Die Saurier sind los

von Janine Schneider 14. August 2023

Strassenkunst Seit einigen Jahren ist die Gruppe Close-Act am Buskers mit dabei. Was hinter den grossen Sauriern steckt und wie es ist, die Welt von oben zu betrachten.

Zwei Kisten braucht es, um einen Saurier zu transportieren. Krallen, Schwanz und Kopf werden getrennt gelagert, ein Saurier in Einzelteilen. Noch ist er nicht mehr als tote Materie, nur roter Stoff, Metall und Holz. Bis zu 30 Kilo schwer ist so ein Saurier, made in the Netherlands, in der Atelierwerkstatt der Kompanie und dann in Kisten an Strassenfestivals auf der ganzen Welt transportiert, so auch ans Buskers Festival.

Anne kommt aus Zürich ist und während eines Austauschjahres in den Niederlanden auf die Kompanie gestossen (Bild: Lucy Schön).
Eefje hat klassischen Tanz studiert und ist seit 23 Jahren bei Close Act dabei (Bild: Lucy Schön).

Sechs solcher Kisten stehen heute am Donnerstag, dem ersten Tag des Festivals, im Laubengang der Junkerngasse, und zunächst haben die Passant*innen noch keine Ahnung, welche Ungetüme in den Kisten stecken. Zwei Stunden später sind Rumpf und Hals schon auf die Kisten montiert, drei Saurier sollen es heute werden, und die Passant*innen bleiben immer öfters stehen, schauen den vier Performer*innen zu, wie sie die Köpfe hervorholen, einen nach dem anderen und auf die Stange des Halses schieben.  Das ist der erste magische Moment. In diesem Moment, wenn sich der Kopf des Sauriers in die Luft hebt, wird er zu einem lebendigen Wesen.

Vor der Show machen sich die Künstler*innen sorgfältig bereit – der Ablauf ist komplett durchgeplant (Bild: Lucy Schön).

Der zweite magische Moment wird heute Abend mehrmals stattfinden. Wenn drei der Performer*innen die hohen Stelzen anziehen, ins Saurierkostüm schlüpfen und sich zusammen erheben. Plötzlich stehen drei fünf Meter hohe Urzeitriesen in der Junkerngasse. Da hätte es jeden Junker umgehauen. Die Hunde bellen, die Kinder halten die Hände ihrer Eltern ein bisschen fester und auch die Eltern können sich einer gewissen Ehrfurcht nicht erwehren. «Eindrücklich», «unglaublich» ertönen die Rufe von überall, als sich die drei Saurier, die Krallen brav bei sich wie ein Hund, der Männchen macht, durch die kopfsteinbesetzten Pflaster der Berner Altstadt bewegen, scheinbar nur gebändigt von einer ebenfalls auf Stelzen laufenden Dompteuse.

Nahe am Publikum

Solche Reaktionen sind sich Jurriaan, Eefje, Anna und Nynke gewohnt. Trotzdem mögen sie das Publikum in Bern speziell gerne. «Die Leute sind sehr höflich in der Schweiz», findet Eefje, die heute als Dompteuse unterwegs ist, «Und es ist immer großartig, an Theaterfestivals aufzutreten. Das Publikum ist für Produktionen wie unsere hier.» Eefje hat klassischen Tanz studiert, sich aber nie richtig wohl gefühlt in der Tanzszene. Dann hat sie Close-Act entdeckt und damit ihren Platz in der Welt. «Nun bin ich schon seit 23 Jahren dabei.»

Die Kisten sind für die Künstler*innen, damit sie in die Saurier-Kostüme reinkommen (Bild: Lucy Schön).

