Die Möglichkeiten und die Gefahren

von Christoph Reichenau 25. Februar 2020

Zwei Sichten, zwei Stimmungen, zwei Schaffensweisen lassen sich in der Galerie da Mihi erkunden.  Die eine blickt auf die Menschen und ihre Möglichkeiten, im Ungefähren. Die andere warnt in präzisen, harten Werken und Formen vor unserer Zerstörungskraft.

Immer sind es Menschen, die den Bildern Bedeutung geben, und wo sie ausnahmsweise fehlen, sucht und vermisst man sie. Versunken, träumend, den Blick auf uns richtend, in Bewegung, allein, zu zweit, in Gruppen. Menschen in Landschaften, Städten, auf Bergen, in Dünen, im Meer. Sie sind Teil des Dargestellten, verbunden mit den jeweiligen Orten und doch abgesetzt davon. So winzig sie auf einzelnen Bildern wirken, gerade auf «Gelber Himmel», sie ziehen den Blick auf sich.

Sarah Fuhrimann

Die Menschen verleihen Sarah Fuhrimanns Bildern Tiefe und Spannung. Bei flüchtigem Hinsehen erkennt man bekannte, beliebige Situationen, in den pastellfarbigen Tönen teilweise nahe beim Geschmäcklerischen. Die Menschen machen das Andere aus. Dank ihnen wird aus dem Ungefähren, Unbestimmten, ein Zustand des Noch-nicht, der alle Entwicklungen und Möglichkeiten umfasst. Der nächste Schritt, der nächste Blick entscheidet.

Sarah Fuhrimann lässt ihre Ölbilder «werden». Sie könnten langweilig wirken. Mit den Menschen kommt die Energie. Nicht wegen klarer Positionen, sondern dank des angedeuteten Potenzials: Es könnte auch anders sein, anders werden. Ein Versprechen, eine Drohung.

Ruth Amstutz

Zwischen die beiden Fuhrimann-Räume schiebt Ruth Amstutz einen harten Riegel: thematisch, formal, farblich. «Frullania» nennt sie einige ihrer Objekte im grossen Mittelkeller der Galerie. Frullania ist die Bezeichnung von Moosen; sie ehrt einen Politiker aus der Toskana um 1800, Leonardo Frullani. Ebenso geheimnisvoll wie der Name ist die Darstellung der Moose: Knorrige und sonderbare verdrehte Haselstecken, fast gewaltsam zurechtgebogen, sind überzogen mit grünem Samt. Die Objekte hängen an der weissen Wand und heben sich, anders als Moos in der Natur, davon knallig ab. Sie erheischen Aufmerksamkeit für die uralten, unscheinbaren Pflanzen, die durch unsere Lebensweise bedroht sind.

Den Boden des Raums nimmt eine in 20 Platten gegliederte niedrige Gipsskulptur ganz in weiss ein. Die aus der Fläche aufragenden Erhöhungen, rhizomartig, sind ähnlich geformt wie die Moose an der Wand. Ergänzt und erweitert werden die Werke durch die Installation in einem Kabinett. Dort hängen in einer Reihe kleiner Gläser zarte Würzelchen, die am Verdorren sind; ihnen gegenüber stehen in grossen Gefässen im Wasser Weidenstücke, die neu austreiben. Werden und Vergehen symbolisieren zwei Fotos auf halbtransparentem Plexiglas, durch das die Wand dahinter durchscheint. Man kann die Installation als weltlichen Altar auffassen.

Gibt es eine Verbindung zwischen den beiden Teilen der Ausstellung? Auf den ersten Blick kaum. Wagt man sich vor könnte man sagen, Sarah Fuhrimann lasse im Ungefähren menschliche Möglichkeiten aufscheinen. Und Ruth Amstutz zeige eine bedrohte Moosart, bedrohte Pflanzen, die auf Schutz angewiesen sind. Durch uns? Oder sind es eher wir Menschen, die Schutz benötigen, vor uns selbst? Doch dies ist reine Spekulation.

 

Bis 4. April. Führungen mit Sarah Fuhrimann am 29. Februar um 14 Uhr und am 19. März um 19 Uhr. www.damihi.com.