«Die Polizisten haben uns sogleich verhaftet»

von Naomi Jones 21. Januar 2016

Lara Müller war 16, als sie Ende 2014 bei einer Aktion gegen die Miss-Schweiz-Wahlen verhaftet wurde. Die Klage gegen das Vorgehen der Polizei blieb ohne Folgen: «Die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht wirklich gegen die Polizei», sagt Lara dazu.

Im Oktober 2014 wurde eine kleine Gruppe von Leuten verhaftet, weil sie gegen die Miss-Schweiz-Wahl auf dem Bundesplatz demonstrierte. Der Polizeieinsatz wurde von den Medien stark kritisiert und sogar im Stadtparlament diskutiert. Journal B sprach nun mit Lara Müller (Name geändert), einer jungen Kundgebungsteilnehmerin und fragt, wie sie damals die Verhaftung und die nachfolgenden Ereignisse erlebt hat. (Siehe auch den Kommentar von Willi Egloff.)

Frau Müller, im November wurde via Crowdfunding Geld für die Bussen der Demonstranten und Demonstrantinnen an der Miss Schweiz Wahl 2014 gesammelt. Kam das benötigte Geld zusammen?

Ja, wir konnten damit alle Bussen und Verfahrenskosten bezahlen.

Bitte schildern Sie mir den Abend vom 11. Oktober 2014. Wo waren Sie, was haben Sie getan?

Einige junge Leute haben sich getroffen, um etwas gegen Sexismus zu tun. In kleinen Gruppen sind wir zum Bundesplatz gegangen. Aber die Gruppe, mit der ich zog, verzettelte sich und ich ging mit einer Kollegin auf den Bundesplatz. Er war voller Menschen. Also suchten wir unsere Kollegen und Kolleginnen. Schliesslich fanden wir wieder etwa 14 weitere Kundgebungsteilnehmende. Zusammen waren wir nun 16. Einer begann, Parolen gegen Sexismus zu rufen und wir andern stimmten ein. Sofort kam eine Handvoll Polizisten. Wir setzten uns auf den Boden und bildeten eine menschliche Kette. Die Polizisten befahlen uns mitzukommen und drohten, sonst täte es weh.

Die Polizei wirft Ihnen und Ihren Mitdemonstranten vor, Sie wären der Aufforderung zu gehen, nicht nachgefolgt.

Sie haben uns gar nicht aufgefordert zu gehen. Wir wurden nicht weggewiesen. Sie haben uns sogleich verhaftet. Später, als wir dies bei der Untersuchung gegen die Polizei sagten, wurde uns nicht geglaubt, weil wir diesbezüglich alle dasselbe sagten. Die Staatsanwaltschaft warf uns vor, wir hätten uns abgesprochen.

Die Polizei wirft Ihnen auch vor, Sie seien so militant aufgetreten, dass Familien mit weinenden Kindern flüchteten.

Wir haben unsere Parolen gerufen. Aber wir wurden von den Leuten auf dem Bundesplatz kaum wahrgenommen. Wir waren im Verhältnis zu den Zuschauern nur eine sehr kleine Gruppe. Die Polizei hat die Situation im Nachhinein dramatischer geschildert, als sie war, um ihren unverhältnismässigen Einsatz zu legitimieren. Die Polizisten begannen nämlich sogleich, gewaltsam einzelne aus unserer Menschenkette zu lösen.

Was haben Sie dann getan?

Ich bin aufgestanden und freiwillig mit einem Polizisten mitgegangen. Widerstand war sinnlos. Wir wurden ins Käfiggässlein gebracht und mussten uns mit hochgestreckten Armen gegen die Wand stellen. Dann fesselten die Polizisten unsere Arme mit Kabelbindern auf den Rücken. Schliesslich durften wir uns auf den Boden setzen und warten bis uns die Polizei mit einem Kleinbus abführte. Darin war es sehr eng. Denn wir waren 16 Gefangene und 3 Polizisten im gleichen Auto – wer weiss, ob das legal war. Auf der Polizeistation Waisenhaus wurden wir einzeln ins Haus geführt. Ich ging als erste mit, weil ich hoffte, dass ich dadurch früher wieder frei käme.

