Die Lokwort-Loki zieht seit 25 Jahren Wörter

von Urs Frieden 11. Juni 2020

Bernhard Engler ist der Erstleser, der ultraschnell entscheidet. 13 Fragen zum Jubiläum des Berner Verlags «Lokwort».

Journal B: Herzliche Gratulation zum 25. Geburtstag von Lokwort. Wie kamen Sie auf die Idee, einen Verlag zu gründen?

Bernhard Engler: Durch die Einsicht, dass mir am bisherigen Ort die Perspektiven fehlten. Ich kam in einem grösseren Druckereibetrieb gleich von Anfang an in die Geschäftsleitung, war aber primär für den hauseigenen Buchverlag verantwortlich. Ich hatte dort das, was man Sicherheit nennt. Und obschon ich meinen Vorgesetzten sehr schätzte, hatte ich mit ihm zunehmend unterschiedliche Ansichten über die Realisation einzelner Projekte. Zudem interessierte mich je länger je weniger das Drucktechnische, sondern mehr das Verlegerische, die Inhalte der Bücher, mit der Kommunikation drumherum. Und irgendeinmal wollte ich’s wissen – und dieser Schritt konnte nur noch in die Selbständigkeit führen.

Würden Sie so etwas heute in Corona-Zeiten nochmals wagen?

Wenn ich innerlich bereit dafür wäre: Ja! Der Zeitpunkt, als ich mich 1994 für die Selbständigkeit entschied, war wirtschaftlich gesehen sehr ungünstig. Aber ich war reif für den Schritt und konnte es nicht länger hinausschieben. Wie immer auch die äusseren Umstände sind: Die inneren sind genauso wichtig. Oder anders gesagt: Im Wort «Sicherheit» steckt das «Ich». Man kann das als Wortfantasie betrachten, aber die Sicherheit kann nur von innen, von einem selbst kommen. Apropos: Die Druckerei gab es ein paar Jahre später in dieser Form nicht mehr.

Wie kommt man als kleiner Verlag finanziell über die Runden?

Der verstorbene Obwaldner Kleinverleger Martin Wallimann hat zum Bücherverlegen gesagt: «Man lebt nicht davon, man lebt dafür.» So in etwa gehts auch bei mir. Konkret: Von 25 Lokwort-Jahren konnten rund sieben Geschäftsjahre meine Familie ernähren. Für mehr Stabilität sorgt meine Frau, die als Hebamme arbeitet. Aber wann immer ich mich auf den Nullpunkt zubewegte: Stets ging kurz vor «Ladenschluss» noch eine Türe auf.

Wie funktioniert Ihr Verlag?

Als Verleger bin ich der Erstleser von eingehenden Manuskripten und entscheide dort ultraschnell, ob die Reise weitergeht. Dann bin ich für die ganze Administration zuständig, von A bis Z, auch für die Produktionsorganisation, für Gesuche in Richtung Geldmittelbeschaffung, fürs Marketing und vor allem für die PR- und Pressearbeit. Externe Fachkräfte habe ich mit freien Lektorinnen, einer Gestalterin und zwei Buchhandelsvertretern. Summa summarum: Obwohl ein Ein-Mann-Verlag, bin ich professionell aufgestellt, auch was den Vertrieb in der Schweiz betrifft.

Und wie muss man sich Ihren Alltag konkret vorstellen?

Gerade in diesen Tagen gabs die Neuerscheinung einer jungen Autorin, die zu ihrem Buch viel spannenden Gesprächsstoff mitliefert: eine Maturaarbeit zum Thema «Tagebuch“, die bei mir als Buch erscheint. Da war ich – abgesehen von der ganzen Produktionsregie – seit Monaten fast ausschliesslich mit «Strippen ziehen» beschäftigt. Ich habe also sehr viele Redaktionen in grosser Bandbreite einzeln vorinformiert, meist überfallartig telefonisch, danach mit der Zusendung von Material per Mail. Das Material war fast immer individuell abgestimmt, mit stets neuen Begleitsätzen und Impulsen von mir. Quasi nebenbei erledigt man Korrekturabgleiche mit einer Lektorin und diskutiert zum Beispiel, wie es um die Berechtigung des Delfins im vorletzten Kapitel steht, und ob ein bestimmtes Wort nicht zu oft vorkommt. Mit der Druckerei diskutiert man die Papierwahl zum übernächsten Projekt und muss sich zum hundertsten Mal den Unterschied zwischen einem voluminösen und einem schweren Papier erklären lassen…

Was sind die Schwerpunkte und Spezialitäten des Verlags?

