«Die Menschen wollen eine andere Verkehrspolitik»

von Janine Schneider 29. November 2024

Autobahnabstimmung Am vergangenen Sonntag hat die Schweizer Stimmbevölkerung dem Ausbau der Nationalstrassen eine Absage erteilt. Was bedeutet das für Bern und wie geht es nun weiter? Ein Gespräch mit Markus Heinzer vom Verein Spurwechsel.

Journal B: Herr Heinzer, die Ablehnung der Stimmbevölkerung zum Ausbau der Nationalstrassen kam am Sonntagabend für viele überraschend. Wurden auch Sie vom Resultat überrascht? 

Markus Heinzer: Ja, definitiv! Ich habe die meiste Zeit geglaubt, dass man diese Abstimmung in der Schweiz eigentlich gar nicht gewinnen kann. Wenn man sich anschaut, wer abgestimmt hat, hat man nun ja auch gesehen, dass es nicht nur die üblichen Verdächtigen waren, die sich gegen den Ausbau ausgesprochen haben – sonst hätte es wirklich nicht gereicht. So haben grosse Teile der Landbevölkerung den Ausbau abgelehnt. Damit hatte man nicht rechnen können.

Markus Heinzer ist Präsident vom Verein Spurwechsel, der sich gegen den Autobahnausbau in Bern einsetzt. (Foto: Judith Schönenberger)

Bern war mit 74,7 Prozent Nein-Stimmen eine der Gemeinden mit der höchsten Ablehnung. Wie erklären Sie sich das? 

Grundsätzlich ist Bern natürlich linker und grüner als andere Gemeinden, das ist sicher ein Teil der Erklärung. Dann glaube ich, dass die Berner*innen Ausweichverkehr wegen Stau auf der Autobahn überhaupt nicht als Problem betrachten. Ich habe während des Abstimmungskampfs von niemandem gehört, dass sie ein Problem mit Verkehrsstau hätten. Und ein Teil dieser hohen Ablehnung ist sicher auch auf unsere Arbeit zurückzuführen. Seit 5 Jahren klären wir vom Verein Spurwechsel die Bevölkerung darüber auf, was bei diesen Autobahnprojekten genau geplant wird. Die Leute wussten also grösstenteils schon, worum es bei der Referendumsabstimmung geht. Die Herausforderung war denn eigentlich auch nicht, die Leute zu überzeugen, sondern sie zu mobilisieren, dann auch wirklich abzustimmen. Aber auch wenn wir gar keinen Abstimmungskampf geführt hätten, wäre in Bern wahrscheinlich trotzdem eine grosse Mehrheit gegen den Ausbau gewesen.

«Ich habe die meiste Zeit geglaubt, dass man diese Abstimmung in der Schweiz eigentlich gar nicht gewinnen kann» (Foto: Janine Schneider).

Was bedeutet das Nein zum Ausbau der Autobahnen nun für Bern? 

Man sollte solche Resultate ja nicht überinterpretieren – und klar, die Leute haben nicht über den Ausbau im Wankdorf abgestimmt. Aber es sind doch drei Viertel der Stimmberechtigten, die ein Nein in die Urne gelegt haben. Und uns wurde in den letzten Monaten auch klar, dass die Leute oft keine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Autobahnprojekten machen. Ich bin sicher, dass aktuell bei einer Abstimmung zum Anschluss Wankdorf ebenfalls 74 Prozent dagegen stimmen würden. Das kann ich natürlich nicht belegen. Aber dass ein Ausbau der Autobahn rund um Bern abgelehnt wird, wurde mit der Abstimmung sehr deutlich – und nicht nur in Bern! Wenn man sich zum Beispiel die Gemeinden entlang der Autobahnstrecke Grauholz und Schönbühl ansieht – diese haben den Ausbau alle abgelehnt. Sie hatten offenbar nicht das Gefühl, eine breitere Autobahn würde sie entlasten. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Menschen eine andere Verkehrspolitik wollen, eine mit welcher der Autoverkehr eingedämmt und nicht ausgebaut wird. Das passt eigentlich sehr gut zur Politik, die die Stadt Bern sowieso schon verfolgt.

Die Stadt Bern ist auf einem guten Weg und muss mit ihrer Förderung von ÖV und Velo einfach so weiterfahren wie bisher.

Welche alternativen Lösungen sehen Sie beim Verein Spurwechsel denn, um den Verkehrsstauprobleme auf den Autobahnen und den entsprechenden Zufahrtsstrassen entgegenzuwirken? 

Den Verkehrsfluss zu fördern, darf gar nicht das erste Ziel sein. Wenn es auf den Strassen stockt, hat dies eine Lenkungswirkung. Viele lassen ihr Auto stehen, weil sie keine Lust haben im Stau zu stehen. Wenn dieses Hindernis wegfällt, haben wir automatisch mehr Verkehr. Deshalb, glaube ich, darf es nicht primär darum gehen, den Stau wegzubringen, sondern es müsste darum gehen, Autofahrten zu reduzieren. In der Stadt können die Leute bereits heute in fünf bis zehn Minuten Gehdistanz die wichtigsten Sachen besorgen, die sie benötigen. Zum anderen müssen Parkplätze reduziert werden, um den Pendelverkehr zu verringern. Man müsste das Homeoffice fördern. Aber das sind alles Lösungen, an denen man sowieso schon dran ist. Und es sind Vorschläge, die in der Umsetzung komplexer sind als ein Ausbau der Strassen. Aber die Stadt Bern ist auf einem guten Weg und muss mit ihrer Förderung von ÖV und Velo einfach so weiterfahren wie bisher.

«Ein Grossteil der Autobahnprojekte, die in unseren Perimeter fallen und die wir bekämpft hätten, sind jetzt einfach gestorben» (Foto: Janine Schneider).

Was bedeutet das Nein für die Arbeit von Spurwechsel und Ihren Widerstand gegen das Autobahnprojekt im Wankdorf? 

Für uns bedeutet es, mit einem ganz anderen Gefühl weiterarbeiten zu können. Es ist unglaublich motivierend solchen Rückenwind zu verspüren. Und wir profitieren auch ganz konkret von der Abstimmung: Ein Grossteil der Autobahnprojekte, die in unseren Perimeter fallen und die wir bekämpft hätten, sind jetzt einfach gestorben. Da geht es nicht nur um Grauholz und Schönbühl, die abgelehnt wurden. Sondern auch um den Ausbau zwischen Rubigen und Muri sowie einen Ausbau des Felsenauviadukts auf acht Spuren. Alle diese Projekte sind jetzt unmöglich. Ohne den Ausbau im Grauholz macht es einfach keinen Sinn, die anderen Strecken auszubauen. Wir haben nun also die Hände frei, um uns um den Autobahnanschluss Wankdorf zu kümmern. Und im neuen Gemeinderat sitzen nun ebenfalls drei Mitglieder, die sich gegen den Autobahnanschluss Wankdorf ausgesprochen haben. Die Lage und auch unsere Position hat sich also unerwarteterweise massiv gebessert. Früher fühlten wir uns als Bittsteller, jetzt können wir fordern.

«Viele lassen ihr Auto stehen, weil sie keine Lust haben im Stau zu stehen» (Foto: Janine Schneider).