Drinnen wurden meine Fesseln gelöst und man band mir mit einem Kabelbinder eine Nummer ans Handgelenk. Dann wurde ich fotografiert. Das war wie im Film, wenn Schwerverbrecher fotografiert werden. Anschliessend wurde ich von einer Polizistin in einen Raum, er war als Aussackungsraum angeschrieben, geführt. Sie kontrollierte meine Identitätskarte und die Gegenstände, die ich bei mir hatte. Spätestens hier hätte sie merken müssen, dass ich minderjährig war, und dass sie meine Eltern anrufen sollte.

Sie hat Ihre Eltern aber nicht angerufen?

Nein, das wurde erst getan, als ich frei gelassen wurde. Stattdessen musste ich mich nackt ausziehen und die Polizistin kontrollierte meine Kleider. Danach konnte ich mich wieder ankleiden. Die Polizistin führte mich in eine kleine Zelle. Nach und nach wurden vier meiner Kolleginnen in die Zelle gebracht. Die ganze Prozedur dauerte vier Stunden. Um ein Uhr nachts wurde ich frei gelassen.

Was haben Sie dann getan?

Draussen warteten Freunde auf uns. Ich redete eine Weile mit ihnen und ging dann heim.

Darauf haben Sie eine Aufforderung zur DNA-Entnahme erhalten?

Nein, das betraf nur die volljährigen Demonstrantinnen und Demonstranten. Ich war damals 16 Jahre alt und wurde nicht zur DNA-Probe vorgeladen. Doch ich bin wegen Hinderung einer Amtshandlung angezeigt worden.

Sie haben aber gesagt, Sie hätten sich freiwillig aus der Menschenkette gelöst?

Mir wurde vorgeworfen, dass ich es nicht sogleich getan habe.

Wie haben Sie während der Verhaftung gefühlt, hatten Sie Angst?

Nein, Angst hatte ich nicht. Aber ich fühlte mich ausgeliefert und blossgestellt.

Wie haben sich die Polizisten Ihnen gegenüber auf der Polizeiwache verhalten?

Sie waren distanziert aber korrekt. Hingegen wurden Freunde, die passiven Widerstand leisteten, hart angepackt und trugen zum Teil Verletzungen davon.

Die Staatsanwaltschaft hat eine Untersuchung gegen die Polizei durchgeführt. Wurden Sie im Rahmen dieser befragt?

Ja. Ich wurde als Zeugin befragt, auch weil ich Privatklägerin war. Ich hatte mit meinen Eltern gegen die Unverhältnismässigkeit des Polizeieinsatzes geklagt. Doch wurde nur gegen die Polizisten und Polizistinnen, die mich kontrolliert hatten, ermittelt. Die Unverhältnismässigkeit des Einsatzes war kein Thema. Bei der Befragung merkte ich schnell, dass der Staatsanwalt auf der Seite der Polizei war und den Einsatz nicht wirklich untersuchte.

Warum?

Er stellte mir Fragen, die nicht in direktem Zusammenhang mit dem Verhalten der angeklagten Polizistin standen. Er befragte mich zum ganzen Geschehen. Auch meine Kollegen waren als Zeugen geladen. Doch glaubte uns der Staatsanwalt nicht, weil wir die Geschehnisse ähnlich schilderten, insbesondere weil wir alle der Aussage der Polizisten widersprachen, sie hätten uns vor der Verhaftung vom Bundesplatz weggewiesen. Uns wurde vorgeworfen, wir hätten uns abgesprochen.

Wie ging es weiter?

Als nächstes kam die Mitteilung, dass die Untersuchung gegen die Polizistin eingestellt sei, weil es zu wenig Beweise gebe. Ich hätte dagegen eine Beschwerde einlegen können. Doch wie die Erfahrung bei der Befragung zeigte, hätte ich damit wohl kaum etwas erreichen können.

Was bleibt für Sie persönlich von der Geschichte übrig?

Man kann wenig tun, wenn die Polizei unverhältnismässig handelt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht wirklich gegen die Polizei. Ich hätte weder den Polizeieinsatz an der Demonstration, noch was danach folgte, erwartet. Doch ich will mich davon nicht einschüchtern lassen. Wenn ich für etwas einstehen will, das ich richtig finde, dann tue ich es, auch wenn die Aktion nicht bewilligt ist.