Close-Act Theatre heisst die Kompanie, die sich darauf spezialisiert hat, verschiedenste Strassenspektakel zu inszenieren – nah an den Menschen, nah am Publikum, so die Devise. Sie würden eine Welt erschaffen, in der die Interaktion mit den Menschen der Schlüssel sei, heisst es auf der Website. Verglichen mit anderen Arten von Strassenkunst ist die Interaktion mit dem Publikum aber zumindest beim Saurier-Spektakel darauf beschränkt, das Publikum in Staunen zu versetzen.

Die Kompanie aus den Niederlanden hat 1991 klein angefangen, gegründet von zwei Freundinnen. Mittlerweile ist sie ziemlich gross geworden, grösser als es sich das Busker Publikum so von Strassenkunst denken würde. Der Terminplan ist dicht. Im Sommer treten jeden Tag Leute von Close-Act irgendwo auf der Welt auf, auch gleichzeitig. 50 Mitarbeitende und Performer*innen beschäftigt die Kompanie. Einige der Spektakel sind denn auch um vieles grösser als die drei Saurier mit ihrer Dompteuse und wohl eher vergleichbar mit Spektakeln wie «Karls Kühne Gassenschau».

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Trotzdem fühle es sich an wie eine Familie, erklärt Jurriaan, der auch schon seit zehn Jahren dabei ist. Der 34-jährige hat Kleinkunst studiert und ist über ein Casting ins Team von Close-Act gekommen. «Man ist 24 Stunden zusammen unterwegs, da lernt man sich sehr gut kennen.»

Stelzenlaufen will gelernt sein

Drei Sets spielt die Gruppe am Donnerstagabend am Buskers. Jede Aufführung beenden sie an ihrem Standort in der Junkerngasse. Ein Teil des Publikums ist ihnen gefolgt und schaut nun erstaunt zu, wie drei nassgeschwitzte Menschen aus den Sauriern auftauchen. «Das gefällt mir so: Obwohl die Leute rational wissen, dass unter den Sauriern Menschen stecken, werden sie von der Illusion getäuscht», erklärt Jurriaan und wirft das verschwitzte Hemd gleich als Ganzes in den Brunnen. Stelzenlaufen ist anstrengend und in den Kostümen ist es heiss. Die Mitglieder sind alle durchtrainiert, viele kommen aus dem Tanz. Das heisst aber nicht, dass es ihnen unbedingt einfacher gefallen wäre, Stelzenlaufen zu lernen. «Es ist sehr unterschiedlich, wie lange man braucht, um Stelzen zu laufen», meint Anne, die aus Zürich ist und während eines Austauschjahres in den Niederlanden auf die Kompanie gestossen ist. Manche könnten es von Anfang an, andere bräuchten Wochen oder Monate.

Drei fünf Meter hohen Urzeitriesen und ihre Anführerin machen die Junkerngasse unsicher (Bild: Lucy Schön).

«Ich hatte anfangs vor allem Angst, zu fallen», so Anne. Aber das komme dann letzten Endes doch recht selten vor. «In meinen zehn Jahren Stelzenlaufen bin ich zwei Mal gefallen», meint Jurriaan. Am heikelsten sei rutschiger Boden. Oder auch wenn jemand aus dem Publikum einem plötzlich sehr rau anfasse. Dann versuche man, zuerst einmal richtig zu fallen. Und, wenn nichts verletzt wurde, wieder aufzustehen.

Ein magischer Moment für Gross und Klein (Bild: Lucy Schön).
Mit Stelzen auf dem kopfsteinbesetzten Pflaster der Berner Altstadt unterwegs: Die drei roten Saurier (Bild: Lucy Schön)

Bald schon bricht die Gruppe zur dritten und letzten Aufführung auf. Jetzt ist es schon dunkel, die Lichter in den Kostümen werden nun eingeschaltet. Zusammen mit der mystischen Musik ist der Zauber perfekt. Auf das Zeichen von Eefje erheben sich die drei Stelzenläufer mit ihren übergrossen Reptilienkörpern. Die Saurier sind wieder los.

Im Dunkeln leuchten die Kostüme auf (Bild: Lucy Schön).