Die prekäre Kunst der befristeten Freiheit

von Fredi Lerch 6. Mai 2015

«Café public» III, diesmal zum Thema «Wir machen Stadt!» AktivistInnen aus Zwischennutzungsprojekten in Luzern, Basel und Bern diskutierten darüber, wie man leerstehende Räume bespielt, gebraucht, sich auf Zeit aneignet.

Natürlich ist Kunst im öffentlichen Raum nicht nur Kunst am Bau – aber doch oft Kunst am Bau der herrschenden Verhältnisse. Wer dagegen uneingeladen leerstehende Räume und Brachen zum Gestaltungsraum wählt, macht schnell intime Bekanntschaft mit der normativen Kraft des Faktischen. Den kreativen Impuls der ersten Idee überzieht dann schnell die Patina der Realpolitik.

Wie nutzen heute aktive Gruppierungen öffentliche Freiräume konkret? Das war die Ausgangsfrage der Kunstwissenschafterin Rachel Mader, die das dritte «Café public» im Haus des Schosshalden-Ostring-Murifeld-Leists am Egelsee moderierte.

Sechs Variationen zur Praxis von Zwischennutzungen

• Mario Stübi aus Luzern stellt das Projekt Neubad vor. Dabei geht es um die Zwischennutzung eines ehemaligen Hallenbades bis mindestens 2017. Kunst- und  Kulturschaffende haben sich dort zu einem Verein zusammengeschlossen und einen Freiraum aufgebaut, der aus einem Veranstaltungsort mit Restaurant, aus temporären Arbeitsplätzen, Ateliers und einem Urban gardening-Projekt besteht. Das Angebot sei, so Stübi, ein Publikumserfolg, allerdings kämpfe der Verein mit finanziellen Problemen, die dank einer gut besuchten Beiz halbwegs unter Kontrolle seien.

Das Berner Kollektiv RAST schafft, so Julia Geiser, seit drei Jahren mit Zwischennutzungen Kulturplattformen, die die RAST-Homepage so umschreibt: «Möglichst mobil sollte alles sein, um überall schnell hin und wieder weg zu können.» Bis heute habe RAST, so Geister, keinen festen Ort: «Wir sind nomadisch unterwegs von Zwischennutzung zu Zwischennutzung. Es geht um ein erforschendes Spiel mit der Stadt» – selbstbestimmt nach dem Lustprinzip, denn «wenn man kein Geld hat, braucht es vor allem die Leidenschaft».

• Seit Dezember 2011 experimentiert in Bern das Kunstprojekt transform interdisziplinär mit verschiedenen Räumen. Einmal pro Jahr arbeiten für einige Wochen Kulturschaffende aus Kunst, Musik, Theater und Performance zusammen. Weniger als um Zwischennutzungen gehe es um die intensive Projektphase unter immer neuen Rahmenbedingungen. Franz Krähenbühl: «Die Grundidee ist weniger eine Ausstellung im klassischen Sinn als der Versuch, einen Ort zu dynamisieren, das heisst: jeweils mit dem Ort und mit den Leuten, die dort sind, zu arbeiten.»

• Die Biologin Sabine Tschäppeler, heute Leiterin der Fachstelle Natur und Ökologie der Stadt Bern, erzählt von der Zwischennutzung einer Brache im Weissenstein-Quartier um 2005: «Dort habe ich gelernt, wie viel Freude solche Räume bieten – auch dadurch, dass sie nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung stehen: Wer den Raum nutzen will, muss das jetzt tun.» Jenes Projekt stand am Anfang des Buches «brachland» [1]. Unterdessen leitet Tschäppeler im Rahmen der Zwischennutzung Wyssloch das Projekt «Wildwechsel – Stadtnatur für alle», das in nächster Zeit nachhaltige Initiativen aus dem Quartier fördern will.

Manfred Leibundgut ist der Präsident des seit Ende November 2014 bestehenden Vereins «Alte Feuerwehr Viktoria». Dahinter steht der Dialog Nordquartier, der der Stadt Bern mittels Eigeninitiative die Zwischennutzung der alten Feuerwehrkaserne abgetrotzt hat. Der Verein plant, in guter Nachbarschaft mit einem ebenfalls vorgesehenen Asylbewerberzentrum das Erd- und das Untergeschoss des Gebäudes bis Januar 2019 auf 2600 Quadratmetern in fünfzig Räumen mit knapp zwanzig Projekten aus den Bereichen soziale Netzwerke/Quartierarbeit, Jungunternehmen, Gastronomie, Sport, Kunst & Handwerk sowie Urban Gardening zu bespielen.