Auf meiner Homepage schreibe ich, dass bei mir Aspekte des Lebens zum Vorschein kommen. In Form von erzählender Literatur oder erzählenden Sachbüchern, hie und da in Form von Literatur mit Lokalbezug oder gleich in Mundart.

Und in Zukunft?

Die Grundausrichtung bleibt gleich, ich versuche immer mehr, gegen aussen eine klare Linie zu zeigen. Ganz am Anfang war das anders, da probierte ich aus, da war ich der Gemischtwarenladen. Das hat seine Vor- und Nachteile, aber irgendwie ist es doch wie bei einem selbst: Man will ein Profil haben, man will ein Gesicht zeigen. Was ich mir als neues Abenteuer trotzdem gestatte, ist eine Reihe mit kleinformatigen Bändchen, so in Richtung Reclam – nur dünner. Das Gefäss öffne ich dort für Texte, die für ein normales Buch zu kurz sind, aber beim Leser trotzdem ein Echo hinterlassen. Texte, die journalistisch oder literarisch geprägt sind, im Inhalt gewichtig, aber in der Sprache leicht. Und das alles in einer lebensbejahenden Form, wo also auch das Herz und nicht nur der scharfe Verstand des Schöpfers zu spüren ist. Ich sehe die kleinen Dinger nicht nur in der Verkaufsschiene, sondern mehr noch als Akquisitionsinstrument, um gute Autoren auf mich aufmerksam zu machen. Buchhalterisch gesehen könnte man die dortigen Investitionen auch dem Werbebudget zuordnen. Den Anfang macht eine ganz junge, unbekannte Journalistin aus dem Oberland, die Fortsetzung geschieht nächstes Jahr durch einen bereits bekannten Journalisten und Blogschreiber. Und vielleicht gesellt sich mit der Zeit der eine oder andere «alte Hase» dazu. Es darf auch eine Häsin sein.

Was waren die Höhepunkte in den 25 Jahren Lokwort?

Verkaufsmässig? Da müsste man zuerst an den Anfang meiner Verlagsgeschichte gehen, wo ich als ersten Titel die Beiträge des DRS1-Wetterfroschs herausgegeben habe. Gleich danach veröffentlichte ich die Kinderverse von Lorenz Pauli, die «Chlyni Chue mit Wanderschue». Beide Titel landeten in den Bestsellerlisten und ermöglichten mir einen Traumstart – wo mir doch alle das Gegenteil prophezeit hatten: «Jahrelang malochen und warten, bis es nach vielleicht zehn Jahren anhängt.» Ich wurde nach meinem Blitzstart leicht übermütig und steckte das Geld unter anderem in Projekte, wo ich gleich den einen oder anderen «Schuh herauszog». Der kommerzielle Höhepunkt war sicher die Herausgabe vom «Der Kleine Prinz» in berndeutscher Mundart. Bisher wurden rund 45’000 Exemplare verkauft, eine gigantische Zahl. Was spannend daran ist: 60 Prozent der Verkäufe geschahen in Buchhandlungen ausserhalb des Kantons Bern.

Und was waren Tiefpunkte oder Kräche in den 25 Jahren?

Kräche im Verlag? Bereits beim ersten Autorengespräch lege ich meine Karten offen auf den Tisch und erkundige mich über Erwartungshaltungen meiner Gegenüber. Spätere Auseinandersetzungen konnten so weitestgehend vermieden werden. In 25 Jahren gab es nur zwei Störungen, und was interessant ist: In beiden Fällen waren es Männer, in beiden Fällen wurden ihre Bücher in meinem Verlag überdurchschnittlich gut verkauft. Im Gegenteil dazu hatte ich mit Autorinnen und Autoren, deren Bücher eher durchschnittlich oder nicht gut liefen, nie das geringste Problem. Anders geartet ist der ruhige Wechsel von Stef Stauffer zu Zytglogge, und der war dadurch begründet, dass ich mich nach zwei tollen Büchern mit ihrem dritten Manuskript nicht anfreunden konnte. Da war es nur logisch und richtig, dass sie den Text nicht schubladisiert und es bei einem anderen Verlag probiert. Aber Stauffer vom Berner Lokwort Verlag zum nunmehr Basler Zytglogge Verlag – das ist etwa so, wie wenn Mbabu von YB zum FC Basel gegangen wäre. Ich sehe ihr Potenzial sowieso bei einem noch grösseren Verlag, würde mich aber von Herzen freuen, wenn ich mit ihr wieder mal was aushecken könnte.

