Armin Petras, Sie sagen von sich, dass Sie ein Regisseur sind, der sich auf den Ort einlässt, an dem er ein Stück inszeniert. Was macht Bern mit Ihnen?
Die Gelassenheit dieser Stadt verblüfft und beruhigt mich. Ich war diesen Sommer unterwegs zu den Proben oft in der Aare baden. Wo sonst auf der Welt gibt es zurzeit noch einen vollen Fluss?
Waren Sie auch im Emmental, wo Gotthelfs Spinne ihr Unwesen trieb?
Unbedingt. Die Inszenierung soll möglichst authentisch sein, nah am Lebensgefühl und den damaligen Umständen. Zusammen mit dem Ensemble versuchte ich mich über den Text in die Zeit hineinzudenken. Wir besuchten gemeinsam Sumiswald und auch das Freilichtmuseum Ballenberg. Mir kamen fast die Tränen, als ich diese Anbindung an eine vergangene Lebensweise sah.
Jetzt romantisieren Sie aber.
Ich sage nur, was ich als Fremder wahrnehme. Ich bin von Berufs wegen ein fahrender Geselle und war schon fast überall auf der Welt, traue mir ein Rating von Ländern also durchaus zu. In der Schweiz spüre ich noch diese Verbindung zu Traditionen. Nicht so in Deutschland. Da wurde die von zwei Weltkriegen und der Teilung zerschlagen.
Ich glaube, es geht Gotthelf letztendlich um die Angst, die Leute umtreibt und sie zum Bösen wenden kann.
Sie sind bekannt dafür, Stücke stark zu überarbeiten und in die gesellschaftliche Gegenwart zu versetzen. Nun aber bleiben Sie im Emmental, wie es Gotthelf kannte?
Ich glaube, je älter ich werde, desto konservativer werde ich. Mich interessiert immer mehr, Stoffe getreu wiederzugeben. Gerade habe ich eine wochenlange, intensive und intime Auseinandersetzung mit dem literarischen Material hinter mir, dabei bin ich auch nah an den Autoren herangerückt.
Was erkennen Sie in ihm?
Ich glaube, es geht Gotthelf letztendlich um die Angst, die Leute umtreibt und sie zum Bösen wenden kann. Mich interessiert die Ambivalenz, die er dabei beschreibt: Das Böse ist nicht nur aussen. Der Teufel ergreift Besitz von Christine. Er geht ihr unter die Haut. Doch er lebt auch in der Gemeinschaft. Die ist ja ebenso bereit, ein Neugeborenes zu opfern. Immer wieder. Die Spinne ist nie weg, sie ist einfach mit einem Bolzen gebannt.
Gotthelf war Pfarrer, als Schriftsteller Moralist. Haben Sie Ähnlichkeiten mit ihm?
Vielleicht bin ich moralischer als ich annehme. Neulich erhielt ich den Ludwig-Mühlheimer-Preis für «Love You, Dragonfly», das ich unter meinem Autoren-Alter Ego Fritz Kater schrieb. Das Stück trug den Untertitel «Sechs Versuche zur Sprache des Glaubens» und wurde auch von katholischer Seite gewürdigt. Was mich allerdings nicht interessiert, ist Ideologie im Sinn einer radikalen Unterscheidung von richtig oder falsch.
Hat das biografische Gründe? Sie wuchsen in Ostberlin auf und schrieben während des Wehrdienstes pazifistische Stücke.
Ich war im Militärgefängnis. Für einen Menschen meiner Generation, der in Europa aufwuchs, habe ich einiges an Ideologie mitbekommen. Ich weiss also, wovor ich mich hüte. Jede politische Bewegung, jede noch so gut intendierte Haltung hat in sich das Moment, in Gewalt umzuschlagen. Um Ideologie mache ich als Theatermacher bei der Stückwahl einen Bogen. Das ist meistens auch sehr langweilig, weil es der Erzählung schadet. Ich mag Autoren, die Ambivalenzen aufzeigen. Dazu gehört Gotthelf. Und übrigens auch Dürrenmatt.
Eigentlich sollte jeder Mensch alle zwei Monate den Wohnort wechseln und sehen, wie es sich anfühlt, in Brasilien oder in Lagos oder Manila zu leben.
Sie inszenieren «Die Schwarze Spinne» als Deutscher. Die kommen allesamt nicht gut weg im Stück: Der deutsche Ritter Hans von Stoffel, die Lindauerin Christine und die «Auswärtige» bedrohen die Dorfgemeinschaft. Was machen Sie damit?
Die Fremdenfeindlichkeit spare ich nicht aus, im Gegenteil. Aber eigentlich sind die Fremden nicht nur unsympathisch. Sie sind auch mutiger. Man könnte sagen: Hätten sich die Männer im Dorf gegen den Landvogt gewehrt, wäre Christine nie den Pakt mit dem Teufel eingegangen. Das sagt auch viel über die Zurückhaltung der Einheimischen aus. Die Fremden bringen Dinge ins Rollen.
Wenn wir dabei sind: Was würden Sie in der Schweiz ins Rollen bringen?
Naja, wenn Sie mich das so fragen: Ich beobachte da schon ein gewisses Festhalten am Eigenen. Überall gibt es diese Parkplatzsignete «Privat» oder «Gratis». Diese Grundunterscheidung fällt mir auf, wenn ich hier durch die Strassen gehe. Oder ein anderes Beispiel: Ich bin im Lorrainequartier untergebracht und habe noch nie so eine Dichte an Anti-Frontex-Flaggen gesehen, und gleichzeitig betreibt die Schweiz eine krasse Ausgrenzungs-politik. Aber im Grunde ist diese Schizophrenie überall im Westen präsent. Uns Linksliberalen, zu denen ich mich und mein Theaterpublikum zähle, sollte die zu denken geben. Eigentlich sollte jeder Mensch alle zwei Monate den Wohnort wechseln und sehen, wie es sich anfühlt, in Brasilien oder in Lagos oder Manila zu leben. Ich weiss, das ist nicht realistisch, und herrje, fliegen sollte man heutzutage auch nicht so viel. Aber ich bin ja Theatermacher, nicht Politiker. Da kann ich fabulieren.
Das tat auch Gotthelf. Er war ein sehr lustvoller Erzähler und liebte neben dem Schauerhaften das Witzige. Gibt es auch in ihrem Stück Komik?
Unbedingt – «Die Schwarze Spinne» ohne Lacher zu erzählen geht gar nicht. Gotthelfs Porträt der Taufgesellschaft zu Beginn der Geschichte: herrlich. Die versetzen wir in unserer Inszenierung als einzige Szene in die Gegenwart. Wir zeigten diese Taufpassage als öffentliche Probe neulich am grossen Theaterfest. Beim Publikum sorgte das für grosse Erheiterung.
Sie gelten als Regisseur, der sein Publikum gerne provoziert. Werden Sie das auch in Bern tun?
Ich würde es herausfordern nennen. Es gibt im Stück einen Epilog, der aus einem Monolog von Fritz Kater, also meinem Alter Ego, und einem frühen Kurztext von Friedrich Dürrenmatt besteht. Da bin ich gespannt, wie das Publikum bei der Premiere darauf reagiert.
Sind Sie dann überhaupt hier? Zeitgleich zu Bern findet in ihrem Haustheater in Cottbus die Uraufführung Ihres Stücks «Im Berg» statt.
Haustheater ist Haustheater, aber Abmachung ist auch Abmachung. Ich werde hier sein.