Die nach den Luchsen linst

von Rita Jost 14. August 2023

Bern to be Wild Eine Hobby-Wildtierbeobachterin verfolgt Luchsspuren rund um Bern und führt Städter*innen in die Natur. Zum Fährtenlesen und Duftmarkenschnuppern.

Marianne Bürki ist Lehrerin am Berner Freigymer. Dort unterrichtet sie Sechstklässler*innen einer bilingualen Klasse. Aber die Stadtbernerin ist vor allem auch eine begeisterte Wildtierbeobachterin, die Fotofallen aufstellt und Exkursionen anbietet.

Wir sitzen auf einer Bank in einer Parkanlage mitten in der Stadt. Die 48-jährige Bernerin hat mir soeben auf ihrem Handy die App gezeigt, die ihr Bilder ihrer vierzehn Wildtierkameras übermittelt. Und zwar immer dann, wenn sich vor den Kameras etwas bewegt. Plötzlich hält sie inne: «Da riecht‘s nach Fuchs!» sagt sie und blickt um sich. Ich rieche nichts. Aber Marianne Bürki ist überzeugt, dass da ganz in der Nähe unter den Bäumen in den letzten Tagen ein Fuchs markiert hat. Sie rieche es. «Füchse hinterlassen eine ziemlich strenge Duftspur,» erklärt sie, «der Luchs allerdings riecht noch viel intensiver und wilder, vor allem in der Brunstzeit zwischen Februar und April.»

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Marianne Bürki ist nicht etwa Biologin. Sie hat sich ihr Wissen über Wildtiere in den letzten Jahren im Selbststudium angeeignet. Den Grundstein für diese Leidenschaft hatte vor vielen Jahren ihr Vater gelegt. Er war Pfarrer in Bümpliz und verbrachte mit seiner Familie jeweils Ferien im Berner Oberland, im Tessin und im Kanton Graubünden. «Wir haben Vögel beobachtet, Tierstimmen gelauscht, und ein Bruder hat alles gesammelt, von Schneckenhäusern über Federn und Hummeln.» Marianne hatte es mehr mit den Wildtieren. Besonders nachdem sie ein Buch über Luchse geschenkt bekam. Statt in die Pfadi trat sie dann als Jugendliche gemeinsam mit einem ihrer Brüder der Jugendgruppe eines ornithologischen Vereins bei. Seither hat sie die Begeisterung für Wildtiere nie mehr losgelassen.

Wildtierbeobachten, Hobby und Fitnessersatz

Im Moment ist es vor allem der Luchs, der sie fasziniert und umtreibt. Über zwanzig Kameras hat sie bereits im Jura und in der Region Bern aufgestellt. Diese Fotofallen liefern ihr rund um die Uhr über eine App Bilder von allerlei Wildtieren. Wenn sie Glück hat sogar von Luchsen. Diese sind in der Region Bern gar nicht so selten. Es gibt mehrere Einzeltiere. Marianne Bürki kennt sie fast alle.

Batterie gewechselt, jetzt kann die Kamera weiterfilmen. (Foto: zvg)

Die Wildtierkameras, die sie alle selber aufstellt, bezahlt sie aus dem eigenen Sack. Sie montiert sie im Wald, überall dort, wo sie regen Wildwechsel oder einen Schlafplatz vermutet. Das gehe eigentlich ganz problemlos, sagt sie. Allerdings: Hin und wieder werde eine Kamera gestohlen oder beschädigt. Deshalb schreibt sie die Apparate an: «Wildtierkamera. Bitte nicht berühren», dazu ihre Mailadresse, damit man sie kontaktieren kann, wenn Fragen auftauchen.

Marianne Bürki unterwegs mit der Wildtierkamera. (Foto: zvg)

Diese Kameras müssen natürlich auch regelmässig gewartet werden. Sie brauchen zum Beispiel neue Batterien. Deshalb ist die Hobby-Wildtierforscherin viel unterwegs im Wald. «Das ist mein Hobby, aber auch gleich ein Fitnesstraining», witzelt die grossgewachsene Frau.

Exkursionen mit kleinen Gruppen

Sie hat sich in den letzten Jahren ein beachtliches Fachwissen angeeignet, das sie gerne und mit ansteckender Begeisterung weitergibt. Seit letztem Herbst organisiert sie Exkursionen im Mittelland, im Jura und rund um Bern. Mit kleinen Gruppen durchstreift sie die Natur, sucht nach Spuren, lauscht den Vogelstimmen, schnuppert nach Luchs und Fuchs. Genauso wie sie es seinerzeit mit ihrem Vater getan hat. Diesem hat sie übrigens bis zu seinem Tod vor einem Jahr immer wieder Videos im Altersheim gezeigt. «Den Luchs heimgebracht», nennt es Marianne Bürki.

Live, in der Natur, hat sie den scheuen Waldbewohner übrigens erst ein einziges Mal gesehen. Zufällig, als sie nachts mit dem Auto unterwegs war. Nach KORA, den Schweizer Experten für Raubtierökologie, gibt es momentan rund 300 Tiere in Schweizer Wäldern. Marianne Bürki ist überzeugt, dass mehrere von ihnen in den Wäldern um Bern umherstreifen. Leidenschaftlich hält sie weiter täglich über die Kameralinsen Ausschau nach ihnen. Einen Luchs im Wald zu erspähen, das wäre für sie das höchste aller Gefühle, sozusagen «ein Sechser im Lotto». Sie hat Geduld und schaut sich in der Zwischenzeit den Luchs auf ihren Videos an.

Die nächste Wildtierexkursion findet am 19. August statt. Anmeldung über die Webseite von Marianne Bürki. Die Videos zum Luchs sind auch auf Youtube zu finden.