Mit welchen Ambitionen sind Sie damals gestartet?

Im Kern des Kerns war meine Ur-Ambition: «Keinen Chef mehr über mir haben, Selbstverantwortung übernehmen, meine eigenen Vorlieben und Stärken leben.» Strategien, Businesspläne oder Verkaufsziele hätte ich für meinen Verlag nie formuliert. Ich hatte für die grobe Linie ein Grundgefühl und bin dann einfach meinen Weg gegangen. Das mache ich weiterhin.

Wollten Sie schon immer Verleger werden?

Als ich 14 war, legte mir ein Angestellter der städtischen Berufsberatung die Broschüre «Der Tierpräparator» vor. Aus mir ist aber zuerst ein Buchhändler geworden, der im damaligen, medizinisch und psychologisch orientierten Hans Huber geformt und gleich danach in die Kunstabteilung der hauseigenen Buchhandlung ausgespuckt wurde. Eine spannende Zeit – Felix und Alioscha Klee, der Eisenplastiker Luginbühl inklusive Söhne zählten zur Stammkundschaft. Seit dieser Zeit bewege ich mich ausschliesslich in der Buchbranche, auf verschiedensten Seiten in verschiedensten Funktionen, und zuletzt wollte ich Verleger werden. Also einer, der am Anfang der Buchentstehung steht und mitgestaltet.

Selber schreiben Sie auch, zum Beispiel ist jetzt gerade ein Haiku-Büchlein in Fächerform bei vatter&vatter erschienen. Wieso Haiku und wieso bei der Konkurrenz?

Vor vielleicht zwölf Jahren erhielt ich von einem jüngeren Mann ein Manus mit einer Sammlung von Haiku, die mit Bern zu tun hatten. Ich fand die Idee heiss, aber die Ausführung sehr mangelhaft. Der Autor hatte wie nicht das Gespür für die Stadt, ihre Plätze und deren Stimmungen, seine Haiku waren auch nicht in Berndeutsch geschrieben und der Humor war kein Element darin. Ich verwies ihn auf das alles und legte ihm eigentlich den roten Teppich für einen zweiten Anlauf aus, hörte aber nichts mehr von ihm und vergass selber das Ganze. Bis ich an einem Spätsommer-Vorabend, viele Jahre danach, über den Rasen des Marzili-Bads schritt, dort auf eine Szene aufmerksam wurde und aus dem Nichts heraus wusste: Das ist ein Haiku-Bild! So entstand in den folgenden Jahren immer wieder eine Serie von Haiku – aber nicht weil mein Wille es wollte, sondern weil ich innerlich wie offen dafür war. Dass meine gut fünfzig Berner Haiku in einem anderen Verlag landen, ist der spielerischen Form des Wortfächers zuzuschreiben, der bei vatter&vatter beheimatet ist. Dass er bei einem anderen Verlag erscheint, ist sowieso ein Segen für mich. Stellen Sie sich vor, ich müsste bei Lokwort in einem Pressebrief oder auf dem Rückseitentext über mich selber schreiben: «Dem Autor ist es auf hinreissende Art gelungen, Szenen aus dem Berner Alltag stimmig und humorvoll …blablabla.» Das soll ein anderer schreiben, in schlaueren Sätzen.

Zum Schluss würde uns noch interessieren, was eigentlich «Lokwort» bedeutet…

«Lokwort» war am Anfang nichts anderes als ein spontanes Symbolbild, das in mir auftauchte. Eine Dampflokomotive, die viele Wagen mit auf die Reise nimmt. Es war ein Energiebild, das auch meiner Aufbruchstimmung in der Zeit der Verlagsgründung entsprach. Und selbst wenn die Loki in 25 Jahren zwischendurch immer wieder verschnaufen muss – am Grundbild hat sich bis heute nichts geändert. Worte von immer wieder neuen Autoren werden an meinen langen Zug angehängt.