche personell bewältigen sollen.

Besteht national eine Ignoranz gegenüber städtischen Interessen?

Ich glaube nicht, dass es Ignoranz ist. Auf Stufe Bund werden die Diskussionen einfach ein Stück weit abstrakt geführt und kaum jemandem ist bewusst, dass irgendjemand «auf der Strasse» stehen und alle diese Regeln umsetzen und die bürokratische Arbeit, die damit verbunden ist, bewältigen muss.

Das Bürokratie-Argument ist nichts Neues. Auch auf nationaler Ebene spricht man über den Vollzug.

Ja, aber die wenigsten im Bundeshaus können den Vollzug in Anzahl Stunden oder Stellen quantifizieren. Wir können das.

In Bern sind Sie der breiten Öffentlichkeit vor allem in ihrer Funktion als «Sicherheitsdirektor» bekannt. Welche Sicherheitsthemen beschäftigen Sie auf nationaler Ebene und wie stehen diese allenfalls mit der Stadt Bern in Verbindung?

Ein zentrales Anliegen ist, dass wir unsere Leute, die im Auftrag der Öffentlichkeit unterwegs sind, besser schützen. Ich spreche von Polizistinnen und Polizisten aber auch von Sanitätern und Sanitäterinnen, Feuerwehrleuten oder Sozialdienstmitarbeitenden, die in der Vergangenheit vermehrt Übergriffen ausgesetzt waren. Das beginnt bei Beschimpfungen und geht bis hin zu Tätlichkeiten oder handfesten Angriffen. Wenn wir unsere Beamten gesetzlich besserstellen würden, hätte das eine präventive Wirkung.

Wir stellen ausserdem fest, dass es immer mehr militante Strömungen gibt, die nicht nur irgendwelche Fassaden versprühen, sondern die Brandanschläge auf Gebäude oder Fahrzeuge verüben. Diesen Gewaltextremismus können unsere staatlichen Organe derzeit nicht präventiv bekämpfen. Insbesondere haben wir nicht die Möglichkeit Rädelsführer bereits im Vorfeld von Krawallen zu überwachen. 

Das neue Polizeigesetz des Kantons Bern, das im Februar vom Stimmvolk angenommen wurde, sieht präventive Massnahmen vor.

Ich spreche davon, beispielweise den Telefonverkehr von Führungspersonen krimineller Gruppen überwachen könnte. Das ist heute nicht möglich. Es stimmt, dass das Polizeigesetz die eine oder andere Verschärfung bringen wird. Wie sich diese in der Praxis auswirken, wird sich aber erst 2020 zeigen, wenn das Gesetz in Kraft tritt.

Gibt es andere sicherheitspolitische Themen, die Sie umtreiben?

Weitere wichtige Themen sind Schwarzarbeit und Menschenhandel. In Bern führen wir regelmässig Verbundskontrollen zusammen mit der Arbeitsmarktaufsicht durch und stellen dabei erschreckend viele Verstösse fest. Es gibt Fälle, in denen Personen komplett ohne Arbeitsvertrag angestellt sind und wir davon ausgehen müssen, dass sie für einen lächerlich tiefen Lohn oder sogar gratis arbeiten. Dadurch wird auch die ganze sozialversicherungsrechtliche Gesetzgebung ausgehebelt. Teilweise werden Menschen in Verschlägen mit fünfzehn weiteren Personen untergebracht und bezahlen dafür sogar noch Miete.

Diese Fälle beschränken sich nicht aufs Rotlicht-Milieu, sondern reichen bis tief in den KMU-Bereich, wo man sie eigentlich nicht erwarten würde: Gastronomie, Bau, Nagelstudios, Bäckereien. Diese gefährliche Entwicklung kann nur gebrochen werden, wenn man im Vollzug die nötigen Ressourcen bereitstellt.

Welche städtischen Anliegen im Energie- und Umweltbereich spielen auf nationaler Ebene eine Rolle?

Die Energieversorgung ist ein typischer Infrastrukturbereich, in dem Investitionen über die nächsten Jahrzehnte gerechnet werden. Momentan herrscht dort aber grosse Rechtsunsicherheit auf nationaler Ebene. Zwar konnten wir in der Stadt Bern im Gebäudebereich durch Investitionen in den letzten zehn Jahren die CO2 Emissionen um rund 30% senken. Ausserdem haben wir die Energiezentrale Forsthaus gebaut, mithilfe derer grosse Teile im Westen der Stadt mit Fernwärme versorgt werden. Es geht aber noch mehr. Wenn man alle Ölheizungen, die heute in der Stadt Bern in Betrieb und über zwanzigjährig sind durch erneuerbare Energie ersetzen würde, hätte die Stadt Bern ihre Zwischenziele 2025 bereits übertroffen. Dazu fehlen uns aber aktuell die übergeordneten Grundlagen. Diese brauchen wir, um auf städtischer Ebene effizienten Klimaschutz machen zu können.

Gerade jetzt wären zudem die Voraussetzungen für Investitionen dank dem rekordtiefen Zins optimal. Grossprojekte werden jedoch durch die Rechtsunsicherheit gelähmt.

Ein Mangel an Planungssicherheit?

Seit Jahren redet man davon, dass es eine Marktöffnung im Bereich Strom geben könnte oder davon, dass es ein Stromabkommen mit Europa brauche. Das alles ist aber in der Schwebe und dieser Zustand wiederum blockiert uns.

Letzten Samstag war nationale Klimademo in Bern, es nahmen mehrere zehntausend Menschen teil. Was haben sie am Samstag gemacht? 

Ich hatte am Vorabend frei und fuhr im Verlauf des Samstagnachmittags von Baden nach Bern.

Wie stehen Sie zu den Anliegen der Klimaaktivist*innen?

Ich habe ein gespaltenes Verhältnis. Wenn ich lese, dass die CO2 Emissionen bis 2050 auf netto null reduziert werden sollen, finde ich das zwar erstrebenswert, frage mich aber gleichzeitig, ob diesen Personen bewusst ist, was das konkret bedeutet.

Ausserdem glaube ich nicht, dass uns krasse Forderungen wie Fahr- oder Flugverbote weiterbrächten. Sie würden lediglich dazu führen, dass der Schwung der Klimabewegung relativ schnell ein abruptes Ende nähme. Mehrheiten erreichen wir nicht mit Verboten, sondern indem wir Rahmenbedingungen schaffen, die technologischen Fortschritt fördern und beschleunigen.

Im Vorfeld der Wahlen wurde über einen möglichen Linksrutsch spekuliert. Was wünschen Sie sich für ein Zeichen der Wahlberechtigten am 20. Oktober?

In den letzten 25 Jahren ist das politische Zentrum auf Kosten der beiden Pole massiv geschrumpft. Ich erhoffe mir, dass sich diese Entwicklung wieder umkehrt und dadurch politische Grabenkämpfe und Blockaden aufhören. Wir waren in der Vergangenheit schon einmal pragmatischer unterwegs – dank der Mitteparteien.