Die Schweiz und ihre verbotenen Kinder

von Willi Egloff 14. März 2023

Ein neuer Dokumentarfilm von Jörg Huwyler und Beat Bieri befasst sich mit dem Schicksal der «verbotenen Kinder», Kindern von Saisonniers, die aufgrund der Schweizer Ausländerpolitik von ihren Eltern getrennt aufwachsen mussten. Er ist für kurze Zeit im Kino Rex zu sehen.

Schon 1992 hatten Marina Frigerio und Simone Burgherr unter dem Titel «Versteckte Kinder» anonymisierte Gespräche mit Saisonnierskindern, die im Verborgenen in der Schweiz lebten, und ihren Eltern veröffentlicht. Sie hatten dabei vorgerechnet, dass es allein im Jahr 1990 rund 140’000 Kinder geben musste, deren Eltern als Saisonniers in der Schweiz arbeiteten. Da die Schweizer Ausländerpolitik die Anwesenheit dieser Kinder nicht erlaubte, gab es für sie nur zwei Alternativen: Entweder sie wuchsen getrennt von ihren Eltern im Heimatland auf, bei Verwandten oder in Heimen, oder aber sie lebten versteckt in der Schweiz.

Von «Schrankkindern» und «Eidechsenkindern»

Nach aktuellen Schätzungen müssen es einige Zehntausende gewesen sein, die über kürzere oder längere Zeit als sogenannte «Schrankkinder» in der Schweiz gelebt hatten. Mit seinem 2018 erschienenen Roman «Das Eidechsenkind» hat Vincenzo Todisco ihnen ein erschütterndes literarisches Denkmal gesetzt. Nun greifen Jörg Huwyler und Beat Bieri das Thema mit dem Dokumentarfilm «Im Land der verbotenen Kinder» erneut auf. Vier betroffene Personen schildern ihre schlimmen Erfahrungen und insbesondere auch ihre ständige Angst vor Verrat und Ausschaffung. Personen aus ihrem Umfeld und Fachleute ordnen die Ereignisse ein und erläutern die langfristigen Folgen dieser unmenschlichen Politik.

Einige Zehntausend Kinder mussten sich in der Schweiz verstecken.

Es ist kein Ruhmesblatt für die Schweiz, das Huwyler und Bieri zeichnen. Die herabwürdigende Art, wie diese Menschen von den Behörden behandelt wurden, die miserablen Unterkünfte, in denen sie wohnen mussten, die Rechtlosigkeit, in welcher sie gehalten wurden, lassen uns auch heute noch fassungslos zurück. Wer diese dokumentarischen Bilder gesehen hat, wird sofort verstehen, weshalb ein von Betroffenen gegründeter Verein heute eine offizielle Entschuldigung für das erlittene Leid verlangt.

Der Film klagt aber nicht nur an, sondern zeigt auch positive Seiten: Den Stolz dieser Menschen, welche die Schweiz der Nachkriegsjahre gebaut und ihre Wirtschaft zum Brummen gebracht haben. Den hartnäckigen Kampf, den insbesondere Gewerkschaften für die rechtliche Besserstellung der Saisonniers geführt haben. Arbeitgeber*innen, die sich für ihre Beschäftigten und deren Angehörige eingesetzt haben. Und doch bleibt die beklemmende Erkenntnis, dass die Schweiz ihre menschenfeindliche Politik nicht freiwillig, sondern nur aufgrund massiven internationalen Drucks aufgegeben hat.

Filmszene: Saisonniers kommen in der Schweiz an. (Filmstill: zvg)

Kein abgeschlossenes Kapitel

Zwar gibt es in der Schweiz kein Saisonnierstatut mehr, das die Trennung der Kinder von ihren Eltern gesetzlich erlaubt. Die Schweiz hält aber bis heute an der Möglichkeit fest, diese Regelung für gewisse Gruppen von Ausländer*innen wieder einzuführen. Sie hat nach langem Zögern zwar die 1989 abgeschlossene UNO-Kinderrechts-Konvention unterzeichnet, ihren Beitritt aber mit einem entsprechenden Vorbehalt verbunden, an dem sie bis heute festhält.

Die Schweiz hält bis heute an der Möglichkeit fest, das Saisonnierstatut für gewisse Gruppen von Ausländer*innen wieder einzuführen

Das dunkle Kapitel der Schweizer Ausländerpolitik, welches im Film dargestellt wird, ist daher noch keineswegs abgeschlossen. Das illustrieren die Autoren gegen Schluss des Films mit aktuellen Bildern aus Lampedusa, die minderjährige Flüchtlinge aus Afrika und Asien zeigen, welche die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer überlebt haben. Sie hätten auch Bilder aus Rückkehrzentren im Kanton Bern zeigen können. Auch dort verletzen die Schweiz und insbesondere der Kanton Bern nach wie vor elementarste Kinderrechte (Journal B berichtete mehrmals). Umso wertvoller ist es, dass Jörg Huwyler und Beat Bieri mit ihrem Film dem schweizerischen Publikum diese Realitäten «im Land der verbotenen Kinder» vor Augen führen.