• Seit acht Jahren gibt es unter dem Namen «bblackboxx» an der Grenze zu Deutschland und in Nachbarschaft zum Empfangs- und Verfahrenszentrum und zum Ausschaffungsgefängnis Basel einen «antirassistischen Kunstraum für alle, die sich zum Thema austauschen wollen», so Almut Rembges-Dhraif. Entwickelt habe er sich am Rand eines Parks rund um einen leerstehenden Kiosk, der als Atelier dient. bblackboxx sei auch eine zivilgesellschaftliche Beobachtungsstation «als Gegenüberwachung eines modernen Konzentrationslagers». Die Leute verstünden sich nicht als ein Kollektiv, sondern als Teil der Park-Community, die sich laufend verändere.

Kreativität mit oder ohne staatliche Bewilligung?

Spannend an diesem Café public war, dass hier VertreterInnen aus sechs Projekten zusammen diskutierten, die zwar Gleiches tun – nämlich vorübergehend leerstehenden Raum zwischenzunutzen –, jedoch in verschiedenen Sprachen darüber sprachen.

Die einen redeten in der Logik freischaffender Sozialarbeit und stellten sich in den Dienst von partizipativen und vernetzenden Quartieraktivitäten. Die anderen redeten in einer subkulturell-künstlerischen Logik, die die ästhetische (Selbst-)inszenierung fokussierte. Die grundsätzliche Differenz zwischen diesen beiden Diskursen: Der eine redet «von oben», will Wirklichkeit politikabel machen und das Mögliche «für die Menschen» tun. Der andere redet «von unten», will Wirklichkeit gegen den Kontrollaspekt jeder politischen Logik verteidigen und das Mögliche gemeinsam «mit den Menschen» tun.

Dass die Öffentlichkeit von Zwischennutzungen gleichzeitig profitieren und sie verhindern möchte, sagte Rachel Mader so: «Einerseits beobachte ich ein grosses Wohlwollen gegenüber Zwischennutzungen, weil der Nutzen des Experimentierfeldes für mögliche Innovationen oder der Imagegewinn für das Gemeinwesen anerkennt wird. Andererseits scheiterten aber in letzter Zeit in verschiedenen Städten politische Vorstösse, zugunsten von Zwischennutzungen hinderliche Reglementierungen abzuschaffen.»

Dass damit auch die Berner Öffentlichkeit angesprochen ist, bestätigte die anwesende SP-Stadträtin Lena Sorg: Zwischennutzungen müssten sich natürlich schon innerhalb der gesetzlichen Vorgaben bewegen. «Zum Beispiel das Bau- oder das Gastgewerbegesetz verlangen schnell einmal Bewilligungen.» Politik könne die Vielfalt fördern, die Schwelle für Bewilligungen möglichst tief halten und jeden Einzelfall wohlwollend prüfen.

Die radikale Gegenposition zur politischen Logik formulierte Almut Rembges-Dhraif: «Ich würde nie für etwas, das ich tun will, eine Bewilligung erfragen. Der Polizist in unseren Köpfen ist viel zu gross. Ich plädiere für weniger Selbstkontrolle und empfehle: Bleibt vage, lasst euch nicht greifbar machen.»

Dagegen klang Sorg dann wie eine abgebrühte Realpolitikerin, als sie der Kreativität im öffentlichen Raum ihren Platz so zuwies: «Sicher ist die befristete künstlerische Entfaltung einfacher möglich als zum Beispiel gastgewerbliche Zwischennutzung.» Verallgemeinernd wird man sagen dürfen: Für die Darbietung von kreativen Pausenclowns hat die linksliberale Öffentlichkeit allemal mehr Verständnis als für Leute, die ungefragt im Ernst etwas tun wollen. An diesem Punkt stösst Kunst im öffentlichen Raum als soziale Intervention an ihre Grenze.